Gewiss werden
sich unsere Leser noch des Aufsatzes über das Aussätzigen-Spital St. Johann bei
Mandalay erinnern, wo wir nach den Mitteilungen des hochw. Herrn J. Wehinger
die Not dieser Unglücklichen schilderten und zeigten, welch herrliches Feld
sich hier der christlichen Liebe eröffnet. Sie muss hier umso eher eingreifen,
da das Heidentum in kalter, grausamer Teilnahmslosigkeit an den Aussätzigen
vorübergeht. Hören wir, was P. Wehinger darüber berichtet.
„Einmal bat ich
auch einen reichen Heiden, der dort von der Welt hochangesehen war, recht innig
um ein Almosen für die armen Aussätzigen. Wie lautete die Antwort dieses
Noblen, was glaubst du wohl, lieber Leser? Höre und staune: ‚Von Herzen gern
will ich ein Almosen für die Aussätzigen spenden; ich gäbe gern eine große
Menge Arsenik [sic], um dieselben aus der Welt zu schaffen.‘
Nicht einmal
unter den nächsten Angehörigen findet der arme Kranke ein teilnehmendes Herz.
Dazu diene folgendes Beispiel: Der in der Pflege armer Aussätziger unermüdliche
P. Martin macht in der Stadt wieder seinen gewöhnlichen Rundgang, um jene
Kranken zu besuchen, welche eben aus Mangel an Platz und Hilfsmitteln im Asyl
keine Aufnahme finden können.
Dabei wurde er eines Tages aufmerksam gemacht,
dass in einem ihm genau bezeichneten Haus ein schwerkranker Aussätziger ganz
verlassen sei. P. Martin findet das Haus, ist erstaunt über seine Größe und
reiche Verzierung und glaubt beim Anblick desselben sich verirrt zu haben,
zumal er von innen lustige Gesänge und heitere Musik vernahm. ‚Hier ist kein
Aussätziger,‘ denkt sich allen Ernstes P. Martin, ‚denn bei einem so leidenden
Hausgenossen können die Einwohner nicht so lustig sein. Ich will aber einen der
Hausleute fragen, wo sich der arme Aussätzige befinde.‘
Wie er aber sich der
reich verzierten Veranda des Gebäudes näherte, sah er, dass in einem abgelegenen
Teil des Gartens vor einem Strohhaufen sich etwas bewegte, und glaubte auch
Jammerrufe zu vernehmen; er ging auf diese Stelle zu, und was musste er
erblicken? Ein armes menschliches Wesen, mit dem Aussatz im höchsten Grad
behaftet, kaum bekleidet, auf feuchter Erde herumkriechend. Schreckliche
Geschwüre bedeckten seinen Körper. Ungeziefer aller Art vermehrte noch seine
Schmerzen – ein Bild des größten Elends. Der arme Kranke bat in den rührendsten
Worten um eine Handvoll Reis, um einen Trunk Wasser, um seinen schrecklichen
Hunger und Durst zu stillen, da er schon über 30 Stunden gar nichts erhalten
hatte.
Wer war dieser
Unglückliche? Sicher wirst du meinen, lieber Leser, dass dieser Kranke ein
alter, unbrauchbarer Diener des Hauses war, dem durch die Gnade seines Herrn
dieses Plätzchen gestattet wurde. Du täuschest dich; jene, die sich einer
ungezügelten Freude hingaben, waren die Kinder dessen, der unten im Elend schmachtete.
Keines von seinen Kindern ließ sich je herbei, nach dem Vater zu schauen, geschweige
ihm seine Geschwüre zu verbinden oder ihm mit eigener Hand Nahrung zu reichen
und dabei ein tröstendes Wort zu sprechen; nein, sie ließen ihren eigenen Vater
in seinen Schmerzen liegen, als wäre er ein ihnen unbekanntes Wesen.
P. Martin,
durch das schreckliche Elend dieses Kranken vom tiefsten Mitleid bewegt,
pflegte ihn auf das liebevollste, tat alles, was er für den Augenblick tun
konnte, und fühlte sich glücklich, ihm noch am Abend ein Plätzchen im Asyl
verschaffen zu können. Wie dankbar blickte ihn der Aussätzige an, als ihm seine
Geschwüre gewaschen, er vom Ungeziefer und den vielen Würmern so gut als
möglich gereinigt, mit Speise und Trank gestärkt und auf trockenes Lager gebettet
war!
‚Was bist du
für ein Wesen,‘ stammelte der Arme, ‚dass du mich, einen ganz fremden Menschen,
so liebevoll pflegst, während meine eigenen Kinder mich dem größten Elend, ja
dem Hungertod preisgegeben haben? Warum tust du das?‘ Als P. Martin ihm
lächelnd erwiderte, er tue nur, was seine Religion ihn lehre, und hoffe, so in
den Himmel zu kommen, sagte der Kranke ganz erstaunt: ‚O lehre auch mich diese
Religion, hilf auch mir in den Himmel kommen.‘“
Der hochwürdige
Herr Wehinger, der sich gegenwärtig noch in seiner österreichischen Heimat
aufhält, um für sein Spital Almosen zu sammeln, bittet uns, bei unseren Lesern
ein Wörtchen zu Gunsten seiner lieben Aussätzigen einzulegen.
(Aus: die
katholischen Missionen, 1897)