Sonntag, 7. Mai 2023

„Es werden mich selig preisen alle Geschlechter“: Die Maiandacht in den Missionen

 Von Jos. Peters S.J.[1] 

In einem ausführlichen Artikel, der 1925 in Die katholischen Missionen erschien, beleuchtet P. Peters S.J. die positiven Einflüsse auf das religiöse Leben, die die damaligen Übungen der Maiandacht in den Missionsländern hervorriefen. So schreibt er: „Wir können (…) in voller Wahrheit sagen, dass im Allgemeinen die Maiandacht in den Missionen als eine Gelegenheit zu ernstem Tugendstreben aufgefasst wird, dass die Priester über besonderen Eifer im Sakramentenempfang berichten, dass auch die lieben Kleinen angehalten werden, durch kleine Opfer ihre Liebe zu Gottesmutter zu bezeigen. All die schönen Sitten, wie sie im Mai in unseren Erziehungsanstalten in Übung sind, und in denen besonders gute Ordensschwestern sich so erfinderisch zeigen, finden sich in den Missionen wieder. Auch die kleinen Neger schreiben Briefchen an die Muttergottes, sie wollten in diesem Monat recht brav sein und ihren Charakterfehler bekämpfen; auch in den Missionen bringen die Kinder jeden Morgen ein Sträußlein frischer Blumen zum Maialtar. Mit besonderer Vorliebe hören sie die „Marienbeispiele“. Namentlich in den vielen Waisenanstalten und den Findelhäusern ist der Mai ein Freudenmonat. Darüber wird nie eine Missionschronik gebührend berichten können, wieviel Trost und Kinderglück die Maiandacht mit ihren schönen und reinen Phantasiebildern in die empfänglichen Herzen dieser mutterlosen Waisen strahlt.

Hübsch beschreibt eine italienische Missionsschwester aus Mangalore, wie ihre Kleinen sich allabendlich um das festlich erleuchtete Marienbild im Hofe der Waisenanstalt versammeln. Eine auserlesene Schar gruppiert sich mit leuchtenden Sternen um den Maialtar. Dann singt man einige Marienlieder und betet das „Memorare“, um dann mit einem Kusshändchen von der Mutter Abschied zu nehmen. In der Veranstaltung echt kindlicher, naiver Maifeiern sind namentlich die Italiener und Spanier Meister. Sie treffen damit vollkommen den Geschmack der Missionsvölker, mag auch dabei nicht alles unserer Art entsprechen.

Ein liebliches Maibild entwirft ein französischer Salesianer aus Indien: ‚Auch im Mai kommen die Kinder gerne und knien am Altar der Muttergottes nieder. Sie sind noch ganz grau vom Staub der Felder, ihre Kattunläppchen starren von Schmutz. Einander stoßend und schiebend wie ein Schwarm aufgescheuchter Sperlinge ordnen sie sich um das Bild. Eines der Kinder reicht zum Bilde der himmlischen Mutter einen Arm voll indischer Blumen hinauf, und alle beginnen auf den Knien ihr Gebet. Das Thermometer mag 30–35 Grad zeigen: ihre Andacht wird dadurch nicht beeinträchtigt. Ein Ave löst das andere ab, und so würde es stundenlang dauern, wenn man diese Kinder gewähren ließe. Zum Schluss ihrer Andacht singen sie eines ihrer schönen Marienlieder in einheimischer Sprache.‘

Unter den Maisitten der Missionen verdienen besondere Erwähnung die Blumenhuldigungen. Auf den Philippinen treten an jedem Samstagmorgen des Mai unter dem Gesang des „Salve Regina“ die Anwesenden an den Altar und opfern ein Körbchen mit Blumen, das der Priester dann vor das Marienbild stellt. Weit kindlicher sind die in Mittel- und Südamerika üblichen Blumenhuldigungen durch weißgekleidete Mädchen, denen sich manchmal Knaben in den Trachten jugendlicher Heiliger, wie des hl. Stanislaus, des kleinen Johannes des Täufers usw., zugesellen. Es ist allerdings bezeichnend, dass man bei diesen Berichten in den Missionszeitschriften oft die Bemerkung findet: ‚Das Volk läuft eifriger zur Maiandacht als sonntags zur Messe‘, dass ferner ein brasilianischer Missionar die Bemerkung macht: ‚Erst die Teilnahme ihrer Kinder an der Blumenhuldigung veranlasst manche Eltern zur Erfüllung ihrer österlichen Pflichten.‘ Immerhin steckt in diesen Gebräuchen eine uralte katholische Überlieferung und eine Glaubensinnigkeit, die uns die wehmütige Erinnerung an frühere Jahrhunderte wachruft, wo auch unser Volk, unversehrt durch Protestantismus, Rationalismus und eine im Relativismus befangene vergleichende Religionswissenschaft, sich vertrauend unter dem weiten Mantel der hohen himmlischen Frau barg.

