Freitag, 15. Mai 2015

Große Missionsbischöfe: die drei Titularbischöfe von Acanthus (Teil 3) – Msgr. Joseph Simon Theurel M.E.P., Apostolischer Vikar von West-Tongkin

Vorletzter Vorgänger: Mgr. Pierre-André Retord

Joseph Simon Theurel wurde am 28. Oktober 1829 in der Erzdiözese Besançon geboren. Er war der Sohn einer wackeren Bauernfamilie, die wohlhabend genug war, ihren Kindern eine höhere Ausbildung angedeihen lassen zu können, freigebig genug, um sie ihnen zuzuwenden, und fromm und rechtschaffen genug, um ihnen dieselbe wahrhaft zum Segen werden zu lassen. Zwei der Söhne wurden Priester, eine Tochter Nonne und ein dritter Sohn, Joseph Simon nämlich, sogar Bischof.

(…) Nachdem er seine Studien noch mehrere Jahre in Luxeuil und Besoul fortgesetzt, trat er im November 1848 ins Priesterseminar von Besançon, von welchem er jedoch schon im folgenden Jahr, nach langer, aufrichtiger Selbstprüfung von seinem Beruf zum apostolischen Leben überzeugt, in das Seminar der auswärtigen Missionen in Paris übertrat. Drei ernste, aber zugleich unendlich freudenreiche Jahre brachte er in dieser ehrwürdigen Anstalt zu, welche der Kirche schon so viele Martyrer, Bekenner und Apostel gegeben und den Glauben Christi in so vielen Ländern der Erde gepredigt hat. Was ihn nicht zum wenigsten hier anzog, war der „Saal der Martyrer“, wo zahlreiche Reliquien die hohen Ziele dieser apostolischen Schule verkündeten. „Unser Empfangssaal“, schrieb er, „hat keine weichen Sessel; von seinen Vorhängen wird man bald sagen, dass sie vor Zeiten einmal rot gewesen sind; aber er ist geschmückt mit Fesseln, mit Bambusstäben, mit blutgetränkten Matten und mit glorreichen Reliquien. O wenn Sie wüssten, wie gut man betet und man seinen Mut wachsen fühlt im Anblick dieser ehrwürdigen Überreste derjenigen, die unsere Freunde, unsere Vorgänger sind!“.

Im Juni 1852 erhielt er die freudige Nachricht, dass er zu der gefahrvollsten aller Missionen, derjenigen von Tongkin, auserlesen sei. Am 5. dieses Monats besiegelte die heilige Priesterweihe das Opfer seines Lebens, und obgleich er die erste heilige Messe im Kreise der Seinen in der Franche-Comté las, so waren doch keine zärtlichen Bitten noch Tränen, keine irdischen Rücksichten, nicht einmal die günstigen Aussichten, die ihm Kardinal Gousset von Reims stellte, im Stande, ihn von dem gebrachten Opfer zurückzubringen oder in Europa zurückzuhalten.

[Sein Wirken als Priester wird hier aus Gründen der Länge übergangen, um direkt zur Bischofsweihe überzugehen.]

Mit dem Tod von Msgr. Retord, der für die Kirche in Tongkin ein so gewaltiger Schlag war, traf merkwürdigerweise gleichzeitig eine Verfügung der Missionsoberen in Paris zusammen, welche P. Theurel plötzlich nach Europa zurückrief, um ihn dort zu einem der Direktoren des großen Missionsseminars zu machen. Die Lage war schwierig; auf die einstimmige Bitte des Klerus von Tongkin glaubte Msgr. Jeantet, der unmittelbare Nachfolger Msgr. Retords, den tüchtigen Missionär, der allgemein als einer der kräftigsten Pfeiler der Mission galt, zurückhalten und den Oberen in Paris erst bescheidene Gegenvorstellungen einreichen zu sollen. P. Theurel blieb aber nicht nur, sondern, abermals auf Bitten des gesamten Missionsklerus, ernannte Msgr. Jeantet, der schon 67 Jahre alt war und einer zuverlässigen Stütze seines Greisenalters zu bedürfen glaubte, ihn zu seinem Koadjutor. Der junge Generalvikar schützte sein Alter vor (er zählte erst 29 Jahre), um der bischöflichen Würde zu entgehen, aber der apost. Vikar beharrte bei seiner Verfügung, und so ward Msgr. Theurel zum Bischof von Acanthus geweiht.

