Sonntag, 26. März 2023

„Es werden mich selig preisen alle Geschlechter“: Unsere Liebe Frau von Madhu (Sri Lanka)

 

(Quelle: Virgendelosremedios)

Im Nordwesten Sri Lankas, etwa 150 km südlich von Jaffna, liegt der Marienwallfahrtsort Madhu. Die Region ist seit dem Beginn der portugiesischen Herrschaft über Sri Lanka im 16. Jahrhundert stark katholisch geprägt. In dieser Gegend war der heilige Franz Xaver selbst als Missionar tätig gewesen. In Mantai, einem alten Umschlagsplatz an der Küste, baute man im 17. Jahrhundert eine Kirche, in der ein Bild der allerseligsten Jungfrau verehrt wurde.

Die Verfolgung der katholischen Religion durch die calvinischen Niederländer, die ab 1658 über die Insel herrschten, veranlasste eine Gruppe von Gläubigen aus 20 Familien dazu, im Jahr 1670 mit dem Gnadenbild ca. 40 km ins Landesinnere in den unwegsamen Urwald zu flüchten, um dort eine neue Kirche zu errichten. An diesem Ort soll auch der heilige Joseph Vaz, der „Apostel Ceylons“, gewirkt haben. Die Gründung ging durch das Auftreten von Seuchen nach einiger Zeit zu Grunde. Als jedoch unter der britischen Herrschaft die religiöse Duldung wieder Einzug hielt, begab sich im Jahr 1872 der Apostolische Vikar Jaffnas, Msgr. Bonjean aus der Gemeinschaft der Oblaten der unbefleckten Jungfrau Maria, daran, eine neue Wallfahrtskirche zu bauen, die Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz gewidmet ist. Aufgrund der Abgelegenheit wurde die Kirche erst unter Bonjeans zweitem Nachfolger Henri Joulain fertiggestellt.[1] Der 60 Meter lange neobarocke Bau konnte mit den Spenden einheimischer Katholiken errichtet werden. Die dort verehrte Marienstatue ist eine Madonna im europäischen Stil mit dem Jesuskind auf dem Arm, das als Zeichen seiner Königswürde nach singhalesischer Tradition einen Sonnenschirm hält. Die Statue samt Kind ist vollständig in einen weiten Mantel gehüllt, der meist weiß oder blau ist; die Kleider der Statue werden gelegentlich gewechselt. Sie hat ihren Platz  im einfachen neugotischen Holzaltar.

Ähnlich wie die beiden wichtigsten chinesischen Marienwallfahrtsorte ist auch Madhu bedeutend gewachsen. Waren es am zum Ende des 19. Jahrhunderts 12.000 Pilger, die am Hauptwallfahrtstag, dem Fest Mariä Heimsuchung am 2. Juli, zu Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz pilgerten, wurden es 1924 ca. 150.000. Anlass für die große Zahl der Pilger in jenem Jahr war die Krönung der Madonna durch Erzbischof Coudert von Colombo im Beisein der übrigen Bischöfe Sri Lankas.[2] Ein anschauliches Bild der Wallfahrt zu dieser Zeit zeichnet der Oblatenpater Duchaussois, der berichtet, „dass in diesem Dschungel-Wallfahrtsort, wo ein aus der portugiesischen Zeit stammendes Marienbild (Mutter und Kind, letzteres mit Krone und Sonnenschirm, dem Zeichen der Königswürde) verehrt wird, in der Hauptwallfahrtszeit 30–40 Priester an einfachsten Beichtgittern im Freien 9 Tage lang bis in die Nacht hinein Beicht hören, während die Hälfte der Pilger zu ihrem Schmerz ohne Sakramentenempfang heimkehren muss, weil eben nicht genug Priester zur Verfügung stehen. Und dabei kommen die Leute von den Enden Ceylons und sogar vom indischen Festland in langer, beschwerlicher Reise! Neben den großen Predigten für die Pilgermassen finden unter schattigen Bäumen zwanglose Aussprachezirkel statt, in denen von Missionaren vor der lauschenden Menge die Glaubenswahrheiten gegen einen bestellten ‚Gegner‘ (meist einen christlichen Eingeborenen, der die heidnischen Anschauungen vertritt) verteidigt werden. Tagelang sind in dieser Zeit die nach Madhu führenden Straßen in Staub gehüllt. In dieser Staubwolke bewegen sich endlose Kolonnen von Ochsenkarren mit Pilgern und Massen von Fußgängern aller südindischen und ceylonesischen Rassen dem Wallfahrtsziele zu.

Auch Brahmanen und Buddhisten finden sich ein, aus Neugierde oder Glaubenssehnucht, die oft zur Glaubensbereitschaft wird. Madhu weist jährlich zahlreiche Konversionen auf. Die Massen haben keine Hotels. Das Hotel der Nomadenstadt ist der Dschungel. Die meist armen Leute – Madhu sieht jährlich nur 2000 Reiche – wohnen in Laubzelten. Jede Familie bildet aus dünnem Zweigwerk in Ellbogenhöhe einen Zaun um den gewählten Ruheplatz. (…) Arm und reich schläft nebeneinander, der Kastenstolze neben dem Paria. Das Auto steht neben dem Ochsenkarren. Vom Heiligtum Mariens in der großen Dschungelkirche, deren Holzsäulen Elefanten aus 10 km Entfernung herbeischleppten, strahlt jener Friede und Brudersinn aus, den die Gesellschaft des Mittleren Orients so sehr entbehrt.“[3]

Inneres der Wallfahrtskirche (Quelle: lakpuratravels)

