Dienstag, 3. April 2012

Religionsdiskussion zwischen einem katholischen Bischof und einem chinesischen Moslem (Teil 2)


Bei dieser kühnen Erklärung war alles sprachlos vor Erstaunen; ein Murren des Unwillens und halbunterdrückte Drohungen wurden laut. Der Augenblick war kritisch, dauerte aber nicht lange. Denn rasch fasste sich die Gesellschaft wieder, und man suchte das Gespräch auf etwas anderes zu bringen.
Es ging aber nicht mehr. Die innere Verstimmung hemmte den Fluss, und der Apostolische Vikar war froh, als er endlich höflich verabschiedet wurde.
Ein Muselmann verzeiht nie, zumal wo es sich um die Ehre Mohammeds handelt. Die dem Propheten angetane Schmach musste gerächt und womöglich im Blut des christlichen Oberhirten gesühnt werden.
Seit dem Tage war Msgr. Fenouil seines Lebens nicht mehr sicher. „Wiederholt schien ich verloren,“ so schreibt er selbst, „und es blieb mir nichts mehr übrig, als eben noch einen Akt der Reue zu machen, wenn nicht im letzten Augenblick ein unversehener Zwischenfall mich wieder gerettet hätte.“
Der hochwürdigste Herr erzählt dann aus vielen besonders ein Abenteuer wo sich der göttliche Schutz in ganz auffallender Wiese gezeigt hat.
Msgr. Fenouil hatte mit mehreren Begleitern eine längere Reise angetreten. In Tao-yuen, einem großen Dorf, 5 km von Tschao-tong-fu, meldete man dem Bischof, es seien vier unheimlich aussehende Gesellen da, die offenbar nichts Gutes im Schilde führten. Er erkundigte sich und erfuhr, dass sie es auf ihn abgesehen hatten, und am nächsten Tag vorauseilen wollten, um ihm am Weg aufzulauern.
Was war zu tun? Msgr. Fenouil beschloss, ihnen zuvorzukommen. Er stand vor dem Morgengrauen auf, übergab sein Gepäck zweien seiner Begleiter mit der Weisung, erst gen Morgen aufzubrechen, und verließ mit einem dritten die Herberge.
Trotzdem sie so leise als möglich auftraten, erwachte der Gastwirt und rief: „Wer geht da?“ Glücklicherweise gab der Koch, der im Schlafe gestört worden, den erstbesten Namen an, so dass alles wieder ruhig wurde.
„Da wir wussten, dass man uns verfolgen werde, falls man unsere Flucht bemerkte, eilten wir so rasch voran, als die Dunkelheit erlaubte. Alles ging gut, und wir dachten, bereits einen weiten Vorsprung vor unseren Verfolgern gewonnen zu haben, als uns bei Tagesanbruch unversehens zwei starknochige Burschen entgegenkamen und uns aufhielten.
‚Wer seid ihr?‘ fragten sie uns. ‚Wir sind Fremde und unbekannt in dieser Gegend.‘ — ‚Diesen Morgen sind aus unserem Dorf zwei Männer entwischt; seid ihr ihnen vielleicht begegnet?‘ — ‚Nein, wir haben außer uns niemanden auf dem Weg getroffen. — ‚Und woher kommt ihr denn? Wo hab ihr übernachtet?‘ — ‚In Tao-yuen. Wir sind sehr früh aufgebrochen und haben uns verirrt.‘ —‚Wie ist das möglich? Ihr sagt, ihr hättet in Tao-yuen übernachtet, und nun geht ihr ja auf Tao-yuen zu, also könnt ihr nicht von dorther kommen.‘
Die Lage drohte kritisch zu werden, und mir wurde etwas bange, als einer der unliebsamen Fragesteller sich zu zwei Reitern hinwandte, die etwa 100 Schritt von uns entfernt am Weg standen, und ihnen zurief: ‚Sie sind es nicht; sie sind ihnen auch nicht begegnet und haben niemanden auf dem Weg getroffen.‘
Wir waren gerettet und wenigstens für diesen Tag von weiteren Nachstellungen befreit.“
Die Aufklärung dieses rätselhaften Abenteuers ist sehr einfach.
Gewiss nicht ohne eine besondere Führung ihre heiligen Schutzengels hatten die beiden Flüchtlinge bei der Dunkelheit ihren Weg so gründlich verfehlt, dass sie bei Tagesanbruch auf derselben Strecke zu eben dem Ort zurückkehrten, den sie einige Stunden zuvor verlassen hatten. Das war  es aber gerade, was ihre Verfolger in die Irre führte und die Gesuchten nicht erkennen ließ.
Das Lustigste an der Sache aber war, dass sie den einen der beiden Burschen jetzt auch noch baten, sie auf den richtigen Weg zu weisen, was derselbe bereitwillig tat.
Der interessante Brief schließt mit einer herzlichen Bitte um Gebet, was unsere Leser gewiss dem wackeren Oberhirten nicht vorenthalten werden.

(Aus: die katholischen Missionen, 1891)