Montag, 30. April 2012

Das rührende Gebet einer alten Indianerin




Indianer im Kriegsschmuck
Da war unter den Indianern ein steinaltes Mütterchen von 84 Wintern  sie zählen nicht nach Sommern. Ihr Gedächtnis bewahrte einen reichen Schatz von Gespenstergeschichten, sie könnte euch den ganzen Tag davon erzählen. Man rede von der Jagd, man frage, wie man den Bären fängt, wie man die Hasen erlegen müsse — das alles weiß sie; aber wenn man von der Religion anfängt, wenn man ihr auch nur das allerkürzeste Gebet beibringen will, da verlässt sie das ganze Gedächtnis. 


Eines Tages setzte sie meine Geduld mehr als gewöhnlich auf die Probe und ich sagte ihr, ich könne sie unmöglich zur heiligen Taufe zulassen, sie sei viel zu unwissend. 
Da fiel das arme Mütterchen auf die Knie und beschwor mich mit Tränen um Barmherzigkeit. „Wie, mein Enkel, “ sagte sie, „wirst du es über dich bringen, dass du mich auch noch nach meinem Tode dem Elend preisgibst, mich, die ich schon während meines Lebens so viel erdulden musste?“ — Sie zeigte einen so lebendigen Glauben, dass ich ihr die Taufe versprach. Von nun an stand sie täglich schon lange vor der Zeit an der Türe unserer Blockhütte, um den Beginn der heiligen Messe abzuwarten, der sie mit jedermann erbauenden Andacht beiwohnte. 
An Sonntagen trug sie außer der gewöhnlichen Kleidung aus Elentierhäuten noch einen Ledersack, einer Hirtentasche ähnlich, während der Messe in ihren Händen. 
Am ersten Sonntag ärgerte mich das, doch sagte ich kein Wort; als ich aber am folgenden Sonntag wiederum diesen Sack in ihren Händen sah und meinte, sie habe „Medizinkräuter“, d.h. abergläubische Mittel in demselben, fragte ich sie in ziemlich barschem Ton, ob sie denn noch immer zum Teufel ihre Zuflucht nähme. „Ach, mein Enkel, “ sagte sie, „zürne mir nicht! Du hast mir gesagt, ich sei das unwissendste Weib auf der Welt und das ist wohl wahr, da ich auch nicht das kleinste Gebet zu Gott sagen kann. Und das ist der Grund, weshalb ich den Sack in meinen Händen trage.“ 
Mit diesen Worten zog sie ein großes Paket Birkenrinde aus dem Sack, das ein zweites und dieses ein drittes ähnliches enthielt; dann kam ein Papier und noch ein Papier und endlich ein schönes Bild der lieben Mutter Gottes mit einem herrlichen Gebete. 
„Da ich während der Messe Gott nichts zu sagen weiß,“ erklärte sie mir, „bitte ich Gott um Barmherzigkeit! Mein Gott! Ich bin so dumm wie ein Vieh (ich kann den indianischen Kraftausdruck nicht wohl übersetzen und gebe nur den Sinn); du kennst jedoch alle die guten und schönen Dinge, die auf diesem Bild geschrieben sind, und alle diese schönen und guten Dinge sage ich zu dir — nimm sie an!“
So lautete das Gebet dieses guten Mütterchens. Ich spendete ihr wenige Tage nachher die heilige Taufe, dann reiste sie allein in einem Rinden-Kanoe nach dem Elksee (Caribu-See), um dort den Winter zuzubringen. Ich konnte die arme Alte nicht ohne Tränen scheiden sehen. Welche Mühsale harrten ihrer während des langen und bitteren Winters! Sie hat kein Blockhaus und die Nahrung muss sie sich unter Schnee und Eis suchen.
(Aus: Die katholischen Missionen, 1881)

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