„Lieber Anselm“, so beschreibt er selbst in einem Brief an einen seiner Jugendfreunde die seltsame Wahl und Konsekration, „da Se. bischöfl. Gnaden den Religionsfrieden vor uns fliehen sah, wie einen Schatten, so hielt er es für angemessen, sich einen Koadjutor zu geben. Eines Tages, da ich mich eben in einem Büffelstall aufhielt, erhielt ich Befehl, augenblicklich Exerzitien zu machen und dann mich beim Bischof einzufinden. Nachdem ich, seiner Anordnung gemäß, Exerzitien gemacht hatte, kam ich in zwei Nächten an den verabredeten Platz unseres Stelldichein. Am folgenden Tag fand die Wahl statt, am dritten die Konsekration. Es war der 6. März 1859. Kein großer Luxus wurde dabei entfaltet. In Ermangelung unserer europäischen Mitbrüder, von denen keiner sein Versteck verlassen durfte, erfüllten zwei annamitische Priester die Funktionen der assistierenden Bischöfe; als Stab hatte ich ein Bambusrohr, das im nächsten Wald geschnitten und mit Goldpapier überklebt war und aus dem ein spiralförmig in sich zurückgedrehtes Stück festen Seils hervorragte. Ich hatte keine [liturgischen] Strümpfe, von Handschuhen keine Rede. Zwei Stunden vor Sonnenaufgang war die Zeremonie schon vollendet. So wird man in Tongkin Bischof von Acanthus! Du wirst es zweifelsohne etwas keck finden, dass ich mir die Handauflegung erteilen ließ; ich finde das auch und ich hätte Gründe genug gehabt, mich ihr zu entziehen; aber in den schrecklichen Umständen, in welchen wir uns befinden, hätte eine längere Weigerung von meiner Seite noch größere Verwirrung herbeigeführt: ich musste mich zum Bischof weihen lassen. Flehe nichtsdestoweniger zu Gott um Verzeihung für die Leichtigkeit, mit der ich mich in dieser Angelegenheit der Ansicht der anderen unterwarf, und erflehe mir von ihm größere Klugheit und größeren Mut, damit ich nicht untersinke in diesem Meer von Bedrängnis, sondern früher oder später an dem Hafen jenes Friedens lande, den die Welt nicht geben kann.“

Um dieselbe Zeit schrieb er an seine Schwester in Frankreich: „Was mir hohen Mut verleiht; indem ich die Würde des Episkopats auf mich nehme, ist, dass ich mich mit der Armut, dem Leiden und dem Elend vermähle.“ Wie er bei seiner Weihe das Brustkreuz und den Ring Msgr.
Retords erhielt, so nahm er auch dessen Titel an: „Fac me cruce inebriari“ (Lasst mich vom Kreuze berauscht werden), und so war denn auch seine bischöfliche Verwaltung nur eine verschärfte und härtere Fortsetzung der Leiden und Mühsale, welche Msgr. Retord getragen hatte.