Im Jahr 1944 weihte der Bischof von Jaffna, Msgr. Alfred Guyomar O.M.I., die Kirche unter dem Beisein einer großen Volksmenge. In den Nachkriegsjahren wurde die Statue Unserer Liebe Frau von Madhu zur Pilgermadonna, die in allen Pfarreien der Diözese Jaffna zur Verehrung der Gläubigen ausgestellt wurde, zunächst 1948 und dann 1974, dem von Papst Paul VI. ausgerufenen „Jahr der Versöhnung“. Im Jahr 2001 riefen die Gläubigen die Pilgermadonna besonders für den Frieden auf Sri Lanka an, da sich das Land durch den Konflikt zwischen Tamilen und Singhalesen im Bürgerkrieg befand. Dieser Krieg ging am Wallfahrtsort Madhu nicht spurlos vorüber; wie viele Gebiete des Nordens war auch der Distrikt Mannar, in dem Madhu liegt, eine der Hochburgen der Liberation Tigers of Tamil-Eelam (LTTE), einer bewaffneten separatistischen Gruppierung, die seit 1983 für einen unabhängigen Tamilenstaat auf der Insel kämpfte. In den 1990er Jahren bot der Wallfahrtsort 36.000 Binnenflüchtlingen Schutz und wurde von den Kriegsparteien als entmilitarisierter Bereich betrachtet, kam allerdings am 20. November 1999 unter Artilleriebeschuss – vermutlich durch die Regierungstruppen –, wobei 33 Flüchtlinge in der Herz-Jesu-Kapelle getötet wurden.[4] Als die singhalesischen Regierungstruppen 2008 eine großangelegte Offensive gegen die LTTE durchführte, in deren Rahmen die Rebellen militärisch besiegt wurden, kam es um Madhu erneut zu Kampfhandlungen, und die Statue der Madonna musste an einen sicheren Ort gebracht werden. Sri Lankas Bischöfe setzten sich in einem gemeinsamen Schreiben vom 23. April 2008 für ein Ende der Kämpfe rund um Madhu ein.[5]

Der Bürgerkrieg endete im Mai 2009 mit der Niederlage der LTTE und der Einnahme der Tamilengebiete durch die Regierungstruppen; im selben Jahr fanden sich zum Fest Mariä Himmelfahrt nach einigen Angaben bis zu einer halben Million Pilger ein.[6]

Auf seiner Reise nach Sri Lanka im Januar 2015 besuchte Papst Franziskus Madhu, wo er im Kontext des Bürgerkriegs und des damit verbundenen Leids darauf hinwies, dass die Mutter Gottes den Mördern ihres Sohnes unter dem Kreuz verzieh und darum auch Sri Lanka auf den Weg zu mehr Versöhnung führen würde. Der Papst legte der Statue einen Rosenkranz um den Hals und hob sie zum Segen über die 300.000 Teilnehmer des päpstlichen Besuchs in Madhu.[7]



[1] Deslandes O.M.I.: U.L. Frau von Madu, ein Wallfahrtsort auf Ceylon. In: Die katholischen Missionen, Herdersche Verlagsbuchhandlung, Freiburg 1907
[2] Nachrichten über Indien und Ceylon. In: Die katholischen Missionen, Xaverius-Verlagsbuchhandlung, Aachen 1925
[3] Peters, Joseph: : Maria, seliggepriesen von allen Völkern.  a.a.O.
[4] https://www.tamilguardian.com/content/our-lady-madhu-refugee-her-own-land-bishop
[5] https://omiusajpic.org/wp-content/uploads/2008/06/bishops-demand-ltte-quit-madhu-shrine.pdf
[6] https://udayton.edu/imri/mary/o/our-lady-of-madhu.php
[7] https://www.catholicregister.org/home/international/item/19535-in-madhu-pope-tells-sri-lankans-reconciliation-requires-repentance

Sonntag, 19. März 2023

„Es werden mich selig preisen alle Geschlechter“: Unsere Liebe Frau von China in Donglü

 


Wie der Wallfahrstort Sheshan ist auch Verehrung Unserer Lieben Frau von China in Donglü (auch Tonglu in deutschen Quellen) in der Provinz Hebei auf Zeiten der Drangsal für die katholische Kirche im Reich der Mitte zurückzuführen.

Das Dorf Donglü in der heutigen Präfektur Baoding, ca. 180 km südwestlich von Peking gelegen, hatte zur Zeit des Boxeraufstands im Jahr 1900 eine katholische Gemeinde von ca. 1000 Seelen, die von französischen Lazaristen an der Kirche Unserer Lieben Frau seelsorglich betreut wurden. Als die Gemeinde von einer großen Armee aus Mitgliedern des Geheimbundes der Boxer belagert wurde, soll die allerseligste Jungfrau in weißen Kleidern über der Kirche erschienen sein. Nach einiger Zeit zogen die Boxer wieder ab, ohne die Kirche zu zerstören. Aus Dankbarkeit gegenüber der allerseligsten Jungfrau, der die Kirche von Donglü geweiht war, wurde 1901 eine neue größere Kirche gebaut und die Lazaristen ließen ein Marienbild anfertigen, das fortan auf dem Hauptaltar verehrt wurde. Im Jahr 1908 gab der neue Pfarrer, P. René Flament, eine neue Darstellung der allerseligsten Jungfrau und des Jesuskindes in traditioneller chinesischer Kaisertracht bei dem chinesischen Jesuitenbruder Liu Bizhen in Auftrag. Bruder Liu vereinte im ursprünglichen Bild europäische und chinesische Elemente. Nach dem ersten chinesischen Nationalkonzil im Jahr 1924 förderte der Apostolische Delegat Celso Costantini, der sich sehr für eine verchristlichte chinesische Kunst stark machte, die Verbreitung des Bildes, das bald in leicht abweichenden Versionen in ganz China zu finden war. Über dem Originalbild in der Kirche in Donglü steht die Anrufung „Heilige Mutter Gottes, Königin von Donglü, bitte für uns“.[1]

