Donnerstag, 14. Mai 2015

„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“



Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker, und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“ (MT 28, 18–20)

Andächtige Christen! „Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch“ (Jo, 7, 46). So bekannten einst voll Staunen die Juden von Jesus Christus. So müssen auch wir voll Staunen die Bewunderung heute bekennen. Nein, so wie Jesus Christus gesprochen hat, als er vor seiner Himmelfahrt das Missionswerk übertrug, hat noch kein Mensch gesprochen. Kein Meister hat so zu seinen Schülern, kein König so zu seinen Untertanen gesprochen. Keine Aufgabe ist je in diesem Umfang gestellt, kein Anspruch je in dieser Größe erhoben worden. Alle Gewalt! Die ganze Welt! Alle Völker!

Alle Gewalt! Ein gewaltiges Wort! Den ganzen Erdkreis will es beherrschen und in die Himmel will es gebietend hinaufsteigen: Machtvolle Eroberer sind im Laufe der Zeiten aufgestanden und große Machtansprüche haben sie erhoben; aber Himmel und Erde hat keiner von ihnen eingefordert. Ein solcher Machtanspruch hätte sie trotz ihrer großen Gewalt ebenso lächerlich gemacht wie jeden anderen Menschen. Nur einen kennt die Geschichte, der eine Gewalt über Himmel und Erde für sich beansprucht hat, nur einen, und dieser eine ist Jesus Christus. Und in seinem Mund finden wir das Wort natürlich und selbstverständlich. Ja, wir fühlen es, bis in das Innerste unseres Verstandes und unseres Herzens sind wir davon durchdrungen: Jesus Christus hat ein Recht, so zu sprechen.

(…) „Darum“ hatte der göttliche Heiland gesagt. Den Missionsbefehl stützt er mit aller Entschiedenheit und mit allem Nachdruck auf Seine göttliche Autorität. Das Gehen in alle Welt und das Lehren bei allen Völkern folgert er aus seinem unumschränkten Machtgebiet und aus seiner unumschränkten Machtfülle. Der Berg, auf welchem Christus seine Jünger versammelt hat, ist der Berg des Missionsgesetzes, der Sinai des Neuen Bundes. Kraft seiner Autorität hatte Gott einst auf Sinai zu seinem auserwählten Volk gesprochen: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine fremden Götter neben mir haben“ – das auserwählte Volk des Alten Bundes sollte die wahre Gotteserkenntnis bis zur Fülle der Zeit bewahren. Kraft seiner Autorität, die Himmel und Erde umfasst, spricht auch Christus zu seinen Jüngern: „Mir ist gegeben alle Gewalt, darum gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker!“ Das auserwählte Volk des Neuen Bundes soll die wahre Gotteserkenntnis verbreiten bis an das Ende der Zeiten.

(…) Unser heutiges Festevangelium des hl. Markus schließt mit den Worten: „Sie aber“ – die Jünger nachdem sie die letzten Worte des Herrn vernommen und dieser aufgefahren war – „gingen aus und predigten allerorten, während der Herr mitwirkte und das Wort bekräftigte durch die nachfolgenden Zeichen.“ Die Apostel gingen an ihre Missionsarbeit. So gehen auch wir, andächtige Christen, an unsere Missionspflicht. Gott will es! Gott will es! Das ist der Gedanke, der uns begleiten muss. Gott will es, dass das Evangelium in der ganzen Welt unter allen Völkern verkündet werde. Amen.

(Aus: Robert Streit O.M.I.: Missionspredigten, Herder, 1913)