Die Einnahme der Festung Turanne und die Besetzung der Halbinsel Saigon durch die Franzosen hatte den Grimm des Kaisers Tự Đức und seines Anhangs mächtiger denn je entflammt, und das Kreuzen der europäischen Flotte an der Küste hatte nur zur Folge, dass diese immer strenger bewacht und dadurch den Missionären jeder Weg zur Flucht abgeschnitten wurde. Außer dem Aufenthalt in den Gebirgswäldern, wo der Tod am Fieber in fast sicherer Aussicht stand, blieb ihnen nichts übrig, als sich in unterirdischen Höhlen und Schlupfwinkeln den Tag über verborgen zu halten und nachts die Christen heimlich aufzusuchen, zu trösten, mit den heiligen Sakramenten zu versehen und dann entweder wieder in die ungesunden Schlupflöcher zurückzukehren, oder durch Wald und abgelegene Wildnisse nach einem anderen Versteck umherzusuchen. Msgr. Jeantet war bei seiner ersten Flucht mit knapper Not dem Ertrinken entgangen; sowohl seines Alters als seiner Würde wegen hielten es die Missionäre für eine Ehrensache, ihm die erträglichsten und sichersten Verstecke zu überlassen, während sie selbst gleichsam unter den Fangarmen der Verfolger von einem Schlupfwinkel zum anderen unstet umherwanderten. An ihrer Spitze, der mutigste und unerschrockenste von allen, leitete Msgr. Theurel die gesamte Mission, unterhielt die Verbindung der Priester untereinander und mit Msgr. Jeantet, erteilte die nötigen Befehle, arbeitete die bischöfl. Rundschreiben aus, überwachten die einzelnen Gemeinden, sorgte für ihre dringendsten Bedürfnisse, nahm sich der Gefangenen und der Bekenner des Glaubens an, und schrieb endlich selber die Akten der Martyrer. All überall und nirgends, wie einst der hl. Athanasius, machte er, unter dem sichtbaren Schutz der Vorsehung, alle List und Gewalt der Heiden zu Schanden und erhielt die hartbedrängte Kirche West-Tongkins in Einigkeit des Glaubens, der Liebe und des standhaftesten Heldenmuts.

Den Sieg und die Befreiung der annamitischen Kirche zu schauen, sollte Msgr. Theurel nicht vergönnt sein. Aber er sah wenigstens den Waffenstillstand, welcher jenen Sieg vorbereitete, und die Anfänge der Ernte, welche aus so viel Leiden und Martyrblut emporzusprossen begann. Noch im Oktober 1862 wurden die Christen in den meisten Bezirken freigegeben und in ihre heimatlichen Dörfer zurückgeschickt. Die Missionäre Charbonnier und Mathevon wurden aus ihren Käfigen, in welchen sie zehn Monate geschmachtet hatten, entlassen. In christlichen Dörfern trat das Christentum wieder aus dem Versteck hervor, die zerstreuten Gläubigen sammelten sich aufs Neue um ihre Hirten; abgefallene Christen strömten von allen Seiten zum Priester herbei, um ihren Abfall durch aufrichtige Buße zu sühnen. Nachdem im Lauf des Jahres 1863 die Pfarrverwaltung wieder in Gang gebracht war, sorgte Msgr. Theurel vor allem für die Erziehung eines einheimischen Klerus. Schon Ostern 1864 zählte sein Seminar, das er selbst leitete und in dem er selbst lehrte, wieder 40 Zöglinge, darunter 6 Diakone, 9 Subdiakone, 10 Minoristen und 15 Tonsurierte. Dazu hatte er eine Lateinschule mit 6 Klassen und 110 Schülern ins Leben gerufen, die auf drei Dörfer verteilt waren. Bischof und Pfarrer, Seminardirektor und Professor in einer Person, suchte der unermüdliche Apostel allen alles zu werden und den schwachen Zugeständnissen der Regierung den größtmöglichen Grad kirchlicher Freiheit und kirchlicher Lebensentfaltung abzugewinnen, als eine heftige Dysenterie seine Gesundheit zu zerstören und seine Kraft zu lähmen anfing. Nach vielen vergeblichen Versuchen, in Saigon, Hong Kong und Singapur seine Gesundheit herzustellen, musste er 1865 in der Heimat Genesung suchen; wirklich konnte er auch im Herbst 1866 seine Arbeiten in West-Tongkin wieder aufnehmen. Aber die einmal erschütterte Gesundheit widerstand den großen Beschwerden seines Amtes und den Anforderungen, die sein Seeleneifer an ihn stellte, nicht lange mehr. In noch jugendlichem Alter von 39 Jahren wurde er vom Herrn des Weinbergs am 3. November 1868 abberufen, um aufs Neue mit seinem Freund, dem ehrw. [heute heiligen] Martyrer Vénard, vereinigt den Lohn seiner Arbeiten und Mühen zu empfangen.


(Aus: die katholischen Missionen, 1878)