Inneres der alten Kirche von Donglü

Im Jahr 1928 bat Erzbischof Costantini den damaligen Pfarrer von Donglü, P. Trémorin, Donglü zu einem offiziellen Wallfahrtsort zu machen.[2] Die erste organisierte Wallfahrt nach Donglü fand am 7. Mai 1929 unter Teilnahme von 10.000 Christen und 30 Priestern. Die Zahlen wuchsen deutlich an: bereits 1931 waren es 25.000 Pilger, im Jahr 1936 waren es 35.000, die in den Ort mit etwa 4000 Einwohnern strömten, deren Großteil Katholiken waren. In Anerkennung dieser Beliebtheit erhob Pius XI. Donglü 1932 offiziell zum Marienwallfahrtsort. Durch den Krieg mit Japan fanden die Wallfahrten 1938 ein Ende; im Jahr 1941 wurden alle Kirchengebäude durch japanische Artillerie zerstört. In der Folge machte Kardinal Thomas Tien, Erzbischof von Peking, die Kirche St. Marien vor den Toren Pekings, die bereits 1650 gebaut worden war, zum Wallfahrtsort. Auch dorthin zogen vieltausendköpfige Pilgerströme.[3]

Bischof Melchior Sun C.M. mit dem Allerheiligsten bei der ersten Wallfahrt nach Donglü



Ordensbrüder aus der Gemeinschaft der „kleinen Brüder des hl. Johannes“ bei der Wallfahrt

In den Jahren 1989–1992 wurde die neugotische Kirche in Donglü wieder aufgebaut. Es wird berichtet, dass sich am 23. Mai 1995 eine außergewöhnliche Marienerscheinung vor den Augen von etwa 30.000 Gläubigen, 4 Bischöfen und 100 Priestern ereignet hat. Ähnlich wie beim Sonnenwunder in Fatima bewegte sich die Sonne hin und her und gab bunte Strahlen ab, während Unsere Liebe Frau von China mit dem Jesuskind erschien. Die Dauer dieser Erscheinung betrug 20 Minuten. Am Folgetag, dem eigentlichen Fest von Unserer Lieben Frau von China, versuchten die Behörden, den Pilgern den Zugang zum Wallfahrtsort vollständig zu verwehren.[4] Im Jahr 1996 wurde Donglü durch 5000 Soldaten und 30 Panzerfahrzeuge von der Außenwelt abgeschnitten und die Wallfahrtskirche zerstört und das Bild konfisziert.[5] Seitdem unternimmt die Regierung große Anstrengungen, um Wallfahrten nach Donglü zu verhindern. So werden in der Region Straßensperren mit bewaffneten Wachposten errichtet[6], und Privatpersonen, die mit ihrem Auto nach Donglü fahren, wird der Führerschein entzogen.[7]

Inneres der Kirche im Jahr 2004 (Quelle)

In Meishan in Taiwan wird in einem Nationalheiligtum Unserer Lieben Frau von China eine Statue verehrt, die auf dem Bild von Unserer Lieben Frau in Donglü basiert. Die Statue wurde am am 14. August 2022 kanonisch gekrönt.

Wie Sheshan ist Donglü Symbol der Marienliebe und des Glaubensgeistes der Katholiken Chinas, besonders in Zeiten der Verfolgung, die im Reich der Mitte seit jeher so häufig sind.


 


[1] Clarke, Jeremy: The Virgin Mary and Catholic Identities in Chinese History. Hong Kong University Press 2013
[2] Chabonnier, Jean-Pierre: Christians in China: A.D. 600 to 2000. Ignatius Press, San Francisco 2007
[3] Fleckner, Johannes: Thomas Kardinal Tien. Steyler Verlag, St. Augustin 1975
[4] http://www.therealpresence.org/eucharst/misc/BVM/103_DONG_LU_96x96.pdf
[5] Dies war wohl keine vollständige Zerstörung der Kirche, da diese immer noch existiert und das Gnadenbild heute wieder dort zu sehen ist. Es handelt sich hierbei vermutlich – genauso wie bei dem konfiszierten Bild – um eine Kopie.
[6] https://www.asianews.it/news-en/Chinese-authorities-block-pilgrimage-to-Marian-Shrine-in-Donglu-28031.html
[7] http://www.cardinalkungfoundation.org/ar/AMiracle.php

Sonntag, 12. März 2023

„Es werden mich selig preisen alle Geschlechter“: Nationalheiligtum und Basilika Unserer Lieben Frau von Sheshan (China)

Marienwallfahrtsorte in den Missionen

Wie auch in den alten katholischen Gebieten Europas haben sich in den Missionsländern Wallfahrtsorte zu Ehren der Mutter Gottes entwickelt. Ihre Ursprünge sind unterschiedlicher Natur, wobei wohl jene die höchste Anziehungskraft haben, die auf eine Erscheinung der allerseligsten Jungfrau zurückzuführen sind, wie die Wallfahrt zu Unserer Lieben Frau von Guadalupe in Mexiko[1]. Andere wurden an Stellen errichtet, an denen die heidnische Bevölkerung früher einer Muttergottheit oder einem Bodhisattva[2] in weiblicher Form huldigte. So wurde in den Missionen heidnische Kultstätten auf ähnliche Weise verchristlicht wie im Westen. Des Weiteren seien noch solche Wallfahrten zu nennen, die aus einer einfachen Marienkapelle entstanden, die die Missionare einst an einem beliebigen Ort errichteten und der sich in der Folge großer Beliebtheit beim katholischen Volk erfreute und so zum Wallfahrtsort wurde.[3] In diesem Kapitel sollen einige bedeutende Wallfahrtsorte Asiens und Afrikas und nach ihrer Entstehungsgeschichte, dem verehrten Gnadenbild und ihrer Bedeutung behandelt werden. Sie sind vielleicht der bedeutendste sichtbare Ausdruck der Seligpreisung Marias durch alle Völker.


