Montag, 22. Dezember 2014

Mission im chinesischen „Hungergefängnis“



Der chinesische Strafkodex kennt die Verurteilung zum Hungertod nicht. Dennoch bestehen, wie P. Bondon S.J. mitteilt, im „Reich der Mitte“ Gefängnisse, in denen der Hungertod eine grausame Ernte hält.
Glaubt ein Mandarin sich zu sehr von Arbeit überbürdet, oder droht eine Straf- oder Prozessangelegenheit ihn in ernste Verwicklung zu bringen, so kennt er kein besseres Mittel als das Hungergefängnis, um sich rasch aus allen Verlegenheiten zu ziehen.

P. Bondon, der in der Unterpräfektur Tang-chan einen Missionsposten versieht, hatte Kenntnis von einem Hungergefängnis erhalten und sehnte sich danach, den Trost des Evangeliums in diese Stätte furchtbarster Qual zu tragen. Da die Mandarine ihm äußerst gewogen waren, bat er einen derselben, ihm doch freien Zutritt zu den Hungernden zu erwirken. „Pater!“ rief der Mandarin entsetzt aus, „das ist unmöglich. Das verträgt sich nicht mit der Würde des großen Mannes.“ Der Missionär, dem seine Würde in diesem Augenblick höchst gleichgültig war, bestand auf der Bitte, und so trat er denn am folgenden Morgen in Begleitung des Mandarins den ersten Gang zum Gefängnis an. 

Wie groß war sein Staunen, als er einen peinlich sauberen Kerkerraum fand und die Gefangenen rein gewaschen, gut gekleidet mit frisch rasierten Schädeln und schön gedrehten Zöpfen vor sich erblickte.
Schmunzelnd sah der Mandarin den Pater an, und in seinen Zügen lag die Frage: Weißt du jetzt, großer Mann, mit welcher Liebe und Sorgfalt die Lenker und Leiter des ‚Himmlischen Reiches‘ (d.h. China) die zu Tode verurteilen behandeln?

Aber der Missionär gab sich mit diesem Besuch nicht zufrieden. Und nun ward sein Staunen zum Entsetzen. Als Kerkerraum diente ein finsterer, niedriger Saal, der keine andere Öffnung hatte als eine stark vergitterte Türe, durch die nur spärlich Licht und Luft eindrangen, besaß.
Hier lagen die Gefangenen, alle an eine einzige Kette befestigt, die meisten halb nackt, die einen zum Skelett abgemagert, die anderen entsetzlich aufgedunsen.

In diesem Raum voll Gestank und Fäulnis herrschte unheimliches Schweigen, das nur vom Röcheln der Sterbenden unterbrochen wurde. Zu seinem noch größeren Entsetzen erfuhr P. Bondon, dass wöchentlich 20-30 Mann in dieses Loch hineingestoßen werden. 3-5 Tage dauert die Qual; lässt der Tod zu lange auf sich warten, so macht Erdrosselung dem Leben der Unglücklichen ein Ende. Nur wenige verlassen wieder diesen Ort, aber auch dann nur, um ins Staatsgefängnis zu wandern und dort geköpft zu werden.

An diesem grausigen Ort, wo Verbrecher und Unschuldige bunt durcheinandergewürfelt lagen, fand der Missionär den rechten Boden für die trostreichen Lehren der christlichen Religion. Seit Jahren bereits macht P. Bondon, so oft die Zeit es gestattet, den Gefangenen Besuche. Er tut es zur frühen Morgenstunde, um kein unnötiges Aufsehen zu erregen (…).
Die Wächter kennen den Missionär. Sobald sie ihn erblicken, fallen sie ihm nach Chinesenart zu Füßen und beeilen sich dann, ein Tischchen zurecht zu stellen und Wasser herbeizubringen.
Der Pater tritt an die vergitterte Türe, und sofort wird es lebendig in dem düsteren Raum.
Wie Gespenster wanken die Gestalten näher und horchen gespannt auf die Worte des Missionärs von einem gekreuzigten Gott und einem himmlischen Reich.
Oft findet der Pater, dass einzelne das Wesentliche der katholischen Religion durch Umgang mit Katholiken kennen, und so wird die Vorbereitung auf die Taufe nicht schwer.
Während seiner Abwesenheit gestatten einige Wächter, dass die Unglücklichen sich gegenseitig die tröstlichen Wahrheiten wiederholen, ja der Hauptwächter ging sogar so weit, in eigener Person den Katechisten zu machen.
Bis jetzt hat noch kein einziger Gefangener sich geweigert, die heilige Taufe zu empfangen. Laut flehen sie darum.
Der Pater lässt sie einzeln ans Gitter treten, und hat er sich überzeugt, dass sie die Hauptwahrheiten der Religion kennen, so erweckt er mit ihnen einen Akt der Reue und gießt dann das Wasser über ihre Stirn.
Schon mehr als einen sah der Missionär unmittelbar nach Empfang der Taufe tot zu Boden sinken; der Gang zum Gitter hatte die letzte Kraft erschöpft. Bei einem Räuberhauptmann wollte P. Bondon die Taufe auf den folgenden Tag verschieben. Aber der Gefangene bat laut und flehentlich, sie ihm doch gleich zu erteilen. Schließlich willigte der Missionär ein, und nach einer Stunde war der Getaufte eine Leiche.

Leibliche Erquickungen kann der Pater den Armen nicht bringen, aber er hat die Freude, den reinsten Trost spenden zu können. Mehreren Hunderten wurde er bereits der Retter in der größten Not.
Schreckt die Natur auch vor dem Gang in diesen furchtbaren Ort menschlichen Elends zurück, das Vertrauen der Unglücklichen auf die Barmherzigkeit Gottes würde dem Missionär noch größere Opfer leicht und erträglich machen.


(Aus: die katholischen Missionen, 1912)

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