Mittwoch, 4. Dezember 2013

"Mein Blut kocht in mir" – Ein katholischer Bischof als Verteidiger der Aborigines

Matthew Gibney, Bischof von Perth (+1925)

Während in Tasmanien die Ausrottung der Ureinwohner schon seit Jahrzehnten zur vollendeten Tatsache geworden, führt man auf dem westaustralischen Festland den Vernichtungskrieg gegen die einheimische Rasse unerbittlich weiter. 

Allerdings erheben in allerneuster Zeit die einflussreichsten englischen und australischen Blätter entschieden ihre Stimme gegen eine aller Zivilisation hohnsprechende Behandlung der Eingeborenen. Tatsachen werden an die Öffentlichkeit gebracht, denen gegenüber die maßgebenden Behörden nicht mehr länger das Auge zudrücken können. Offizielle Dementis finden bei dem Publikum keinen Glauben mehr, und so besteht die Hoffnung, dass wirksame Maßnahmen gegen die Ausrottung der hilflosen Rasse ergriffen werden. 

Als einer der Hauptankläger, dessen Ansehen auf die öffentliche Meinung den gewichtigsten Einfluss ausübt, tritt Bischof Gibney von Perth auf. „Niemand ist berufener als er“, meint der Western Australian Record, „in der Eingeborenenfrage ein Wort mitzusprechen. Er hat unter den wildesten Stämmen gelebt; er ist in Gegenden vorgedrungen, wohin bis jetzt kein Weißer sich hingewagt, ohne bis an die Zähne bewaffnet zu sein; er hat ihre Lage und ihre Bedürfnisse studiert wie kein zweiter.“ 

Bischof Gibney lässt sich in seiner Anklage von den lautersten Beweggründen leiten. Weder persönliche Freundschaft noch politische Rücksichten hielten ihn ab, die Dinge so darzulegen, wie er sie gefunden, und so erhebt sein Zeugnis den Anspruch auf unbedingte Glaubwürdigkeit. 

„Mein Blut kocht in mir“, schreibt der australische Kirchenfürst, „wenn ich an die Grausamkeiten denke, welche durch unsere Gefängnisbehörden verübt werden. Die Behandlung, welcher die Eingeborenen in den Gefängnissen von Broome und Derby wegen der ihnen aufgebürdeten Verbrechen des Diebstahls eines Schafes oder wegen einer Desertion unterworfen wurden, wären nach der Meinung eines jeden, der noch an eine göttliche Gerechtigkeit auf Erden glaubt, hinreichend, den Fluch auf das ganze Land herabzuziehen. 
Verurteilt zu 3, 6 oder 12 Monaten Gefängnis, sind diese unglücklichen Geschöpfe Tag und Nacht in Eisen und Fesseln geschlagen. So arbeiten sie auf offener Landstraße in der blasentreibenden Hitze der tropischen Sonne, am Hals und an den Beinen aneinander gekettet. 

Als sie so dasaßen, Steine klopfend, konnte ich ihre durch Hitze und Ketten hervorgerufenen Hitzblasen auf ihrem Nacken sehen. Und selbst wenn die armen Menschen völlig erschöpft hinsanken, wurden sie nicht von ihren Fesseln befreit; erst der Tod erlöste sie davon. Das ist der Anteil an der Zivilisation, welchen die ‚dienenden Geister‘ (Beamte) des Nordens den Küstenstämmen bringen. 
Was Wunder, wenn heute in der Umgebung der Städte an der Nordwestküste kaum noch die Hälfte von der schwarzen Bevölkerung übrig geblieben ist, die zur Zeit der ersten Ansiedlung hier wohnte.“ Und wie und auf welche Gründe hin füllen die Behörden ihre Zuchthäuser? Von den vielen haarsträubenden Begebenheiten nur eine.

Ein gewisser Ansiedler (squatter), der an der Küste eine große Zahl Eingeborener beschäftigt, trieb einst Hornvieh ins Innere. Eine Zahl Eingeborener und Chinesen begleiten ihn. Bei seiner Rückkehr führte er 20 Gefangene mit sich und davon über die Hälfte Mädchen, um damit seine angestellten jungen Leute zu versorgen und sie so zu hindern, seinen Dienst zu verlassen. 
Die Gefangenen waren zwar nicht gefesselt, aber von den Eingeborenen und Chinesen so umringt, dass sie nicht entwischen konnten. 

Ein Weißer, der durch das Lager kam, sah noch die Spuren eines Kampfes, der die Nacht zuvor mit Angehörigen, dessen Männer und Frauen geraubt worden, stattgefunden hatte. 
Dieselben waren den Räubern gefolgt, um ihre Stammesgenossen zu befreien. Der Farmer hatte bei dieser Gelegenheit einen Speer in den Arm erhalten; einige Reitsattel, welche man in Erwartung eines Angriffs zur Täuschung als Strohpuppen hingelegt hatte, waren mit Speeren überschüttet und einige eingeborene Arbeiter bei dem Überfall getötet worden. 
Man drängte den unliebsamen Zeugen zur Weiterreise; aber er hatte genug gesehen, um festzustellen, dass dieser Frauenraub nur einer von den vielen sei, zu deren Kenntnis er während seines langen Aufenthalts im Norden gekommen war. 

Und nun der Ausgang der Sache! In die Stadt zurückgekehrt, meldete der Farmer der Polizei, er, seine Leute und sein Vieh seien von den Schwarzen überfallen worden. Natürlich fand er Glauben. Auf seine Aussage hin wurde einige Zeit nachher eine Anzahl Eingeborener unter dem Vorwand, sie seien mitschuldig an dem Überfall, festgenommen und zur Strafe mehrere Monate lang an den Schubkarren geschmiedet.“

Angesichts solcher Tatsachen hatte sich Bischof Gibney schon früher klagend an die Königliche Kommission gewandt, jedoch vergeblich. Vorgekommene „Unregelmäßigkeiten“ wurden bemäntelt und die eingeleitete Untersuchung niedergeschlagen. „Ist aber diese Vertuschungspolitik auch heute noch am Platze?“ fragt der Kirchenfürst. „Erregen nicht die schönfärberischen Berichte der Regierungsbeamten den begründeten Verdacht, dass sie selbst Mitschuldige an ähnlichen Vorkommnissen sind?“ 
Gewiss gäbe es unter den Ansiedlern unbescholtene Leute; viele aber schienen das Naturgesetz: „Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen“, kaum zu kennen. Als Haupt der katholischen Kirche in diesem Staate könne er nicht länger stillschweigend zusehen, wie Tausende armer Eingeborener, die doch ein besonderes Anrecht auf den Schutz der Regierung hätten, an Leib und Seele zu Grunde gerichtet würden. 

Der Bischof rät sodann die Einführung von Reservationen für die Eingeborenen an.  Dieses System sei von den Vereinigten Staaten schon lange angenommen worden und habe den Indianer ungeheure Vorteile gebracht (?). 

Auf diese Weise werde dieses Brandmal der Schmach und Schande von Nordwest-Australien verschwinden. Aber derjenige, welcher den Titel „Beschützer der Eingeborenen“ führe – er meint damit den mit der Eingeborenenfrage betrauten Regierungskommissär -, dürfe dann nicht hinter dem grünen Tische in der Hauptstadt sitzen bleiben, sondern müsse in das Herz der Kolonie vordringen und mit dem Eingeborenen selbst in lebendige Berührung kommen.(…)


(Aus: die katholischen Missionen, 1904)