Blick auf den Turm der Basilika von Sheshan mit der Statue Unserer Lieben Frau an der Spitze (Quelle: Michele)

Nationalheiligtum und Basilika Unserer Lieben Frau von Sheshan (China)

Der Sheshan-Hügel[4] ist eine langgestreckte Anhöhe, die sich in einer Entfernung von etwa 35 km vom Shanghaier Stadtzentrum über das Umland erhebt. An seiner westlichen Spitze befindet sich das „Nationalheiligtum und die Basilika Unserer Lieben Frau von Sheshan“ ( 佘山進教之佑聖母大殿), das in der heutigen Form 1936 fertiggestellt wurde. Die Kirche wurde 1942 von Pius XII. zur Basilika erhoben. Der traditionelle Wallfahrtstermin ist der 24. Mai[5], das Fest Marias, Hilfe der Christen, unter deren Titel die Wallfahrt im Jahr 1866 gegründet wurde.

Früheres buddhistisches Grabmal auf dem Sheshan

Seine Entstehung verdankt das Nationalheiligtum der Jesuitenmission von Shanghai, die 1863 ein Grundstück auf dem Hügel, der einst heidnischen Gottheiten bzw. Buddhas geweiht war, erwarb. Die Chinesen verehrten neben dem eigentlichen Buddha dort die Buddhas Mitu und Guanyin[6]. Letztere hatte Ihre eigene Pagode am Fuße des Hügels, die sich zur Zeit des Kaufs jedoch in „äußerst kläglichem Zustand“ befand. Lange erfreute sich der Sheshan oder Zose großer Beliebtheit als Wallfahrtsort und Begräbnisstätte, sodass „zu bestimmten Zeiten des Jahres Tausende und aber Tausende armer Heiden hierhin“ strömten. In den 1850er Jahren jedoch stürzten die Pagoden ein oder brannten nieder.[7] Nachdem die Kirche die Grundstücke erworben hatte, wurden ein Exerzitienhaus der Jesuiten sowie eine Muttergotteskapelle gebaut, die Bischof Adrien Languillat von Shanghai am 1. März 1868 samt der Statue Unserer Lieben Frau, Hilfe der Christen, weihte. Als der Taiping-Aufstand im September 1870 die Diözese bedrohte, gelobte der damalige Obere der Jesuitenmission der allerseligsten Jungfrau den Bau einer Basilika, wenn die Diözese verschont bliebe. Nachdem der Überfall der Aufständischen ausgeblieben war, begaben sich die Jesuiten daran, Spenden für den Kirchenbau zu sammeln, und Msgr. Languillat konnte am 24. Mai 1871 im Beisein von 6.000 Menschen den Grundstein für die neue Wallfahrtskirche legen, die er schließlich am 15. April 1873 weihen konnte. Schon im darauffolgenden Jahr gewährte Papst Pius IX. den Pilgern, die im Marienmonat Mai die Wallfahrt machten, einen vollkommenen Ablass. Im Jahr 1894 wurde auf halber Wegstrecke die Zhong-Shan-Kapelle („auf der Mitte des Hügels“) gebaut, die Maria als der Gnadenvermittlerin geweiht ist. Folgende Inschrift ist an die Pilger gewendet: „Mache eine kurze Rast bei der kleinen Kapelle auf dem halben Weg zur Spitze des Hügels und erweise deine Ehrerbietung. Das Heiligtum ist auf der Spitze des Berges. Erklimme einige weitere Stufen und bitte um die Barmherzigkeit der Mutter Gottes“. Auf den Bau dieser Kapelle folgten bald drei Kapellen auf dem Gipfel, die dem heiligsten Herzen Jesu, der allerseligsten Jungfrau Maria und dem heiligen Joseph geweiht sind. Der Weg zur Basilika ist wie an vielen europäischen Wallfahrtsorten von den 14 Kreuzwegstationen gesäumt.

Der alte Wallfahrtskomplex mit Kirche

Die erste dort verehrte Marienstatue schien eine Lourdes-Madonna gewesen zu sein[8]; später wurde die Spitze des Glockenturms mit einer Statue der „Helferin der Christen“ in chinesischem Stil geschmückt: Maria, die auf dem Rücken eines Drachen steht, hält das Jesuskind, welches seine Arme in Kreuzesform ausbreitet, hoch über ihren Kopf. Diese Statue wurde während der maoistischen Kulturrevolution zerstört; im Jahr 2000 wurde ein Replikat dieser Statue angefertigt, das mittlerweile wieder den Turm ziert. Auf dem Hauptaltar der Basilika ist die „klassische“ Statue der Helferin der Christen aufgestellt.


Hochaltar mit Statue Unserer Lieben Frau, Helferin der Christen (Quelle: fayhoo)

Das Replikat der Statue im chinesischen Stil (Quelle: Peter Potrowl, https://www.sitemai.eu/)

Die Missionszeitschrift Die katholischen Missionen berichtete im Jahr 1878 vom Hergang der Marienwallfahrten, die zu dieser Zeit bereits Christen aus einem größeren Umkreis anzogen:

„Um uns eine Vorstellung von dem kirchlichen Leben zu geben, welches hier herrscht, schließen wir uns der großen Mai-Wallfahrt an. Wir versetzen uns im Geiste nach Wu-si, einer Stadt am Nordende des großen Taihu-Sees, ungefähr halbwegs zwischen Nanking und Schanghai. Hier finden wir am 21. Mai schon um fünf Uhr morgens die etwa 2.000 Seelen zählende christliche Gemeinde in der Kapelle versammelt, um der heiligen Messe und dem Unterricht beizuwohnen. 250 Personen empfangen die heilige Kommunion. Nach dem Gottesdienst verteilen sich die Pilger, etwa 1.000 an der Zahl, auf die 150 Boote. Kaum jemals den Tag über verstummt das Rosenkranzgebet. Nachmittags fünf Uhr steigen sie in Yang-ka-kiao, einer eifrigen Gemeinde von etwa 1.300 christlichen Fischersleuten südlich von Sutscheu, ans Land. Diese empfangen ihre Glaubensbrüder am Ufer und geleiten sie sofort in die Kirche zu gemeinschaftlichem Rosenkranz und Gebet. Ein kurzer Unterricht und ein von chinesischen Stimmen in chinesischer Sprache gesungenes Omni die beschließen den Tag. Am folgenden Morgen (22. Mai) ist um 4.30 Uhr Messe, in welcher 50 Personen sich dem Tische des Herrn nahen und der Missionär einen Unterricht über das Gebet hält. Dann werden die Barken wieder bestiegen und vorwärts geht es durch Kanäle und Seen, bis des Abends das Fischerdorf Lo-ka-pang erreicht ist. Hier segnet und verteilt der Missionär am 23. des Morgens die mit dem Heiligsten Namen prangenden Wimpel für die Boote. Die Heiden sammeln sich erstaunt am Ufer, um Zeugen dieses für sie so neuen Schauspiels zu sein.

