Samstag, 8. April 2023

„Es werden mich selig preisen alle Geschlechter“: Unsere Liebe Frau von Afrika (Algerien)


Mit der französischen Eroberung des Küstengebiets von Algerien um die Mitte des 19. Jahrhunderts fand auch die katholische Kirche wieder Eingang in diese kirchengeschichtlich so bedeutsame Region, die unter anderem die Heimat des heiligen Augustinus von Hippo ist. Zunächst hatte sich die Kirche auf die Seelsorge der französischen Kolonisten konzentriert, entfaltete aber nach einiger Zeit eine Missionstätigkeit, die besonders unter dem Berberstamm der Kabylen einige Erfolge erzielte.

Bald nach Beginn der französischen Herrschaft zog es zahlreiche Europäer, vor allem aus Frankreich und dem Mittelmeerraum, nach Algerien. Zu ihnen gehörten auch die beiden eifrigen Lyoner Katholikinnen Margarita Bergesio, eine italienische Einwanderin, besser bekannt als Agarithe Berger, und Anne Cinquin, die dem Bischof von Algier, dem ebenfalls aus Lyon stammenden Louis-Antoine-Augustin Pavy, ihre Dienste als Haushälterinnen anboten.[1] Sie kümmerten sich um die Wäsche für die Krankenstation des Seminars von Algier. In einem Baum am bewaldeten Hang in der Nähe der bischöflichen Residenz stellten die beiden eine Marienstatue auf, um dort ihren Andachtsübungen nachzugehen. Bald kamen Christen aus der umliegenden Gegend als Pilger an den Ort, der wegen des Abhangs bald Notre Dame du Ravin genannt wurde. Die beiden frommen Damen baten in der Folge Msgr. Pavy, dort eine Kapelle zu bauen, doch dieser zögerte zunächst, bevor er sich am 8. Dezember 1854, dem Tag der Verkündigung des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis, dafür entschied, ein Bauprojekt unter dem Namen Notre Dame d’Afrique zu beginnen.[2]

Kapelle Notre Dame du Ravin (Quelle: http://alger-roi.fr/Alger/notre_dame_afrique/pages_liees/13_d_chapelle_notre_dame_ravin_53.htm)

Im Jahr 1857 entstand zunächst eine provisorische kleine Kapelle, die heute noch besteht und den Namen Saint Joseph trägt. Die Statue, die der Bischof auswählte, war eine Bronzekopie der Virgo fidelis von Bouchardon. Diese hatte der erste Bischof von Algier, Msgr. Dupuch, im Jahr 1840 für seine Kathedrale von Gläubigen in Lyon als Geschenk erhalten; da die Kathedrale noch nicht fertig war, fand die Statue den Weg ins Trappistenkloster in Staouëli in der Nähe der Hauptstadt und wurde von Msgr. Pavy schließlich zurückgeholt. Am 2. Februar 1858 wurde der Grundstein der heutigen Basilika auf einer Anhöhe im Viertel Saint-Eugène[3] gelegt. Architekt war Jean-Eugène Fromageau, der auch für andere Kirchenbauten in der Diözese Algier verantwortlich zeichnete. 

Msgr. Pavy, Bischof von Algier und Bauherr der Wallfahrtskirche

Zur Förderung des Bauprojekts scheute sich der Bischof nicht, selbst den Wanderstab in die Hand zu nehmen und in Frankreich für das neue Marienheiligtum in Nordafrika zu werben und Spenden zu sammeln. Zu einem Missionar sagte Bischof Pavy im Jahr 1858: „Was man der Mutter darbringt, wird der Sohn hundertfach vergelten.“[4] Er veröffentlichte auch ein umfangreiches Rundschreiben an die gesamte katholische Welt zur Unterstützung dieses Werkes, in dem er die wechselreiche Geschichte des Christentums in Nordafrika und die Verehrung Marias in diesen Gegenden beleuchtete. Besonders rief er zum beharrlichen Gebet für die Bekehrung der Muslime auf. Er versprach eine Zukunft, in der die Anhänger des Islams Maria nicht nur als Mutter eines großen Propheten anerkennen würden, sondern diese ihnen die Augen über die Gottheit ihres Sohnes öffnen würde. Dies sei die einzige Rache, die sich der Bischof für die jahrhundertelange Versklavung und Verfolgung wünsche, die durch den Hass gegen das Christentum von der nordafrikanischen Küste ausgegangen seien. Msgr. Pavy starb im Jahr 1866, sodass sein Nachfolger, Msgr. Charles Martial Lavigerie, der spätere Erzbischof, Kardinal und Gründer der Missionäre von Afrika (besser bekannt als „Weiße Väter“) das Werk fertigstellen musste.[5] Die Basilika wurde schließlich am Fest Mariä Lichtmess 1872 von Msgr. Lavigerie eingeweiht; am 4. Mai 1873 erfolgte im Rahmen des ersten Provinzialkonzils, das in über einem Jahrtausend in Nordafrika abgehalten wurde, die Übertragung der Statue aus der provisorischen Kapelle in die Basilika. Teilnehmer an den Feierlichkeiten waren alle Bischöfe Algeriens sowie die Äbte der Trappistenklöster Aiguebelle und Staouëli und zahlreiche Vertreter des Welt- und Ordensklerus von Algier.

