Die starke
Einwanderung der Ruthenen (d. h. Ukrainer) nach dem kanadischen Nordwesten
lässt die ruthenische Frage, die in den Vereinigten Staaten nicht geringe Schwierigkeiten
verursacht hat, auch dort immer dringlicher werden. Es zeigt sich mehr und
mehr, welch ein Hemmnis die Verschiedenheit des Ritus sein kann, sobald ihre
Zugehörigen in fremde Verhältnisse kommen, wo kein hinreichender Klerus und
keine Kirchen des betreffenden Ritus vorhanden sind. Während der Lateiner sich
in der ganzen Welt leicht zurechtfindet, fühlt sich der Orientale in
kirchlicher Hinsicht als Fremdling. (Ich teile diese Ansicht nicht ganz, weil
ja auch für Lateiner erst einmal entsprechende Kirchen da sein müssen. So fielen
zahlreiche Katholiken des römischen Ritus in den USA zum Protestantismus ab, da
es dort nicht genug Priester gab.)
Großen Segen
brachte letztes Jahr der Besuch des ruthenischen Erzbischofs Scheptyzkyj von Lemberg. Er hat das ganze Gebiet wie ein
Apostel teils auf der Bahn teils zu Wagen durchreist, überall unermüdlich
gepredigt, Beichte gehört, Christenlehre gehalten usw. wie ein gewöhnlicher
Priester, obschon der hohe Herr zum kaiserlichen Kronrat gehört. Sein Auftreten
hat alle sehr erbaut. Er konnte sich mit eigenen Augen von der geistigen Not
seines Volkes überzeugen. Für mehr als 100 000 Ruthenen sind bloß 10 Priester,
4 Redemptoristen, 5 Basilianer und 1 junger kanadischer Weltgeistlicher, der
zum ruthenischen Ritus übertrat, vorhanden.
Wie ist da zu helfen? Die
ruthenische Heimat kann nicht genug Kräfte stellen, zumal auch die kanadischen
Bischöfe keinen verheirateten ruthenischen Klerus im Land wünschen. Die eine
Schwierigkeit mit der Sprache lässt sich dadurch lösen, dass die Ruthenen
allmählich Englisch lernen, wozu auch der Erzbischof sie aufgefordert hat.
Dagegen soll am Ritus festgehalten werden. Es bleibt also nichts übrig, als das
englisch sprechende Priester zum ruthenischen Ritus übertreten.
Zu diesem Zweck
hat Erzbischof Langevin O.M.I. von St. Boniface vier seiner jungen Priester
hergegeben, von denen drei zu den Basilianern in Österreichisch-Galizien
gingen, um dort sich Sprache und Ritus anzueignen. Leider sendet England sehr
wenige Priester in seine Kolonien, so dass es überall an englisch redenden
Priestern fehlt, was für die zunehmende Kolonistenbevölkerung im Nordwesten, wo
das Englische immer mehr die allgemeine Verkehrssprache bildet, eine große
Gefahr bedeutet.
(Aus: die
katholischen Missionen, 1911)