Vom Morgen an ist der Berg Sose bereits weithin über die Ebene sichtbar, und da die Windungen der Kanäle die Boote zu mehrfachen Umwegen nötigen, so bietet uns derselbe einen stets wechselnden Anblick. Endlich um zwei Uhr nachmittags, von der lieben Maiensonne beschienen, legt die Flottille am Fuß des Berges an, freudig begrüßt von den Missionären und der Menge fremder Pilger.

Der folgende 24. Mai war das Hauptfest von Sose, das Fest Unserer Lieben Frau unter dem Titel ‚Hilfe der Christen‘. Anwesend waren 15.000 christliche Pilger, von denen wenigstens 12.000 aus weiter Ferne kamen, und etwa 5.000 Heiden aus Neugierde. Wer schildert den Andrang zum Gottesdienst und zu den Übungen der Andacht! Unsere Christen von Wu-si traf die Reihe der Kreuzwegandacht von 5.00 bis 5.30 Uhr abends. Man denke sich dieselben in Gruppen von beinahe 100 Personen auf die einzelnen Stationen verteilt, wie sie mit lauter, fester und zugleich andächtiger Stimme auf die Gebete antworten. Sie alle hatten freudig acht Tage der Arbeit und des zeitlichen Gewinnes zum Opfer gebracht, um dem Heiland und seiner heiligen Mutter diesen Beweis kindlicher Verehrung zu geben und im Angesicht ihrer heidnischen Mitbürger dieses offene Bekenntnis ihres Glaubens abzulegen.

Am 25. des Morgens sollte die feierliche Prozession das Fest beschließen. Bereits um fünf Uhr war ein jeder auf seinem Posten; jeder trug auf der Brust ein kleines Stück weißer Leinwand mit einem aus rotem Zeug geschnittenen Herzen. Voran schritt der Kreuzträger; dann kamen zwei Pilger, goldene Herzen und ein silbernes Gefäß tragend, worin sich eine Liste der im verflossenen Jahr gebeteten Rosenkränze befand; darauf die Fahne des Vereins der heiligen Kindheit, umgeben von einigen hundert Knaben im Alter von 6 bis 13 Jahren; dann die acht Banner der verschiedenen Kongregationen von Wu-si, umgeben von 170 in Chorhemden gekleideten Männern, welche Kerzen in der Hand hielten; nun folgte eine Gruppe von 200 bis 300 Männern mit Fähnchen, denen das Banner des Mäßigkeitsvereins vorangetragen wurde; dann die Fahnen des heiligsten Herzens Jesu und des Gebetsapostolats, 25 Priester und 19 Kleriker, der Zelebrant in der Chorkappe. Ihm schlossen sich an 100 Mann mit Fähnchen, 40 kleine Mädchen von der heiligen Kindheit, ebenfalls mit Fähnchen und geschart um das Banner Unserer Lieben Frau, 24 der Rettung ausgesetzter Kinder geweihte Jungfrauen mit einer neuen, kostbaren Fahne von der unbefleckten Empfängnis, die kleinen Mädchen der Schule von Wu-si, und endlich mehr als 300 Mütter mit ihren Kindern auf dem Arme, die sie Unserer Lieben Frau weihen wollten. 

Um sechs Uhr setzte sich die Prozession, laut den Rosenkranz betend, in Bewegung und um sieben Uhr zog sie in die Kirche ein. Der Kreuzträger war bereits vor der Statue Unserer Lieben Frau von Lourdes angelangt, welche mit der Inschrift Tscheng-Mu-Malija, ‚Heilige Mutter Maria‘, den Hauptaltar schmückt, als die Letzten des Zuges noch kaum auf halber Höhe des Berges sich befanden. Nur diejenigen, welche mit an der Prozession Teil genommen hatten, konnten in der Kirche selbst Platz finden. Alle Banner wurden im Chor aufgepflanzt; die 170 Männer mit den Chorhemden stellten sich in doppelter Reihe von der Kommunionbank bis zum Portal auf. Alles verlief in schönster Ordnung. Während des Hochamtes nahten sich 800 bis 900 Personen dem Tische des Herrn, im Ganzen an diesem Morgen 3.700. Dann folgte die Predigt. Unmittelbar bevor der letzte Segen mit dem Allerheiligsten gegeben wurde, erneuerten alle unsere Christen, Männer und Frauen, Alt und Jung, die Weihe zum göttlichen Herzen Jesu. Die jüngeren Mitglieder des Mäßigkeitsvereins, 90 an der Zahl, erneuerten gleichfalls ihr Versprechen. Nach der Danksagung des Priesters brachten endlich noch die Mütter ihre Kinder Unserer Lieben Frau dar, und die Absingung der Marien-Litanei beschloss die Feier. Um 9.30 Uhr hatten bereits sämtliche Barken den Fuß des Berges wieder verlassen.

So steht es heute mit der Herrlichkeit des heiligen Berges Sose. Außer den beim Hauptfest anwesenden Prozessionen und Pilgern habe im Mai 1877 etwa 20.000 Christen das Heiligtum U.L.F. auf dem Sose besucht, und abgesehen von den 3.700 heiligen Kommunionen am Fest selbst näherten sich im nämlichen Monat noch über 3.000 Personen den heiligen Sakramenten in der Wallfahrtskirche.
Gepriesen sei Gott und die heilige, unbefleckte Gottesmutter, die Helferin der Christen!“[9]

(Quelle: lobia)

Im 20. Jahrhundert wuchs die Wallfahrt noch weiter. Im Jahr 1924 führte der Apostolische Delegat von China, Erzbischof Celso Costantini, die Väter der ersten chinesischen Nationalkonzils, das in Shanghai tagte, auf den Sheshan, um China der Mutter Gottes zu weihen. Im selben Jahr fand der Abriss der alten Kirche statt, die für den Andrang an Wallfahrern zu klein geworden war. Unter der Aufsicht des portugiesischen Jesuitenpaters Diniz wurde die aktuelle Basilika im neoromanischen Stil errichtet und 1935 fertiggestellt. 