(Quelle: Rabanus Flavus)

Die Kirche ist äußerlich im neobyzantinischen Stil gehalten und erinnert mit ihrer Kuppel- und Turmform an die Kirche Sacré-Cœur de Montmartre in Paris. Auch das Innere ist orientalisch geprägt, wobei sich blaue Ornamente von der weißen Grundfarbe abheben. Die dunkle Mutter-Gottes-Statue in ihrem blauen Mantel befand sich früher unter einem eigenen Baldachin auf dem Hochaltar direkt über dem Tabernakel. Heute steht nur noch eine Art Podest, auf dem sich die Statue befindet und in dem auch der Tabernakel untergebracht ist. Der Baldachin wurde entfernt. In der Apsis hinter der Statue befindet sich die Inschrift „Notre-Dame-d’Afrique, priez pour nous et pour les musulmans“ (unsere Liebe Frau von Afrika, bitte für uns und für die Moslems). Im Jahr 1876 erfolgte die kanonische Krönung der Marienstatue Unserer Lieben Frau von Afrika und die Erhebung der Kirche zur Basilica minor. Damit wollte Papst Pius IX. nicht nur die neue Wallfahrtskirche ehren, sondern auch der glorreichen Geschichte der nordafrikanischen Kirche mit ihren zahlreichen Heiligen, Kirchenvätern und Märtyrern seinen Tribut zollen. Heute zeugen die zahlreichen ex-Voto-Tafeln, die die Wände der Kirche übersäen, von der großen Verehrung, die neben der Bevölkerung Algiers besonders die Missionäre des afrikanischen Kontinents Unserer Lieben Frau von Afrika entgegenbrachten. Neben den steinernen Dankesgaben der Weißen Väter und Weißen Schwestern finden sich auch acht Tafeln, die der heilige Charles de Foucauld im Zeitraum von 1901 bis 1910 mit der Inschrift „Iesus Caritas“ und einem Herz-Jesu-Symbol dort hinterließ.

Ex Votos des heiligen Charles de Foucauld (Quelle: https://notre-dame-afrique.org/nos-jours/)

Mit der weltlichen Herrschaft Frankreichs hielten bedauerlicherweise auch die Irrtümer der französischen Revolution Einzug in Algerien; Priestern und Bischöfen wurde es unter Androhung von Strafen verboten, sich der Bekehrung der Moslems und Juden in der neuen Kolonie zu widmen. Der Jesuitenpater Ducat, der in Ben Aknoun bei Algier ein Waisenhaus betrieb, empfand den Umstand, dass so wenig zur Bekehrung der muslimischen Bevölkerung getan wurde, als sehr schmerzhaft. Es wurde zwar hier und da für die Bekehrung der Anhänger Mohammeds gebetet, dies geschah nach seinem Urteil aber längst nicht überall und nicht beharrlich genug. Er gründete eine Gebetsgemeinschaft, deren Zweck es war, „durch das Gebet den reichsten Segen vom Himmel auf die Eingeborenen herabzuziehen“ und berichtete bei einem Rombesuch dem Heiligen Vater Pius IX. von seinem Vorhaben. Der Papst war ebenfalls der Meinung, dass gegen den Islam ein „Kreuzzug des Gebets“ nötig sein würde. Auch Msgr. Pavy stimmte den Zielen der Gebetsgemeinschaft zu und errichtete sie im Jahr 1858 als Erzkonfraternität, die auch Mitglieder aus anderen Diözesen aufnahm. Zentrum der Konfraternität war nach den Konstitutionen zunächst die provisorische Kapelle. Alle Mitglieder sollten täglich ein Pater noster, ein Ave und ein Gloria patri mit der Anrufung „Unbeflecktes Herz Mariens, bitte für uns für die armen Ungläubigen!“ beten. Jeden Samstag wurde das Messopfer auf dem Altar Unserer Lieben Frau von Afrika für die Intention der Erzkonfraternität gefeiert; das Hauptfest war der 22. August, das Fest des Unbefleckten Herzens Mariens. Für die Mitglieder in den einzelnen Diözesen sollte jeweils ein Priester die Korrespondenz mit der Leitung der Erzkonfraternität übernehmen und die Mitgliedernamen an diese übermitteln. Die Konfraternität hatte bald mehrere zehntausend Mitglieder in ganz Frankreich. Später kamen Mitglieder aus Deutschland, der Schweiz und selbst aus den Missionen in Thailand hinzu. Besondere Förderung erhielt die Konfraternität auch durch die Weißen Väter, die 1868 von Msgr. Lavigerie in Algier gegründet worden waren und sich unter den besonderen Schutz Unserer Lieben Frau von Afrika gestellt hatten.

