Donnerstag, 7. Mai 2015

Maiwallfahrt in China (Teil 1)

Die heutige Basilica Minor von Sheshan (Quelle: HéctorTabaré)

Die katholischen Missionäre betrachten es natürlich als ihre Pflicht, mit dem wahren Glauben zugleich auch die Andacht zur allerseligsten Jungfrau zu verbreiten. Wie könnten sie auch den Neubekehrten vom göttlichen Heiland sprechen, ohne sie auf dessen Mutter hinzuweisen? Wie denselben eine zärtliche Liebe zu Jesus einflößen, ohne sie auch Maria lieben zu lehren? Wohin daher immer die katholischen Missionäre dringen, dort erfüllt sich auch das prophetische Wort der Mutter Gottes: „Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Geschlechter.“ Es kann uns somit auch nicht auffallen, wenn in den Missionsländern alsbald Wallfahrsorte entstehen, an denen die allerseligste Jungfrau auf eine ganze besondere Weise verehrt wird und ihren treuen Kindern größere Gnaden von ihrem göttlichen Sohne erlangt. Seit einigen Jahren besteht ein solcher Wallfahrtsort in der blühenden Mission von Kiangnan; wir haben früher eine Schilderung der feierlichen Einweihung der Kirche „Unserer Lieben Frau, der Hilfe der Christen“ auf dem Berg Sose [Sheshan] gegeben. Seither kommen, namentlich im schönen Maimonat, zahlreiche Pilgerzüge aus dem ganzen Vikariat dorthin, und Mariahilf auf dem Sose kann sich schon mit manchen kleineren europäischen Wallfahrtsorten messen.

Um uns eine Vorstellung von dem kirchlichen Leben zu geben, welches hier herrscht, schließen wir uns der großen Mai-Wallfahrt an. Wir versetzen uns im Geiste nach Wu-si, einer Stadt am Nordende des großen Taihu-Sees, ungefähr halbwegs zwischen Nanking und Schanghai. Hier finden wir am 21. Mai schon um fünf Uhr morgens die etwa 2.000 Seelen zählende christliche Gemeinde in der Kapelle versammelt, um der heiligen Messe und dem Unterricht beizuwohnen. 250 Personen empfangen die heilige Kommunion. Nach dem Gottesdienst verteilen sich die Pilger, etwa 1.000 an der Zahl, auf die 150 Boote. Kaum jemals den Tag über verstummt das Rosenkranzgebet. Nachmittags fünf Uhr steigen sie in Yang-ka-kiao, einer eifrigen Gemeinde von etwa 1.300 christlichen Fischersleuten südlich von Sutscheu, ans Land. Diese empfangen ihre Glaubensbrüder am Ufer und geleiten sie sofort in die Kirche zu gemeinschaftlichem Rosenkranz und Gebet. Ein kurzer Unterricht und ein von chinesischen Stimmen in chinesischer Sprache gesungenes Omni die beschließen den Tag. Am folgenden Morgen (22. Mai) ist um 4.30 Uhr Messe, in welcher 50 Personen sich dem Tische des Herrn nahen und der Missionär einen Unterricht über das Gebet hält. Dann werden die Barken wieder bestiegen und vorwärts geht es durch Kanäle und Seen, bis des Abends das Fischerdorf Lo-ka-pang erreicht ist. Hier segnet und verteilt der Missionär am 23. des Morgens die mit dem Heiligsten Namen prangenden Wimpel für die Boote. Die Heiden sammeln sich erstaunt am Ufer, um Zeugen dieses für sie so neuen Schauspiels zu sein. Vom Morgen an ist der Berg Sose bereits weithin über die Ebene sichtbar, und da die Windungen der Kanäle die Boote zu mehrfachen Umwegen nötigen, so bietet uns derselbe einen stets wechselnden Anblick. Endlich um zwei Uhr nachmittags, von der lieben Maiensonne beschienen, legt die Flottille am Fuß des Berges an, freudig begrüßt von den Missionären und der Menge fremder Pilger.

(Aus: die katholischen Missionen, 1878)

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