Mittwoch, 1. Januar 2014

Unsere Liebe Frau vom Libanon

Unsere Liebe Frau vom Libanon (Quelle: FunkMonk)

Im Norden von Beirut liegt die anmutige Bai von Dschunieh mit ihrem Kranze weißschimmernder Ortschaften und ihrem Gürtel von Bergen, die, 600-700 m aufsteigend, wie die Mauern einer Festung niederschauen.

Hier auf dem höchsten Punkt dieser Felsenstirn erhebt sich seit einigen Monaten die Riesenstatue U.L. vom Libanon. Am 3. Mai d.J. weihte der Apostol. Delegat für Syrien, Msgr. F. Giannini O.F.M., in Gegenwart von nahezu 4.000 Pilgern das Denkmal ein, während der maronitische Patriarch, Se. Seligkeit Elias Peter Hoyek, das heilige Messopfer feierte.

Der Gedanke, ein solches Denkmal zu errichten, war von einem Missionär angeregt und von dem damaligen Apostol. Delegaten, Msgr. Duval O.P., dem maronitischen Patriarchen und den übrigen orientalischen Bischöfen mit Begeisterung aufgenommen worden. Die Errichtung der Statue sollte eine gemeinsame Huldigung aller Riten an die Gottesmutter und ein lautes Bekenntnis des katholischen Glaubens von Seiten der Libanon-Christen werden. Darum steuerten auch alle dazu bei. 
In Beirut bildeten sich eigene Damenkomitees, die eifrig sammelten. Klöster, Pfarreien, Kollegien und Anstalten wetteiferten miteinander und sandten ihre Beiträge. So waren die ersten 16.000 Franken bald beisammen. Sie dienten zum Ankauf der Statue, die ein vergrößertes Abbild U.L. Frau von Fourvières bei Lyon sein sollte. 
Bereits im Frühjahr 1906 trafen die zusammensetzbaren Gussstücke ein und bald darauf auch von Konstantinopel die nötige Erlaubnis der osmanischen Regierung.

Inzwischen hatte der maronitische Patriarch einen geeigneten Standplatz erworben und die Fundamentierarbeiten begonnen. Alles nahm einen guten Gang und bereits war der 15. August 1906 als Tag der feierlichen Enthüllung festgesetzt. 
Da traten der Tod des Apostol. Delegaten und verschiedene Hindernisse dazwischen. Die Arbeiten stockten, die Geldmittel waren erschöpft und die Erzblöcke der Statue blieben im Hofe der Delegatur zu Harissa in Regen und Sonnenbrand liegen.

Es gelang jedoch dem Eifer des hochw. P. Cattin, des damaligen Obern der Jesuitenmission in Syrien, dem Unternehmen in Frankreich Gönner und Förderer zu wecken. Eine ungenannte Wohltäterin spendete 16.000 Mark. Damit war das Werk gesichert. Im Laufe des Jahres 1907 erhob sich das steinerne Fußgestell, dann das Gerüst und endlich die Statue selbst. Sie ist mit dem Unterbau 30 m hoch. Eine Wendeltreppe führt um den Sockel zum Gnadenbild, und die Pilger steigen hinauf, um der Gnadenmutter die Füße zu küssen.
Der steinerne Untersatz ist zwar künstlerisch nicht sehr gelungen, aber bald wird das Grün denselben rings umspinnen und alle Mängel decken.

Das eigentliche Fußgestell bilden die Berge, und einen schöneren Standort konnte die „Königin des Libanons“ nicht finden. Zu ihren Füßen schimmert das Meer, die wunderschöne Bai von Dschunieh mit ihrem Dörferkranz, im Norden und Süden ziehen sich die anmutig geschwungenen Gebirgslinien der phönizischen Küste mit ihrem uralten, geschichtlich denkwürdigen Städten Tyrus, Sidon, Beirut, Byblos, Tripoli; im Osten grüßen die schneeigen Kuppen von Kennieh und Sannin und lagert sich die wildromantische Gebirgslandschaft des Libanons. 
In diesem einzigartigen Rahmen steht das herrliche Bildnis der Jungfrau, die milde lächelnd ihre Hände wie segnend und schützend über den Libanon ausstreckt.

Im Inneren des massiven Unterbaues ist eine Kapelle eingegliedert, zu welcher zwei zierliche Eingangspforten führen. Über der einen steht die Inschrift: Quasi cedrus exalta sum in Libano, „Wie eine Zeder rage ich empor auf dem Libanon (Sir 24,17). Mit Recht rühmt sich der Libanon seit alter Zeit als das Reich der heiligen Gottesmutter“. 
Das gefeierte Gebirge ist es, das mit seinen herrlichen Zedern und seinem unvergleichlichen Lilienschmuck dem Dichter des Hohenliedes die schönsten Bilder bot, Bilder, die in der Kirchensprache des Ostens und Westens zum Preise der Himmelskönigin heute noch widerklingen. 
Der Boden ist wie gesättigt mit heiligen Erinnerungen an ihr Leben und das schlichte Bergvolk seit alters ihrem Dienst treu ergeben. 

– Die „Verehrung der Jungfrau“, so bekennt selbst Renan in seinem Reisebericht von 1860, „hat in der Bevölkerung des Libanons tiefe Wurzeln geschlagen und bildet das große Hindernis für das Eindringen des Protestantismus bei den Libanesen. Mögen sie auch auf allen anderen Punkten nachgeben, aber wenn sie von der Verehrung der Jungfrau lassen sollen, dann zeigt sich, dass das alte Band stärker ist als sie selbst.“

Der Standort U.L. Frau vom Libanon ist auch insofern trefflich gewählt, weil in seinem nächsten Umkreis sämtliche Riten Niederlassungen, Klöster und Anstalten besitzen. So haben die Melchiten in der Nähe die beiden Klöster Suk und Sarba, zu denen jetzt ein Noviziatshaus dicht bei der Statue gekommen ist; der maronitischen Patriarch in Bikerke wohnt fast zu den Füßen der heiligen Jungfrau an den Flanken des Berges. 
Zwanzig Minuten aufwärts von der Statue liegt in einem Eichenhaine das schöne syrische Seminar von Scharfeh, noch höher hinauf, eine Stunde von Harissa, schimmern die weißen Mauern des großen armenischen Seminars von Bezumar.

Einen Flintenschuss weit vom Denkmal erhebt sich auf einem Hügel das alte Franziskanerkloster, und nur zwanzig Minuten weit vom Bild findet sich die Residenz des Apostolischen Delegaten von Syrien.
So sind tatsächlich alle Riten vertreten und gruppieren sich um die „Königin des Libanons“.

Die Errichtung des Gnadenbilds hat für den Libanon, so hoffen alle, mehr als nur die vorübergehende Bedeutung einer schönen Festlichkeit. Die große Zahl der Pilger aus nah und fern, die am 3. Mai sich zur Huldigung eingefunden, zeigt, dass der schöne Gedanke, der sich hier im Bild verkörpert, mächtig gezündet und in den Herzen des Volkes die alte Liebe zur Gottesmutter und damit auch zum alten, angestammten Glauben gestärkt hat. 

Das ist bei den großen Gefahren, die den Libanon durch die emsige protestantische Propaganda bedrohen, von nicht zu unterschätzender Bedeutung. 
Möge sich daher erfüllen, was die herrliche thronende „Königin des Libanons“ den Pilgern lächelnd zuzurufen scheint: Posuerunt me custodem, „Sie haben mich zur Schützern aufgestellt“ – zur Hüterin des alten Glaubens, der alten frommen Sitten.


(Aus: die katholischen Missionen, 1910)