Montag, 10. Juni 2013

Augustinus, ein blinder Apostel

Gewiss erinnern sich noch viele Leser dieser Zeitschrift des erschütternden Berichtes über die Armut eines italienischen (eigentlich Tessiner) Missionärs, P. Faustinus Corti S.J., in den Ghatbergen östlich von Mangalore. Reiche Hilfe wurde dem bescheidenen Priester aus Deutschland zuteil. Die Almosen haben schöne Früchte gebracht. 

„Meine ganze Tätigkeit“, so schreibt der Glaubensbote aus seiner Missionsstation Narol am 28. Dezember 1913, „gilt ausschließlich den armen, verachteten Parias. 
Die Brahminen nennen mich deshalb, um mich vor den höheren Kasten verächtlich machen, den Guru (Meister) der Parias, und ich bin stolz auf diesen Titel. In dem nun zu Ende gehenden Jahr habe ich 318 der Ausgestoßenen getauft, 500 Katechumenen warten noch auf das Sakrament der Wiedergeburt.

Gegenwärtig habe ich zwei Katechisten; der eine ist Brahmine, der andere Paria. Vor zwei Jahren kam letzterer  zu mir; da er ganz blind war, musste ein Freund ihn führen. 
Er hatte Fieber und wollte ein Heilmittel. Von seinem Fieber konnte ich ihn befreien, aber das Augenlicht vermochte ich ihm nicht wiederzugeben. 
Da er mir geweckt erschien, fasste ich den Plan, ihn zum Katechisten seiner Kastengenossen heranzubilden. Zuvor schickte ich ihn aber nach Mangalore zur Untersuchung bei einem tüchtigen Augenarzt. 

Nach vierzehn Tagen kehrte er zurück, die Ärzte hatten ihn für unheilbar erklärt. Ich behielt ihn trotzdem und hatte es nicht zu bereuen; denn er zeigte sich noch begabter, als ich angenommen hatte, und war überaus eifrig beim Studium der christlichen Lehre. Endlich taufte ich ihn auf den Namen Augustinus. Dann behielt ich ihn noch einige Tage bei mir, bereitete ihn auf die heilige Beichte und Kommunion vor und sandte in schließlich in sein Dorf, damit er dort die Bekehrung seiner Verwandten und Freunde versuche. 

Kaum waren vierzehn Tage verflossen, da erschien er mit seiner Mutter, seinem Bruder und seiner Schwester in Narol. Mit den Worten: ‚Das ist die erste Frucht meiner Arbeit‘, stellte er sie mir vor. 

Ich hieß die Leutchen sich setzen, um zu sehen, was sie denn in so kurzer Zeit gelernt hätten. Ganz richtig machten sie das heilige Kreuzzeichen und sangen darauf die Gebete: das Vaterunser, Ave Maria, das Glaubensbekenntnis, die zehn Gebote, die Gebote der Kirche und die Akte des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, alles in der Tulu-Sprache. 
Zum Verständnis muss ich hier einfügen, dass ich die Gebete den Katechumenen singend beibringe; denn dabei lernen sie viel rascher und bereitwilliger; sie singen nämlich leidenschaftlich gern. Abgesehen von einigen kleinen Fehlern sangen meine Gäste alles ganz gut. Dann stellte ich Fragen über die wichtigsten Glaubensgeheimnisse; alles Notwendige wussten sie. Ich behielt sie zur Vollendung des Unterrichts noch einige Zeit auf der Station und taufte sie dann. 

Von jetzt an kam der blinde Katechist regelmäßig in kurzen Zwischenräumen, jedes Mal brachte er zwei oder drei Leute mit, die er auf die Taufe vorbereitet hatte. Im Oktober waren alle Parias des Dorfes – 42 an der Zahl – katholisch. Seitdem weilt der blinde Katechist in einem anderen Dorf, das eine Stunde weiter entfernt ist. Schon jetzt hat er sämtliche Einwohner für den Glauben gewonnen. Sie warten auf unseren Bischof, um alle 70 zusammen aus seiner Hand die Taufe zu empfangen.

Für seine Dienste erhält Augustinus Kleidung und monatlich ganze 16 Pfennig. Der Eifer, mit dem er sich der Bekehrungsarbeit widmet, hat auf ihn den Hass der höheren Kasten und vor allem den seines früheren Leibherrn herabgezogen. Aber solange es bei bloßen Worten bleibt, zieht der Blinde nicht den kürzeren, und gegen Schläge hofft er durch mich geschützt zu sein; freilich bin ich 10 km weit entfernt.


(aus: die katholischen Missionen, 1914)

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