Mittwoch, 29. Juli 2015

Der Missionar – ein freiheitsliebender Abenteurer?


Man hat mir schon gesagt. „Euch ältere Missionäre zieht der Drang nach Freiheit in die Mission zurück.“ Freiheit? Gewiss, frische Luft atmen wir dort den ganzen Tag, nicht die verdorbene zwischen vier Wänden. Auch kann Eifer und Tatendrang, weil ungehemmt, dort Großes leisten – dem Bürokratismus sind die Tropen zu schwül. Im Übrigen aber befolgen wir von morgens halb fünf bis abends 10 Uhr eine straffe, anstrengende Tagesordnung: da fehlt keine Übung des religiösen Lebens – nur die nötige Erholungszeit! Unterricht und körperliche Arbeit folgen sich tagsüber, und die Nachtruhe wird meist noch gestört, weil die Schwarzen den Missionär als Arzt und Priester zu jeder Zeit und für jede Kleinigkeit rufen, nicht bloß in Lebensgefahr; an ihm daraus erwachsende Gefahren denken sie nicht.

Die zweite und dritte Ausreise fällt dem Glaubensboten meist schwerer als die erste, wo noch der Reiz der Neuheit und Erwartung ihn trägt. Was aber zieht ihn dennoch wieder in die Mission zurück? Er hat das Elend der Heiden geschaut und ein mitleidsvolles Herz glüht darum in seiner Brust. Hunger und Durst nach der erlösungsbringenden Lehre hat er bei den Naturvölkern gefunden, begeisterte Liebe für Christus und heldenhaften Opfersinn in Erfüllung ihrer Christenpflichten, dazu eine kindliche Anhänglichkeit und tätige Dankbarkeit für ihren Missionär, der ihr Seelenretter und Bringer wahren Glückes ist. Solche Gesinnung ist es, die anzieht.


(Aus: Fräßle, Joseph: Negerpsyche, Herder, Freiburg, 1926)