Ein besonders großes Mitleid empfand Pius X. mit dem
traurigen Lose der Indianerbevölkerung Südamerikas. Hier, wo einst das
Missionsleben so herrlich geblüht hatte, war die einheimische Bevölkerung durch
die meist gottlosen Regierungen der verschiedenen Republiken der unerhörtesten
Ausbeutung und den entsetzlichsten Grausamkeiten geldgieriger und schamloser
Abenteurer ausgesetzt.
Schon im zweiten Jahre seines Pontifikats trat Pius X. für
die geknechteten Indianer ein. Er richtete an den gesamten Benediktinerorden
ein Schreiben, in dem er alle Klosterorbern aufforderte, ja anflehte
(exhortamur immo et obsecramus), alle Mönche, die mit dem Abt Gerard van Caloen
nach Brasilien gehen wollten, mit Freuden ziehen zu lassen, damit das so arg
verlassene Ackerfeld treffliche Arbeiter erhalte. Der Ruf verscholl nicht
ungehört, und im Jahre 1909 wurde die Mission am Rio Branco tief im Inneren
Brasiliens gegründet.
Auch andere Ordensleute wie die Kapuziner, Franziskaner,
Dominikaner, die Väter vom Heiligen Geist, die Salesianer Don Boscos drangen
weiter in die Wälder vor, wohin sich die Indianer vor den Weißen geflüchtet
hatten, und suchten die oft nur spärlichen Überreste früher starker Volksstämme
zu sammeln und zu retten.
Im Verlauf weniger Jahre konnte Pius X. in Kolumbien die
Apostolischen Präfekturen Caquetá (1904) und Chocó (1908) und die Apostolischen
Vikariate Goajira (1905) und Llanos de S. Martín (1908), in Brasilien die
Apostolischen Präfekturen Rio Negro (1910), Alto Solimôes (1910), und Teffe
(1910) sowie die Prälaturen Santarem (1903), Araguaya (1911) und Registro da
Araguaya (1914) errichten und die Apostolische Präfektur Urubamba in Peru
(1913) zum Vikariat erheben.
Aber noch einmal erhob der Papst seine Stimme zu Gunsten der
Indianerbevölkerung. Er tat es in der feierlichsten Form durch die Enzyklika Lacrimabili statu vom 7. Juni 1912
an den gesamten Episkopat von Lateinamerika. Voll Ernst und Schmerz beklagte
der Heilige Vater die Gräuel, die namentlich an den Eingeborenen im Putamayogebiet
begangen worden seien, und stellte sie den Schandtaten des verkommensten
Heidentums an die Seite.
Dann ermunterte er die Bischöfe, für die armen Kinder
der Wälder Anstalten christlicher Nächstenliebe zu errichten, bestimmte, dass
von Vergehen wie Verkauf oder Entführung von Indianern in Zukunft nur noch die
Bischöfe die Lossprechung erteilen könnten, und versprach, selber die Gründung
von neuen Missionen in die Hand nehmen zu wollen.
Dem Versprechen folgte sofort die Tat. Er berief englische
und irische Franziskaner für die schwere Aufgabe im Putamayogebiet und hatte
zugleich die Freude, dass das arme katholische England in wenigen Wochen 40.000
Mark für das zu gründende Unternehmen aufbrachte.
(Aus: die katholischen Missionen, 1916)