 Im frühen 20. Jahrhundert geriet die Konfraternität zusehends in Verfall, da die Priester Frankreichs durch die kirchenfeindlichen Gesetze von 1905 in ihrer Tätigkeit behindert wurden. Zudem überließen die Weißen Väter die Seelsorge in Algier dem Weltklerus und konzentrierten sich vor allem auf ihre Missionen an den Afrikanischen Großen Seen. Am 6. Januar 1923 errichtete Msgr. Augustin-Fernand Leynaud, Erzbischof von Algier, die Gebetsgemeinschaft neu und machte in dem dazugehörigen Hirtenbrief darauf aufmerksam, wie stark der Zug der muslimischen Bevölkerung zu Unserer Lieben Frau von Afrika war. Viele Moslems kamen und kommen noch heute in die Basilika, um zu Meriem zu beten. Er wies noch einmal darauf hin, dass die Bekehrung der muslimischen Welt mit eifrigerem und beharrlichem Gebet beschleunigt werden kann. Die Konstitutionen wurden geringfügig verändert: die Anrufung lautete nun „Unsere Liebe Frau von Afrika, bitte für uns und für die Moslems und die anderen Ungläubigen in Afrika“, während das Hauptfest auf Epiphanie gelegt wurde.

Wie viele andere Wallfahrtsorte auch haben zahlreiche Gläubige bei Unserer Lieben Frau von Afrika die Erhörung ihrer Gebete und sogar wunderbare Heilungen erfahren. So trägt sie auch den Beinamen der „Trösterin der Betrübten“ Ebenso verehrten die Seefahrer Algiers sie in einer eigenen Bruderschaft.[6]

Eine besondere Pilgergruppe brachte im Jahr 1914 Unserer Lieben Frau ihre Verehrung dar. Eine Gesandtschaft der katholischen Häupter Ugandas unter Führung ihrer Missionare, der Weißen Väter, dankte Maria für die Gnaden, die ihr Volk besonders in den vorangegangenen Jahren erhalten hatte:

„Am 19. Februar 1914 sah die Kirche U.L. Frau von Afrika bei Algier eine seltene Feier: vier der vornehmsten Baganda weihten im Namen ihrer 200.000 katholischen Landesbrüder ihr Vaterland der Mutter Gottes.

Diese Wallfahrtskirche ist mit der Geschichte der Weißen Väter und der Ugandamission innig verknüpft: hier wurde der erste Priester der jungen Gesellschaft geweiht, von hier aus sandte Kardinal Lavigerie 1878 die erste Karawane seiner Missionäre ins Herz des schwarzen Erdteils, nach Uganda.

Der Sturm einer blutigen Christenverfolgung ist seitdem über die junge Saat dahingebraust und hat Uganda und der ganzen Kirche 22 Negermärtyrer geschenkt. Und das Blut dieser Märtyrer ist der Same neuer Christen geworden: aus den 4000 Katholiken Ugandas zu Beginn der Verfolgung (1886) sind über 220.000 geworden.

Die frohen Ereignisse der letzten Jahre, die Einleitung des Seligsprechungsprozesses der Bagandamärtyrer und die Weihe der ersten Bagandapriester haben den Katholiken die Größe ihrer Dankesschuld gegen Maria wieder klar vor Augen gestellt und sie gedrängt, aus den Edelsten ihres Volkes vier Gesandte zu wählen, die der Königin Afrikas in ihrem Heiligtum den Dank des ganzen Volkes abstatten sollten. 

