Sonntag, 26. August 2012

Wie erkennt man den Beruf zum Missionar?



Im Jahr 1716 gingen aus der oberdeutschen Provinz der Gesellschaft Jesu abermals acht junge Patres in die Indianermission Peru. Einer derselben, P. Joseph Schwendtner aus Ellwangen, verfasste nach seiner Ankunft in Amerika eine umfangreiche, 27 Folioseiten umfassende Abhandlung über den Missionsberuf, in welcher er seine bisherigen Erfahrungen auf der Reise und in dem schwierigen Arbeitsfeld zu Rate zog.
Mancher, so schrieb er in die Heimat, stelle sich den Missionsberuf zu Hause anders vor, als wie ihn die Wirklichkeit später zeige. Für diese Missionskandidaten daheim sei seine Abhandlung berechnet. Wir heben hier nur kurz die Hauptgedanken heraus.
 Sie sind heute noch nützlich und zeigen, wie man damals über diese Frage dachte:

Für die Heidemission bedarf es eines eigenen Berufs, der mit dem Ordensberuf nicht ohne weiteres gegeben ist. Somit hat jeder Missionskandidat die Pflicht, seinen Beruf nach den „Regeln der Wahl“ im Exerzitienbüchlein des hl. Ignatius genauer zu prüfen. Hierzu können folgende Erwägungen dienen.

I. Die Regeln einer guten Wahl:

1. Wer recht wählen will, muss sich vor allem völlig gleichmütig stimmen, sodass er zu allem bereit ist, was Gott über ihn verfügen wird.

2. Letztes Ziel und Richtschnur ist allein die größere Ehre Gottes; diese aber wird nur da gefördert, wo der göttliche Wille einen haben will. Nicht der Erfolg, nicht die Rettung der Seelen als solche, sondern die Erfüllung des göttlichen Willens ist letztes Ziel und Hauptsache.

3. Also nicht sagen: „Ich will um jeden Preis nach Indien („Nach Indien gehen“ war der stehende Ausdruck für „in die Mission gehen“), sondern: „Ich will Gottes Willen größere Ehre fördern.“

II. Untersuchung der Beweggründe, die häufig zur Reise nach Indien drängen: 


1. Oft sind es bloße Novizengedanken, wie sie aus der Betrachtung und Lesung entstehen und als schöne Idee einem vorschweben, ohne dass eine nähere Prüfung erfolgt ist.

2. Man wird durch die Lesung der Missionsberichte so ergriffen, dass man die Stimme Christi zu hören glaubt: „komm, folge mir nach.“ Dass Christus wirklich ruft, ist damit noch längst nicht ausgemacht.

3. Man ist bereit, in seiner begeisterten Stimmung alle Kreuze „Indiens“ zu umfassen. Diese Bereitwilligkeit ist nicht echt, wenn man mittlerweile selbst die kleinsten Kreuze, die Gott einem auferlegt, abzuwerfen sucht.

4. Was im Grunde nach „Indien“ treibt, ist vielleicht das Verlangen, ferne Länder, Neues, Interessantes zu sehen oder vielleicht auch:

5. Die Sehnsucht nach dem Martyrium. Das ist schön, aber man vergesse nicht: erstens, es gibt unblutige Martyrien, die noch härter sind; zweitens, das Martyrium ist eine besondere Gnade. Bin ich derselben würdig?

6. Angenommen, es seien ganz bestimmte, klare Zeichen der Berufung vorhanden. In diesem Fall soll man sein Verlangen dem Ordensgeneral offenbaren, von dem die Entscheidung abhängt und der keinen sendet, der nicht will. Eine bloße allgemeine Bereitwilligkeit genügt aber nicht.

III. Zeichen eines echten Berufes sind:

1. Ein auf ständige Abtötung und Selbstverleugnung gerichteter Sinn.

2. Volle Seelenruhe ohne Erregung, Furcht, Besorgnis und Ungestüm beim Bitten.

3. Vollkommene Gleichmütigkeit des Willens.

4. Pflichttreue in allem, was der Gehorsam auferlegt. Der Gehorsam ist der sicherste Prüfstein eines guten Geistes.

5. Große Gaben des Verkehrs, die sich im Umgang mit dem Nächsten herausgestellt hat.

6. Kraft und Gesundheit.

7. Festes Gottvertrauen, das sich durch Einwürfe und Bedenken nicht leicht irremachen lässt.

IV. Sichere Zeichen, dass man keinen Missionsberuf hat:

1. Unreine menschliche Beweggründe, die im Hintergrund liegen (vgl. oben unter II)

2. Verschlossenheit den von Gott gestellten Führern gegenüber.

3. Neigung zum Kleinmut, indem man durch kleine Schwierigkeiten sich leicht verwirren und entmutigen lässt.

4. Wenn der Seeleneifer ausschließlich überseeischer (exotischer) Art ist, d.h. wenn es gerade „Inder“ seine müssen, die man retten will, während einem die Seelen im eigenen Lande wenig am Herzen liegen und man Arbeiten dieser Art nur ungern übernimmt.

Nicht immer wird es gelingen, bei der Prüfung der Zeichen eines wahren Berufs zur vollen Klarheit zu kommen. In solchem Fall bete man um Erleuchtung zu Gott und frage erleuchtete Personen um Rat.

V. Bedenken und Einwürfe gegen den Missionsberuf:

1. Ich bin unwürdig.

2. Die Gefahren für Leib und Seele sind zu groß. Schreckende Vorstellungen von allerhand Gefahren steigen auf: der Urwald, die wilden Tiere, das heiße Klima, die weite Entfernung, die Einsamkeit, die Trennung von der Heimatprovinz, in der man so viele Jahre glücklich gelebt hat.

3. Die Schwierigkeiten der langen Reise zu Wasser und zu Land.

4. Die Schwierigkeit der Sprache usw.

Alle diese und ähnliche Bedenken können einen wahren Apostel nicht schrecken.

VI. Wirkliche Schwierigkeiten und Gefahren für den Missionär:

Sie liegen hauptsächlich auf dem Gebiet der brüderlichen Liebe und Eintracht, die gerade in den Missionen so notwendig ist.
Man muss sich deshalb anpassen können an alle und im Interesse des Ganzen auf eigene, auch berechtigte Wünsche, Urteile und Meinungen verzichten lernen. Große Schwierigkeiten in dieser Hinsicht bieten:

1. Der National- und Provinzgeist, der nur das eigene gelten lassen und sich an fremde Anschauungen und Sitten nicht gewöhnen will. Das führt zu Klagen, zum Kritisieren und zu Unstimmigkeiten.

2. Abneigung vor der fremden Sprache, die einen abhält, dieselbe mit Eifer zu lernen, wie die Regel und die Liebe es fordert.

3. Der Disputationsgeist in wissenschaftlichen Fragen.

4. Schärfe und Unverträglichkeit im Verkehr.

Um es kurz zusammen zufassen: der Beruf zum Missionär ist etwas Schönes und Großes, aber er schließt Opfer und Gefahren in sich, deren nicht jeder gewachsen ist, und stellt Anforderungen an Leib und Charakter, die nicht jeder erfüllt.
Darum ist ernste Selbstprüfung der Kandidaten und sorgsame Auslese seitens der Obern dringend geboten.


(Aus: die auswärtigen Missionen, 1918)