Mariano Antonio Espinosa, Erzbischof von Buenos Aires von 1900-1923, vorher Weihbischof |
In einem Brief von Buenos Aires heißt es: „Jedes Jahr halten die Patres in dem Gefängnis der Stadt eine Mission, die fünf oder sechs Tage lang dauert. Noch nie aber hat dieselbe so großen Segen gestiftet als in diesem Jahr. Um das, was ich erzählen will, besser zu verstehen, muss man wissen, dass dieses große Babel (Buenos Aires), das nur Vergnügen und Handel atmet, zugleich die große Gosse aller Nationen Europas ist. Man kann sich daher denken, welche Gefangenen sich in diesem Kerker befinden.
Während des gegenwärtigen Jahres unterrichtete ich regelmäßig die ‚Minderjährigen‘. Es sind dies herumirrende, nachts von der Polizei auf den Straßen gesammelte Kinder, welche ihre Eltern niemals kennengelernt haben.
Sie wissen auch weder ihren Geburtsort noch die Stadt oder Gegend, wo ihre Eltern leben. Arme Kinder! Welche große Barmherzigkeit und Liebe flößen sie mir ein, so oft ich ihnen predige! Groß ist ihre Aufmerksamkeit, dass ihnen ja kein einziges Wort verloren gehe.
Dennoch wünschte ich sie öfter und einzeln besuchen zu können, weil ich ganz überzeugt bin, dass ein Vortrag am Sonntag nicht für einen guten religiösen Unterricht genügt. Man wird mir dies leicht glauben, wenn ich sage, dass man unter ihnen — trotz ihres jugendlichen Alters — Diebe von 100.000 Mark, Mörder und Gesindel aller Arten findet.
Doch kehren wir zur Mission zurück.Die einzigen Gefangenen, welche etwas von Religion wissen, sind die sog. penados, d.h. alte Bewohner des Hauses, die schon viele Jahre lang jeden Sonntag das Wort Gottes gehört haben.
Hunderte von anderen Gefangenen aber kommen und gehen alle Monate, und diese können tatsächlich sagen: Nec, si Spiritus Sanctus sit, audivimus (wir haben auch nicht gehört, dass es einen Heiligen Geist gebe). Um dieser Unwissenheit abzuhelfen, wurden während der Mission sehr viele kleine Katechismen unter sie verteilt.
„Es stand jedem frei, der Mission beizuwohnen; kein einziger aber von den tausend oder mehr Gefangenen fehlte auch nur einen Tag. So aufmerksam lauschten sie der Predigt des Missionärs, dass man das Summen einer Mücke hätte hören können.
Wo aber das göttliche Herz seine allmächtige Güte besonders offenbarte, das war bei den Beichten, die in den letzten Tagen stattfanden. Sieben Patres aus dem hiesigen Kolleg kamen, um die Beichten zu hören, auch aus anderen Häusern und Klöstern halfen einige.
Sechshundert wenigstens legten unseren Patres ihre Beichten ab, und mit welcher Reue, mit welchem Schmerz, mit welchen Tränen! Fast alle verließen den Beichtstuhl weinend wie Kinder.
Die Minderzahl hatte seit 10 und 12 Jahren, die meisten seit 20, 30 Jahren nicht mehr gebeichtet; einige niemals im ganzen Leben.
Die meisten haben niemals gebetet und wissen gar kein Gebet; deswegen bestand die Buße darin, dass sie das Stoßgebet ‚Süßes Herz Jesu, erbarme dich meiner!‘ oder andere ähnliche sechzig- oder achtzigmal wiederholen mussten. Einem von jenen Sündern gab ein Pater als Buße auf, sechzigmal andächtig das Stoßgebet zu sprechen: ‚Herr, erbarme dich dieses armen Sünders.‘ Als er sich bitter weinend erhob, meinte er: ‚Pater, diese Worte muss ich allen, die ich treffen, sagen; nicht wahr?‘
Einige der Knaben wollten anfangs nur zum Spaß beichten.
Da zeigte ihnen ein politischer Gefangener vom vorigen Aufruhr her — alle hauptsächlichen Teilnehmer desselben sind nämlich hier eingekerkert worden — die Hässlichkeit ihres Vorhabens und ermahnte sie dann sehr, ernstlich zu beichten, was sie auch getan haben.
Er wiederholte darauf mit ihnen den Unterricht des Paters und führte ihnen denselben weiter aus; kurz, dieser Mann war während der Mission ein wahrer Apostel.
Der hochw. Bischof Espinosa, der uns sehr gewogen ist, feierte selbst vor den Gefangenen die heilige Messe und bereitete während derselben die Herzen mit einem inbrünstigen Kommunionunterricht vor.
Mehr als 500 Personen kommunizierten, und zwar mit solchem Eifer und so viel Tränen, dass der hochw. Bischof voll des Trostes fortging, indem er sagte, nie hätte er bei Menschen von so verdorbenem Gewissen so etwas für möglich gehalten, wenn er es nicht selbst gesehen hätte.
Und noch hätten mehr als hundert andere die heilige Kommunion empfangen, wenn nicht die Wärter das Frühstück, sei es aus Unwissenheit oder Unaufmerksamkeit, ihnen zu früh auf ihre Zellen gebracht hätten. Diejenigen, welche deshalb den Leib des Herrn nicht empfangen konnten, baten jedoch, dass ihnen diese große Gnade am folgenden Tag zu teil werde.
Bald nach der heiligen Messe spendete der hochw. Bischof den Gefangenen das Sakrament der Firmung.
Der oben erwähnte politische Gefangene diente mit großer Freude bei der Kommunionmesse und machte nachher den Firmpaten meiner Knaben. So verweilten die 1000 Gefangenen in der Kapelle still und andächtig von 7 ½-10 Uhr.
(Aus: die katholischen
Missionen, 1895)