Die Jahrzehnte seit Beginn der kommunistischen Herrschaft waren geprägt von ständiger Verfolgung von Seiten des christenfeindlichen Staates. Vor diesem Hintergrund führte der damalige Bischof von Shanghai, Ignatius Kung, im Jahr 1952 seinen Klerus einschließlich der Seminaristen in die Basilika, um Unserer Lieben Frau von Sheshan feierlich zu versprechen, den Glauben zu bewahren und dem Papst die Treue zu halten. Der Großteil der Priester blieb treu, einschließlich des Bischofs selbst, der später 33 Jahre in kommunistischer Haft verbrachte und während seiner Haft von Papst Johannes Paul II. im Geheimen zum Kardinal ernannt wurde.[10]

In den 1950er Jahren wurde die Basilika unter die Kontrolle der staatstreuen Chinesischen Patriotischen Katholischen Vereinigung gestellt. In den Jahren der Kulturrevolution von 1966 bis 1976 kam es zu Vandalismus in und an der Wallfahrtskirche und die Nebengebäude wurden teilweise zerstört. Die Statue Unserer Lieben Frau von Sheshan wurde wie oben erwähnt vom Turm entfernt. Erst im Jahr 1981 erlaubte die Regierung wieder Wallfahrten nach Sheshan. Noch im selben Jahr verurteilten die Behörden Bischof Zhu Bayou zu 10 Jahren Zwangsarbeit für „gegenrevolutionäres Verhalten“, da er eine Pilgergruppe nach Sheshan geführt hatte.[11] Im Jahr 1982 wurde am Fuß des Sheshan-Hügels das gleichnamige Priesterseminar eröffnet, das zu den 12 vom Staat „offiziell anerkannten“ Seminaren gehört.[12] 

Auch seit der „Öffnung“ unter Deng Xiaoping wurden Wallfahrten durch die Regierung immer wieder verboten, ja sogar das längere Verweilen auf dem Berg selbst, wobei Scheingründe vorgeschoben werden, so etwa verschärfte Sicherheitsmaßnahmen aufgrund der Olympischen Spiele in Peking im Jahr 2008 oder der Weltausstellung in Shanghai im Jahr 2010.[13] Im Jahr 2019 unternahm die Partei Schritte, um eine Pilgerfahrt der romtreuen Untergrundkirche zu verhindern, und forderte Pilger zum Absingen der Nationalhymne auf.[14] Im Jahr 2021 verbot die Staatsführung die Wallfahrt vollständig, denn auch Chinas Katholiken sollten das einhundertjährige Bestehen der Kommunistischen Partei, die 1921 in Shanghai gegründet worden war, feiern. So ist auch der Sheshan Gegenstand des jahrtausendelangen Kampfes zwischen der Gottesgebärerin und der alten Schlange, dem Teufel.

Im Jahr 2008 verfasste Papst Benedikt XVI. zum Weltgebetstag für China ein Gebet zu Unserer Lieben Frau von Sheshan, dessen letzte Strophe lautet:

„Unsere Liebe Frau von Sheshan, unterstütze den Einsatz all derer, die in China unter den täglichen Mühen weiter glauben, hoffen und lieben, damit sie sich nie fürchten, der Welt von Jesus und Jesus von der Welt zu erzählen. An der Statue, die über dem Heiligtum thront, hältst du deinen Sohn hoch und zeigst ihn der Welt mit ausgebreiteten Armen in einer Geste der Liebe.

Hilf den Katholiken, stets glaubwürdige Zeugen dieser Liebe zu sein, indem sie mit dem Felsen Petrus vereint bleiben, auf den die Kirche gebaut ist.

Mutter von China und von Asien, bitte für uns jetzt und immerdar. Amen!“[15]

 


[1] Aufgrund des hohen Bekanntheitsgrads und der zahlreichen Schriften, die über dieses Gnadenbild existieren, soll hier nicht näher darauf eingegangen werden.
[2] Wesen, die nach buddhistischer Anschauung nach höchster Erkenntnis streben. Derartige Darstellung sind vor allem in Ostasien verbreitet.
[3] Peters, Joseph: Maria, seliggepriesen von allen Völkern.  a.a.O.
[4] Zose im Shanghai-Dialekt. Unter diesem Namen war die Kirche früher auch im Westen bekannt.
[5] Von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2007 als „Weltgebetstag für die Kirche in China“ ausgerufen.
[6] Die vielverehrte „Göttin der gütigen Liebe“.
[7] Der Wallfahrtsort Mariahilf auf dem Sose in Kiangnan. In: Die katholischen Missionen. Herder’sche Verlagsbuchhandlung, Freiburg 1878
[8] Der Wallfahrtsort Mariahilf auf dem Sose in Kiangnan. a.a.O.
[9] Der Wallfahrtsort Mariahilf auf dem Sose in Kiangnan. a.a.O.
[10] https://catholicism.org/ignatius-the-life-of-ignatius-cardinal-kung-pin-mei.html
[11] https://www.crisismagazine.com/2020/the-curious-case-of-bishop-zhu-baoyu
[12] Tang, Edmond und Wiest, Jean-Paul: The Catholic Church in Modern China: Perspectives. Wipf and Stock, Eugene 2013
[13] https://www.asianews.it/news-en/Tourists,-not-pilgrims,-welcome-in-Sheshan-24820.html
[14] https://www.catholicnewsagency.com/news/248676/catholics-in-china-told-to-celebrate-communist-party-and-forgo-marian-pilgrimage
[15] https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/de/prayers/documents/hf_ben-xvi_20080515_prayer-sheshan.html


