Sonntag, 2. Februar 2014

Wenn der koptisch-katholische Patriarch sonntags zur Christenlehre geht

koptisch-katholischer Patriarch Kyrillos Makarios (früher auch Macaire)

Im Bulletin du Séminaire Oriental 1904 (S.62), dem Organ der ehemaligen geistlichen Zöglinge der Jesuiten in Beirut, macht ein junger koptischer Priester (Franz Bistauros, Dr. theol.) einige bemerkenswerte Mitteilungen, die uns einen kleinen Einblick in die seelsorgliche Praxis der orientalischen Kirche geben.

Wir erfahren da, dass hier der Katechismusunterricht und die öffentliche Christenlehre im Allgemeinen unbekannte Dinge sind.  Darin dürfte neben dem mangelhaften Schulunterricht der Hauptgrund der großen religiösen Unwissenheit unter den orientalischen Christen zu suchen sein.

Es ist eine Frucht der Erziehung in Beirut, dass auch nach dieser Hinsicht allmählich eine Besserung eintritt. In Beirut hatte Dr. Bistauros den Wert und Nutzen der Christenlehre unter den armen Kindern und der Arbeiterbevölkerung Beiruts praktisch kennen und schätzen gelernt. Er beschloss, dieselbe in der Patriarchalkirche zu Kairo, wo er jetzt angestellt ist, einzuführen.

Sein Plan fand bei dem eifrigen Patriarchen Macaire freudig Zustimmung. Um das Volk zu gewinnen und anzuziehen, wollte Se. Seligkeit den Christenlehren sogar persönlich beiwohnen. Das zog; bald hatte der junge Priester allsonntäglich eine zahlreiche Zuhörerschaft. 

Die anfängliche Überraschung über diese ganz ungewohnte Lehrweise ging rasch in Bewunderung über. „Heute ziehen die Leute die Christenlehre jeder Predigt vor.“ Dr. Bistauros hatte Gelegenheit, bei Besuchen und Unterredungen den Eindruck zu beobachten, den diese einfache katechistische Erklärung der Glaubenswahrheiten auf die Leute machte.

„Ich hatte immer gemeint“, sagte eine gute Alte, „dass der Katechismus höchstens für Kinder sei; ich finde aber, dass er die beste Predigt ist.“ – „Ja, ja“, fügte eine andere bei; „hast du nicht gesehen, dass Se. Seligkeit der Patriarch ihre beigewohnt hat. Er hat sicherlich selbst das Buch verfasst, das man dabei benützt. Man braucht nur zu hören, wie schön er alles erklärt und wie fasslich er alles macht. Das ist nicht wie ein gewöhnlicher Katechismus; der ist gründlich, und es sind gar schöne Geschichten darin.“

In höheren Kreisen urteilte man anfangs anders. „Mir will scheinen“, meint eine Dame, „der Patriarch vergesse, dass er Patriarch ist.“ – „Warum denn, Madame?“ – „Ich habe gehört, dass er allsonntäglich der Christenlehre beiwohne, das scheint mir doch eines Patriarchen unwürdig.“ – „Wieso denn; der Katechismus ist doch eine heilige Sache. Waren Sie übrigens dabei, um die Sache beurteilen zu können?“ – „Nein, ich war selbst nicht da, aber ich weiß doch, dass so etwas nur für die kleinen Kinder ist.“ – „Nun, und wenn dem so wäre, ist der Patriarch denn größer als Christus, unser Herr? Was hat der aber drei Jahre hindurch andres getan, als Christenlehre gehalten?“ – „Ist dem wirklich so?“ – „Gewiss, kommen Sie nur und sehen Sie selbst.“ 
Eine Woche später traf Bistauros die Dame wieder. Sie sagte ganz begeistert: „Die Christenlehre war die beste Predigt, die ich je gehört. Das ist’s gerade, was ich mir wünsche. Ich habe alles ohne Ausnahme verstanden, weil Sie dabei gerade so sprechen, wie man auch sonst spricht.“

Nach der Segensandacht, mit welcher die Christenlehre jedes mal schließt, kamen eines Tages drei Familienmütter in die Sakristei. Die erste klagte ihr Leid, dass ihre drei erwachsenen Söhne so unwissend in der Religion seien und noch nie gebeichtet hätten, weil sie davor Angst hätten. 
Nun habe sie in der Christenlehre gehört, wie leicht das Beichten sei. Wären doch nur ihre Jungen dabei gewesen! Sie solle sie schicken, lautete die Antwort. Sie kamen, und nach kurzer Zeit machten alle drei ihre erste Beicht. 
Die zweite Frau brachte ihre beiden Kinder, die bisher in die protestantische Schule gegangen waren. Die Katechese hatte ihr klar gemacht, auf welchem Weg man sicher zum Heil komme. 
Die dritte sagte, sie könne am nächsten Sonntag nicht kommen, Bistauros möge ihr doch jetzt schon die Antwort auf die Frage geben, deren Erklärung er für den nächsten Sonntag angekündigt habe. Es war die Frage über die Art, eine vollkommene Reue zu erwecken.

Auf den ausdrücklichen Wunsch des Patriarchen hatte Bistauros mit dem Bußsakrament begonnen. Überall hörte er die Leute sagen: „O, Sie haben unsere Gewissen so erleichtert. Gott erhalte Sie noch lange Ihrer Mutter!“

Kurz, die Christenlehre hatte eingeschlagen und ihre Früchte zeigten sich bald auch in dem häufigeren Empfang der heiligen Sakramente. Was hier in Kairo mit solchem Erfolg begonnen wurde, müsste auch anderwärts Nachahmung finden, nicht bloß bei den Kopten, sondern auch bei den anderen orientalischen Kirchen.

„Der Religionsunterricht in den Schulen in Form von Christenlehren“, so schrieb neuerdings auch P. Galland O.P. aus Wan in Armenien, „der eine bis dahin diesen Ländern der Häresie und der religiösen Unwissenheit ganz unbekannte Neuheit ist, gibt uns die Gewähr, dass allmählich ein Geschlecht heranwächst, das seinen Glauben wirklich kennt und von echt katholischem Geist durchdrungen ist.“ 

Nur so wird dies Geschlecht auch gefeit sein gegen die Bekehrungsversuche der protestantischen Sekten, denen die religiöse Unwissenheit zumal der schismatischen Volksteile nur allzu viel Vorschub leistet.


(Aus: die katholischen Missionen, 1905)