(…) Dass die Heiligen- und Marienverehrung in den Missionen bei Neubekehrten bzw. ins Heidentum Zurückgefallenen zu Irrungen und Aberglauben führen kann, ist eine Erfahrung aller Missionare, und P. Dr. Fontaine aus der Mission Assam hat auf dem Düsseldorfer Missionskursus 1919 darüber in einem Vortrag über den Kampf gegen den Aberglauben eine große Menge Stoff zusammengetragen. Die Gründe zu solchen Verirrungen liegen auf der Hand. Viele solcher Gründe vermag die Religionspsychologie aufzuweisen. Wir möchten hier nur an die Tatsache erinnern, dass sich in den Missionen bei den Marienprozessionen und an den Marienheiligtümern fast stets Heiden einfinden, die alle religiösen Übungen mitmachen und anstandslos der nach ihrer Meinung hier verehrten Göttin ein Kerzenopfer bringen. Die einheimischen Religionen haben fast alle ihre Fruchtbarkeitsgöttin oder eine Muttergottheit, die sie durch Opfer zu besänftigen suchen. (Nur in Klammer sei hier bemerkt, dass nirgends der Heide mit jenem kindlichen Vertrauen zu seiner Muttergottheit betet, wie der Christ bei der Anrufung Mariens.)

Welche Gefahren für eine Verdunkelung der Glaubensbegriffe in Sachen der Marienverehrung bei schlecht unterrichteten Christen bestehen können, mag ein Beispiel aus China beweisen, wo man einem Zerrbild der reinen Gottesmutter, der Göttin Koan-yin, ebenfalls einen ganzen Monat weiht und ihr Gelübde und Geschenke macht. Sie ist die liebenswürdigste Göttin im buddhistischen Götterhimmel und in dem ihr geweihten Monat flattern auf den Küstenschiffen lange Wimpel mit der Inschrift: „Himmlische Königin! Heilige Mutter des Himmels!“ Man darf die Gefahr solcher heidnischen Gebräuche für eine gutunterrichtete Christengemeinde nicht überschätzen, aber man möchte anderseits auch wünschen, dass gewisse Beispiele von Marienverehrung, die bisweilen in den populären Missionszeitschriften auftauchen, auf ihre religiöse Grundanschauung untersucht werden. Die im Gottesdienst der Heidenmission gebrauchten Weiheformeln an Maria sollten auf jeden Fall an dogmatischer Klarheit nichts zu wünschen übrig lassen. An der Hand der himmlischen Mutter und in Nachfolge ihres Tugendbeispieles sollen die Neuchristen zum Heiland kommen, „auf dass sie in der Liebe festgewurzelt sind“ und „zu erfassen vermögen ihre Breite und Länge, ihre Höhe und Tiefe und die Liebe Christi erkennen, die alle Begriffe übersteigt, und dadurch ganz von Gott erfüllt werden“ (Eph. 3, 16–21).

Gegenüber einzelnen Gefahren einer unerleuchteten Marienverehrung steht der herrliche Segen, den die Maiandacht verbreitet. Die Gnaden für Leib und Seele, die Marias mächtige Fürbitte vermittelt, entziehen sich allzu oft menschlicher Berechnung und Feststellung. Aber auch der nicht im Glauben erleuchtete Verstand vermag die Wirkungen der Marienverehrung auf dem moral- und religionspädagogischen Gebiete festzustellen. Welch ein hohes Vorbild ist den im Sumpf der Unsittlichkeit versunkenen Völkern das Bild der reinsten Gottesmutter, jenen Völkern, die oft erst ganz langsam zum Verständnis des christlichen Reinheitsideals gebracht werden können! Wir wollen einem praktischen Missionar das Wort geben, um den Segen der Maiandacht zu kennzeichnen. Ein Pallottiner berichtete vor 12 Jahren aus Kamerun: ‚Speziell in Kamerun wird die Neuchristen recht bald die Maiandacht gelehrt, und nun übt man sie mit großem Eifer. Wir sind uns bewusst, damit dem Neger ein Stück wahren Christentums gelehrt zu haben. Weit davon entfernt, dass der Eingeborene, wie Andersgläubige meinen, götzendienerische Ideen mit dieser Andacht verbindet, empfängt er aus der Gnadenhilfe der Hochgebenedeiten und aus der Anregung gerade der Maiandacht nachhaltige religiöse Hilfe. Besonders das weibliche Geschlecht erhält da Antriebe für das praktische Tugendleben, die umso nötiger sind, als die Frau bei den meisten Heiden aus dem Bannkreis niedrigster Auffassung von ihrer Bestimmung nicht herauskommt. Wie wohltuend und segensreich muss da nicht eine Andacht sein, die ferner die Neger Hochachtung gegen eine Angehörige des von ihnen so tief eingeschätzten und so roh behandelten weiblichen Geschlechts lehrt! Es kann nicht ausbleiben, dass Maria mit ihrer Bedeutung im Christentum und im kirchlichen Andachtsleben ihrem Geschlecht eine Stellung erringen hilft, die die notwendige Grundlage für die wahre Kultur und tieferes Christentum ist. Allen diesen Nutzen erhoffen wir in Kamerun aus der Verehrung Mariens, vor allem aus der Maiandacht.‘

