Sonntag, 20. Dezember 2015

Die Mission als Johannesamt (Teil1)



„Bereitet den Weg des Herrn, machet eben seine Pfade.“ (LK 3, 4)

Andächtige Christen! In diesen Tagen rüsten wir uns, um den feierlichen gnadenreichen Gedenktag zu begehen, an dem der Herr in Liebe und voll Erbarmung zu uns Menschen gekommen ist. Unser christlicher [lies jeweils: katholischer] Name, den wir tragen, unser christlicher Glaube, den wir bekennen, unsere christlichen Kirchen, Häuser und Herzen sind ein Beweis dafür, dass wir das Heil Gottes geschaut haben. In dieser heiligen Adventszeit suchten wir durch getreuere Pflichterfüllung, durch würdigen Empfang der heiligen Sakramente, durch einen christlichen Lebenswandel dem Herrn den Weg in unserer eigenen Seele zu bereiten, um dadurch in eine noch engere und innigere Gemeinschaft mit ihm zu gelangen. Wir übten das Johannesamt zunächst an unserer eigenen Seele.
Eines aber bleibt noch zu tun übrig. „Schauen wird alles Fleisch das Heil Gottes“, so heißt es in unserem Evangelium, und dennoch sehe ich eine ganze Welt vor mir, die noch nicht das göttliche Heil geschaut hat, Millionen von Heiden erblicke ich, denen noch nicht die Herrlichkeit des Herrn geoffenbart worden ist, denen noch nicht der Weg des Herrn bereitet und seine Pfade geebnet worden sind. Und warum nicht? Es hat sich für sie noch kein Johannes gefunden.

Andächtige Christen! Wir müssen das Johannesamt nicht nur an unserer eigenen Seele üben, sondern auch an den Seelen unserer Mitmenschen. Wir müssen besonders helfen, dem Herrn den Weg bereiten und die Pfade ebnen zu jenen, zu denen er noch niemals gekommen ist. Wir müssen besonders das Johannesamt an der Heidenwelt üben, und wir tun das durch unsere rege Anteilnahme an der Heidenmission. Die Mission unter den Heiden ist wahrhaft die große Wegbereitung für das Kommen des Herrn, sie ist wahrhaft das herrliche Johannesamt, das unsere heilige katholische Kirche immer und überall als ein ihr zukommendes Recht, aber auch als eine ihr auferlegt Pflicht betrachtet hat.

Und wenn es in unseren Tagen den Anschein hat, als ob durch die Zeitlage eindringlicher denn je das Wort des Herrn geschieht und zur Heidenmission auffordert, und wenn es uns sichtbar vor Augen tritt, wie überall dem Wege des Herrn sich Hindernisse entgegentürmen, wie überall in allen Ländern und allen Völkern ein letzter Entscheidungskampf sich rüstet, dann, andächtige Christen, muss das Wort des Evangeliums unsere Wahlparole werden: „Bereitet dem Herrn die Wege!“, dann muss ein jeder von uns der Heidenwelt ein Johannes werden und an ihr das Johannesamt ausüben. Nach dem Vorbild des hl. Johannes können wir und sollen wir das

1. durch unser Beispiel,
2. durch unsere Unterstützung

Durch unser Beispiel: Gott zählt auf unseren guten Willen. In seinem göttlichen Plan, den er zur Rettung der Heidenvölker entworfen, in seinem göttlichen Missionsplan sind alle menschlichen Hilfsmittel zur Förderung und zur Verwirklichung dieses Planes aufgenommen. Da steht verzeichnet das Leben und das Blut unserer Missionäre, das stehen mitberechnet ihre und unsere Opfer, Gebete und Tränen, da stehen unsere Namen aufgeschrieben als Beförderer des göttlichen Missionswerks.
O andächtige Christen, bedenken wir es wohl: Gott rechnet auf uns! Wir sind es, die den Weg des Herrn zu den Heiden bereiten oder erschweren, die die Ankunft des Herrn bei den Völkern beschleunigen oder verzögern.

Durch die Entwicklung der modernen Verkehrsmittel haben Länder und Völker einander sich genähert. Asien und Afrika schicken die besten ihrer Söhne nach dem christlichen Europa, um zu lernen und zu studieren. In Europa lernen sie nun aus eigener Anschauung jene Religion kennen, die ihnen die fremden Missionäre in ihr Heimatland gesandt hat, um ein neues Glaubens- und Sittengesetz zu verkünden. Aber woher kommt es zum größten Teil, das diese Fremdlinge wieder in ihr Land zurückkehren, überladen vielleicht mit europäischem Wissen und Können, aber erfüllt mit Verachtung für die christliche Religion? Es kommt daher, weil sie so viele Christen kennen gelernt haben, deren schlechtes Leben ihnen zum Ärgernis geworden ist. Das Ärgernis wälzt sich wie ein großer Stein auf den Weg des Herrn, und es fehlte Johannes, der Wegbereiter und Pfadebner, der ihn beseitigt hätte.

Euer christliches Beispiel wird sein wie „die Stimme des Rufenden in der Wüste“. Die Vorurteile, welche die Heiden gewöhnlich gegen den christlichen Glauben haben und die sich als große Hindernisse der Bekehrung in den Weg stellen, werden dadurch hinweggeräumt werden; die Bedenken, die sich aus mancherlei Ursachen ergeben und die Annahme der christlichen Religion verzögern, werden dann schnell verschwinden. Dem Herrn wird der Weg bereitet und die Pfade werden ihm geebnet sein durch das Johannesamt eures guten Beispiels unter den Heiden, und „alles Fleisch wird das Heil Gottes schauen“.

(Aus: Robert Streit O.M.I.: Missionspredigten, Herder, 1913, leicht angepasst)

Fortsetzung folgt...