Sonntag, 5. März 2023

„Es werden mich selig preisen alle Geschlechter“ Kapitel 1: Maria, Königin der Missionen

 


„Mit Recht muss Maria als Königin der Missionen angerufen werden. Die heiligen Augustinus und Ambrosius nennen sie „Die Lehrerin der Völker“. Der heilige Cyrillus von Alexandrien sagt, dass durch Maria „die Heiden dem Götzendienst entrissen werden und zur Erkenntnis des wahren Gottes gelangen“. Die katholische Kirche aber ruft: „Freue dich, Jungfrau Maria, alle Irrlehren hast du allein vernichtet in der ganzen Welt!“ – Maria hat den Sohn Gottes, das Heil der Welt, für die ganze Menschheit geboren; alle Völker aller Zeiten empfangen ihn aus ihren Händen. Sie ist der erste und größte Missionär, und sie hat der Welt den Frieden durch Jesus Christus gebracht. Sie ist und bleibt Vorbild, Mutter, Beschützerin, Fürsprecherin und Königin aller Missionäre.

Nach Jesus brennt in ihrem Herzen der größte Eifer für Gottes Ehre, für die Ausbreitung des Reiches ihres Sohnes, für die Rettung aller Menschenseelen, ein glühender und alles übertreffender Missionseifer. Von ihr wollen wir lernen; zu ihr beten, damit sie das heilige Werk der Glaubensverbreitung beschütze und durch ihre mächtige Fürsprache fördere.“[1]



Pius XII. bei der kanonischen Krönung des Gnadenbilds Salus Populi Romani
(Quelle: Ambrosius007) 


So schildert P. Hermann Fischer die Bedeutung der allerseligsten Jungfrau Maria für die Verbreitung des wahren Gottesglaubens und ihre königliche Rolle im Reiche ihres göttlichen Sohnes. Marias Interesse erstreckt sich auf das gesamte Reich Ihres Sohnes, also auch auf die Ungetauften, da sie, wie Papst Pius XI. in seiner bedeutenden Missionsenzyklika Rerum ecclesiæ betont, die „gesamte Menschheit auf Kalvaria ihrem mütterlichen Schutze anempfohlen bekam, und (…) diejenigen, die von ihrer Erlösung durch Christus Jesus nichts wissen, ebenso herzlich und innig liebt, wie diejenigen, die die Wohltaten der Erlösung glücklich genießen.“ Auch Pius XII. hebt in seiner Radioansprache an die Pilger in Fatima vom 13. Mai 1946 hervor, dass „ihr Königreich so weit reicht wie das ihres Sohnes“[2]. Da die Ehre Gottes und das Heil der Seelen durch Ausbreitung der katholischen Kirche über die Welt der Hauptgegenstand der Missionsarbeit ist, so kann  der Eifer der „Magd des Herrn“, die mit ihrer Gottes- und Nächstenliebe hoch über allen übrigen Heiligen und Engeln steht, nicht übertroffen werden, wie P. Fischer an anderer Stelle schreibt:


„Ihr Titel ‚Königin der Apostel‘ ist nicht ein bloßer Ehrenname, der zwar eine sehr schöne, aber nur im Himmel geltenden Bedeutung hat. Er sagt uns vielmehr, dass Maria den Charakter und den Geist der Apostel, der (…) glühendster Missionsgeist war, in königlicher Fülle besitzt. Der unbesiegbare Missionseifer des großen Völkerapostels, vereint mit der innigen Sehnsucht eines Lieblingsjüngers nach dem Heile aller Seelen, findet sich gesteigert im Herzen ihres Sohnes, für das niemand so tiefes, seraphisches Verständnis hatte wie seine Mutter. Maria führt im Himmel kein wunschloses Dasein, sondern ihre Seligkeit ist ein unendlich süßes Verlangen für die Ehre ihres göttlichen Sohnes. Auch im Himmel ertönt wie auf Erden von ihren Lippen das unvergleichliche Fiat voluntas tua! Dein Wille geschehe!“[3]


Dieses Verlangen Marias betont auch der Schriftleiter von Die katholischen Missionen, Joseph Peters: „Mariens größter Ehrentitel ist ihre Gottesmutterschaft, und ihr größtes Verlangen muss sein, diesen Ehrentitel in seiner ganzen inhaltlichen Verpflichtung zu erschöpfen, indem sie allen durch Christus Erlösten zur Mutter wird. In Erfüllung dieses Willens hat sie die Mission der Fürbitte bei ihrem Sohne, dass er seine Erlösungsgnade über die ganze Welt ausdehne, dass er allen, die ihre Fürbitte anrufen, zur Erreichung des ewigen Zieles verhelfe. Wessen Fürbitte könnte nun mächtiger sein als die der Mutter bei ihrem göttlichen Sohne? Und so führt eine echte Einführung ins Glaubensleben den Neuchristen von selbst zur Marienverehrung.“[4]


Der Dogmatiker Carl Eckes fragt gar, ob den Ungläubigen, die noch nicht zu Christus gefunden haben, die Aufmerksamkeit der Mutter Gottes ganz besonders gilt und sie diesen die außerordentlichen[5] Wege des Heiles zugänglich macht: „Vielleicht ist sogar folgender Gedanke, weil er echtem Mutterverhalten abgelauscht ist, nicht abwegig: Weil es gleichsam anormale Kinder sind, weil sie gefährdeter sind, weil sie zu vielen Quellen des Heiles keinen Zutritt finden, wacht Mariens Mutterauge besonders sorgfältig über sie, darum sind sie ihrem Mutterherzen besonders teuer.“[6]