Die Maiandacht hat sich heute über die ganze Erde verbreitet. Da aber der Monat Mai auf der südlichen Halbkugel in den Herbst fällt und in den Tropen oft die unangenehmste und heißeste Jahreszeit einleitet, so musste sich die Missionskirche die Frage vorlegen, ob es nicht angebrachter wäre, den Marienmonat, der mit dem Frühlingsbeginn so enge symbolische Verbindung hat, auf eine andere Jahreszeit zu verlegen. Man musste dann freilich auf eine besondere Feier des Rosenkranzmonats zumeist verzichten, oder beide Feiern zusammenlegen, oder schließlich den Rosenkranzmonat in der Zeit begehen, wo auf der nördlichen Erdhälfte Frühling ist. Viele Missionare traten entschieden für die gleichzeitige Feier der Maiandacht auf der ganzen Erde ein, mit der Begründung, dass die Feier des Maimonates mit dem katholischen Empfinden so stark verwachsen, und dass es ein so tröstliches Bewusstsein sei, wenn im Mai auf der ganzen Erde Maria gepriesen werde. Aus diesem Grunde hat man in Australien die zeitweise auf den August (die schönste Jahreszeit in Australien) verlegte Maiandacht wieder zurückverlegt. In Indien hat man sich auch nicht zu einer Verlegung entschließen können; man feiert allerdings die Maienkönigin nur wenig im Mai, desto mehr aber im schöneren Monat Oktober, wenn frische Blumen in Fülle zur Verfügung stehen. (…) An eine Verlegung des Rosenkranzmonates ist man bisher unseres Wissens nirgendwo herangetreten.

Der Gedanke an eine einheitliche Maifeier ist durch die geschichtliche Entwicklung, die von der Kirche wohl kaum rückgängig gemacht wird, praktisch in verneinendem Sinne gelöst worden. In Chile, Paraguay, Uruguay und Argentinien begeht man den Marienmonat im November, und zwar gewöhnlich vom 8. November bis 8. Dezember, wo das Fest der Unbefleckten Empfängnis einen guten Abschluss bildet. In Patagonien haben die Salesianer mit Rücksicht auf die im November mit der Sorge um ihre Herden stark beschäftigten Indianer den Marienmonat auf die Zeit vom 9. Oktober bis 10. November verlegt. Aus Mariannhilll [Südafrika] liegt gleichfalls eine Nachricht über die Maifeier im November vor. Die Kopten in Ägypten feiern die Maiandacht im Dezember, wenn nach der Nilüberschwemmung das Land sich mit frischem Grün bedeckt. Zieht man noch in Rücksicht, dass die griechisch unierte Kirche in der vierzehntägigen Vorbereitungszeit auf das Fest Mariä Heimgang im August und an den Freitagen der Fastenzeit auch eine Art Maiandacht hält, so muss man zugeben, dass von einer zeitlichen Gleichheit in der Feier des Marienmonats nicht die Rede sein kann. Wir halten es auch für eine sehr kluge Anpassungsmaßnahme, wenn die Kirche in den Missionen die namentlich in den subtropischen Gegenden bestehenden Frühlingsfeiern adelt und verchristlicht, wie sie es bei unseren Altvordern getan hat. Es ist zudem auch ein religiös erhebender Gedanke, dass überall, wo auf Erden der Frühling erblüht, fromme Lieder zur himmlischen Königin erschallen, die uns in Christus den Frühling der Erlösung schenkte.



[1] Peters, Jos. S.J.: Maria Maienkönigin. In: Die katholischen Missionen, Xaverius-Verlagsbuchhandlung, Aachen 1925

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