Samstag, 6. Dezember 2014

Die Weißen Schwestern während der Hungersnot in Algerien



(…) Die Weißen Schwestern tun ihr Möglichstes, um diese Opfer des Hungers [die Kinder] dem Tod zu entreißen: sie betten sie weich und suchen mit mütterlicher Sorgfalt ihnen die stärkende Nahrung beizubringen, freilich in ganz geringer Menge, um sie nicht zu töten. Aber diese Kinder haben so sehr gelitten, dass beim Anblick dieser lang entbehrten Nahrung ein Ekel sie erfasst, so dass der Magen nicht mehr im Stande ist, sie anzunehmen, wenigstens nicht, sie zu behalten. Fünfzehn dieser Kinder sind dem Übermaß der ausgestandenen Entbehrungen bereits erlegen. Unter ihnen befand sich auch der ältere der beiden Knaben, deren ich in meinem ersten Brief erwähnt, die zwei Tage lang auf der Landstraße neben der Leiche ihrer Mutter ausgeharrt hatten. Er bereitete sich auf seinen Tod vor wie auf ein Fest, und seine frommen Fragen und Äußerungen rührten den Missionär zu Tränen. Auch die übrigen haben dieses Jammertal nicht verlassen, ohne ihre Eintrittskarte für den Himmel mitzunehmen.

(…) Schon seit Jahren haben die Schwestern den Trost, alle Sterbenden [in ihrem Spital], auch die Erwachsenen, taufen zu dürfen. Es ist dies die Frucht ihrer aufopfernden Hingabe und Krankenpflege. Die Araber sind infolge der Entbehrungen, des Klimas, der angeborenen Unreinlichkeit und der durch ihre Religion [den Islam] sanktionierten Laster Krankheiten ausgesetzt, von denen man in Europa sich schwer einen Begriff macht. Die davon Befallenen werden von ihren Familien häufig verstoßen und verlassen; auch wenn dies nicht der Fall ist, finden sie nie auch nur annähernd entsprechende Pflege. Ist es  da zu verwundern, dass der Anblick dieser weißgewandeten Schwestern, die ihr Vaterland, ihre Familie verlassen, um, selbst den verderblichen Einflüssen des Klimas ausgesetzt, sich liebend ihrer Pflege zu widmen, auf diese egoistischen Naturen einen niemals empfunden Eindruck macht und das wärmste Dankgefühl erregt? Ein wenig Nachdenken bringt sie dann zu dem Schluss, dass eine Religion, die eine solche Barmherzigkeit lehre, besser sein müsse als die ihre. Viele verlangen aus eigenem Antrieb, in derselben zu sterben. Bei anderen können die Missionäre ohne Anstand auf religiöses Gebiet übergehen, sobald sie die Kranken vom Arzt aufgegeben wissen, ohne die Freiheit des Gewissens im Geringsten zu beeinträchtigen. Die liebevolle Pflege, die ihnen zuteil geworden, hat uns ihr Herz gewonnen. „Ihr fremden Marabus“, sagen sie, „ihr wisst alles; ihr wisst auch, welches die beste Religion ist. Ihr wollt uns nicht betrügen, denn die Lüge hat eure Lippen nie berührt. Ja, ich will leben und sterben wie ihr!“ – Ein junges Mädchen befand sich seit 14 Tagen im Spital. Ihr Gaumen, ihr Hals waren vom Krebs zerfressen. Man fragte sie, ob sie nicht als Christin sterben wolle. „Aber darum bin ich ja hierhergekommen“, sagte sie einfach; „wenn ich nicht sterben wollte wie ihr, wäre ich bei meinen Eltern geblieben.“ – Ihr Tod war außerordentlich erbaulich.


(Aus: die katholischen Missionen, 1893)

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