Per Mariam ad Jesum, durch Maria zu Jesus – dieses marianische Prinzip gilt auch für die Missionen, und bewegte die Väter des ersten chinesischen Plenarkonzils, das im Jahr 1924 in Shanghai tagte, dazu, China nicht zuerst dem heiligsten Herzen, sondern der Mutter der Gnade zu weihen: „Manche Synodalen wünschten zuerst eine Weihe an das heiligste Herz Jesu. Man brachte dagegen vor, es passe eine solche Weihe wohl für christliche Länder, nicht aber für China, das erst zu einem Bruchteil christlich sei. ‚Durch Maria zu Jesus!‘ damit war die Sache entschieden.“ [7]


(Quelle: AP Photo)


Der vorbildliche Missionseifer Marias wird auch von Papst Johannes Paul II. in seiner Missionsenzyklika Redemptoris Missio hervorgehoben: „An der Schwelle des dritten Jahrtausends ist die ganze Kirche eingeladen, das Geheimnis Christi dadurch tiefer zu leben, dass sie voll Dankbarkeit am Heilswerk mitarbeitet. Das tut sie mit Maria und wie Maria, ihrer Mutter und ihrem Vorbild. Und sie, Maria, ist das Vorbild jener mütterlichen Liebe, von der alle beseelt sein müssen, die in der apostolischen Sendung der Kirche zur Wiedergeburt der Menschen mitwirken.“

Die angeführten Zitate zeigen, wie eng die allerseligste Jungfrau mit dem Werk der Glaubensverbreitung verbunden ist, ja wie sie für den Missionseifer der Gläubigen nebst ihrem göttlichen Sohn immer das höchste Vorbild sein wird.

„Es werden mich seligpreisen alle Geschlechter“ – so sprach die Mutter Gottes in ihrem Magnificat. Die nachfolgenden Kapitel sollen zeigen, dass dies nicht nur für alle Zeiten, sondern auch für alle Zonen gilt. Gleichzeitig wird sich zeigen, wie Maria sich sowohl durch ihre Fürsprache als auch durch ihre himmlischen Erscheinungen als wirkliche Missionarin erwiesen hat.


[1] Fischer, Hermann S.V.D.: Hilf Seelen retten! Vollständiges Gebetsbuch mit vielen Belehrungen für alle Missionsfreunde. Missionsdruckerei, Steyl, 1918
[2]  A.A.S. Vol. 38, 1946
[3] Fischer, Hermann S.V.D.: Jesu letzter Wille. Missionsdruckerei, Steyl 1912
[4] Peters, Joseph: Maria, seliggepriesen von allen Völkern. In: Die katholischen Missionen. Druck und Verlag von L. Schwann in Düsseldorf 1938
[5] Sprich die Begierdetaufe mit dem zumindest impliziten Wunsch, zur wahren Kirche Gottes zu gehören.
[6] Feckes, Prof. Dr. Carl: Maria – Mutter der Ungläubigen? In: Die katholischen Missionen. Verlag Herder Freiburg 1954
[7] Weig, Georg S.V.D.: Das erste chinesische Plenarkonzil in Schanghai. In: Die katholischen Missionen, Xaverius-Verlagsbuchhandlung, Aachen 1925



Samstag, 4. März 2023

Neues Buch exklusiv auf diesem Blog

 In den kommenden Tagen erscheint auf diesem Buch das erste Kapitel meines neuen Buchs Es werden mich seligpreisen alle Geschlechter. Marienverehrung in den Missionen. Die Zeitumstände bringen es mit sich, dass ich das Buch in seiner jetzigen Fassung nur online bereitstellen werde. Dazu werden regelmäßig vollständige Kapitel auf diesem Blog gepostet. 

Das erste Kapitel befasst sich mit „Maria, Königin der Missionen“ und wird morgen erscheinen. In den folgenden Kapiteln behandle ich wichtige Marienwallfahrtsorte und viele andere marianische Aspekte, die in diesem Format bislang noch nicht auf Deutsch erschienen sind.


Per Mariam ad Iesum!

Mittwoch, 1. März 2023

Missionseifer auch in schwersten Zeiten

 

Friedrich Gustav Kardinal Piffl CanReg


Angesichts der schweren Nachkriegsjahren, die Österreich nach dem Ersten Weltkrieg in politischer wie wirtschaftlicher Sicht heimsuchten, liegt die Annahme nahe, dass nur noch wenige Katholiken Sinn für die Glaubensverbreitung in den nichtchristlichen Ländern hatten. Doch, nicht zuletzt aufgrund des Engagements von Friedrich Gustav Kardinal Piffl, des karitativen Erzbischofs von Wien, schlug das Missionswerk noch tiefere Wurzeln im Erzbistum Wien:

„Interessant, dass bei aller Not der Kriegs- und Nachkriegszeit in der Erzdiözese nie die Missionsbewegung zu einem Stillstand kam. Im Gegenteil, das Interesse daran nahm zu. Piffl selbst nannte dieses Phänomen ‚einen der wenigen erfreulichen Lichtpunkte in der dunklen Kriegszeit‘. Um den gesteigerten Anforderungen der Zeit zu genügen, wurde das Werk der Glaubensverbreitung, d. i. der Franziskus-Xaverius-Verein, im Juli 1919 umorganisiert. Statutengemäß wurden ein Diözesanausschuss und ein Verwaltungsrat eingesetzt, neuer Diözesan-Direktor des Werkes wurde Kanonikus Msgr. Josef Wolny. Ein eigenes Sekretariat sollte ihn bei seiner Aufgabe unterstützen. Piffl brachte es, wie schon erwähnt im eb. [erzbischöflichen] Palais unter. Als Organ des Werkes sollte künftig die Monatsschrift ‚Die Weltmission der katholischen Kirche‘ dienen (...) Nach und nach sollte der Xaverius-Verein in jeder Pfarre eingeführt werden. Piffl erließ zu dieser Neuregelung ein eigenes Aviso im Diözesanblatt, das auch die Reichspost abdruckte.“

(Aus: Martin Krexner: Hirte an der Zeitenwende. Kardinal Friedrich Gustav Piffl und seine Zeit. Dom-Verlag, 1988)