Zugleich sollten sie das Mutterhaus der Weißen Väter, Maison Carée, aufsuchen, von dem so viel Segen über Uganda ausgegangen, ihren erkrankten Oberhirten, Bischof Streicher, dort begrüßen und dann als Vertreter des Volkes zum Grabe des Erlösers nach Jerusalem, zum Heiligen Vater in Rom und nach Lourdes wallfahren.

Die Erwählten waren Stanislaus Mugwanja, der bekannte Justizminister des Königreichs Uganda, Alexis Pokino, Statthalter der Provinz Buddu, und der Prinz Joseph Mosonge Wulugembe, Enkel des Königs Mtesa und Vetter des jetzigen Königs. Außerdem hatte Stanislaus aus der Schar seiner 17 Kinder seinen Sohn Benedikt an der Reise teilnehmen lassen.

Am Morgen des 19. Februar wurden die vier Baganda in feierlichem Zuge in die Basilika geleitet, wo sich die Weißen Väter und Schwestern aus dem Mutterhause und dem Noviziat, der Ordens- und Weltklerus und die Katholiken von Algier und Umgebung zur Feier versammelt hatten. Nach dem Pontifikalamt, das Bischof Streicher von Uganda unter Assistenz des Bischofs Livinhac, des Generaloberen der Weißen Väter, zelebrierte, las Stanislaus Mugwanja mit fester Stimme die feierliche Weihe vor: 

‚O heiligste Jungfrau Maria, unsere Mutter, schaue auf uns Kinder Ugandas, die wir hier vor dir knien. 

Wir sind gekommen, um dir in unserem Namen und in dem aller katholischen Baganda Dank zu sagen für die wunderbare Ausbreitung, welche unsere heilige Religion in unserem Land genommen hat. 

Wir danken dir auch für die große Anzahl seeleneifriger Priester, die du zu uns gesandt hast, damit sie uns in den Wahrheiten des Glaubens unterrichten. Wir weihen dir unser Land und unterstellen es deiner Obhut. 

Nimm unsere Weihe huldvoll an und erwirke allen jenen, die unseren heiligen Glauben bereits angenommen haben, die Gnade, ihm treu zu bleiben, jenen unserer Landsleute aber, die dich noch nicht kennen, sowie die Völker rings umher, das unschätzbare Glück, katholisch zu werden und so dahin gelangen, in Wahrheit Jesus, unseren Herrn und Seligmacher, kennen und lieben zu lernen. 

Stanislaus Mugwanja, Alexis Pokino, Josefu Wulugembe.‘

‚Wiewohl wir die Worte nicht verstanden‘, schreibt ein Augenzeuge, ‚hörten wir doch aus seinem Vortrag die tiefe Ergriffenheit heraus.‘

Die schönste Freude bot dieser Tag dem greisen Generalobern der Weißen Väter[7], der als einer der ersten die frohe Botschaft in Uganda verkündet und als Oberhirte der Kirche Ugandas die blutige Verfolgung in ihrer ganzen Bitterkeit verkostet hatte.“

Wie bereits in den frühesten Tagen des Wallfahrtsortes, als sich Muslime den Prozessionen zu Notre-Dame du Ravin anschlossen, so ist die Basilika Unserer Lieben Frau von Afrika auch heute, über 60 Jahre nach Ende der französischen Herrschaft über Algerien und dem fast vollständigen Exodus der christlichen Bevölkerung, eine Stätte, an dem viele Anhänger des Islams sich den Segen von „Meriem“ erbitten. Möge Msgr. Pavys Wunsch in Erfüllung gehen und die Mutter Gottes ihnen die Erkenntnis von der Göttlichkeit ihres Sohnes Jesus Christus vermitteln.



[1] Msgr. Pavy lernte die beiden tugendhaften Frauen, die sich gemeinsam Werken der Nächstenliebe widmeten, als Vikar der Lyoner Pfarrei Saint-Bonaventure kennen.
[2] https://lesfrancais.press/algerie-la-basilique-de-notre-dame-dafrique-a-fete-ses-150-ans/
[3] Heute Bologhine genannt.
[4] Bilhard, A.: Pèlerinage de Notre-Dame d’Afrique à Alger. impr. de Lamarque et Rives, Toulouse 1858
[5] Msgr. Pavys Leichnam wurde auf seinen Wunsch nach der Fertigstellung der Basilika dorthin übertragen und vor dem Hochaltar bestattet.
[6] Lavigerie, Charles:  Notice sur le pèlerinage de Notre-Dame d'Afrique à Alger (2e éd. revue, corrigée et augmentée). Algier 1924
[7] Msgr. Léon Livinhac, erster Apostolischer Vikar von Victoria-Nyanza.

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