Forsetzung von hier
Der chinesische
Handelsgeist lässt sich diese Gelegenheiten nicht entgehen. Kleine Verkäufer
von Zuckerrohrstengeln, Melonenkernen und anderer guter Dinge postieren sich
hier und dort und machen bei dem Andrang von Leuten gute Geschäfte. Solange der
Bischof an einem Ort weilt, bildet er das eine, große Tagesgespräch und den
Mittelpunkt des ganzen Interesses für alle Chinesen in der Runde. Alles erregt
ihre Aufmerksamkeit; jede Bewegung wird beobachtet und gedeutet, jedes Wort mit
Bemerkungen begleitet, die Kleider, die Züge, die Gestalt, der Bart, das Alter,
alles bildet den Gegenstand zahlloser Fragen und wissbegieriger Erörterungen. Anfangs
kommen einem solche Geduldproben recht hart an, und der Unwille ist oft nahe
daran, überzufließen. Man sucht sich den Blicken zu entziehen. Aber wie und
wohin? Die Wände bestehen aus schlecht gefugten Balken oder Brettern, die
Ritzen und Spalten für hundert neugierige Augen offen lassen. Die Fenster sind
viereckige Öffnungen, die nur durch ein mit Papier überklebtes Gitterwerk
geschlossen werden können. Kaum hat man sich ins Zimmer zurückgezogen, so ist
auch schon das Papier an zahlreichen Stellen heimlich durchlöchert, die Löcher
mehren und vergrößern sich immer mehr, und durch jedes Loch spähen zwei neugierige
Augen hinein, um den unglücklichen Insassen in alle Ecken zu verfolgen und zu
beobachten. Und ist ein Neugieriger befriedigt, so nehmen gleich zwei andere
Augen seine Stelle ein. Man muss die Nacht abwarten und auch dann hat man erst
Ruhe, wenn das Licht ausgelöscht ist.
Die Betsäle
oder Oratorien werden in den meisten Fällen einfach für 1–2 Jahre gemietet, und
daher lassen sich baulichen Umänderungen u. dgl. nicht gut anbringen. Reiche
Leute geben ihre Wohnungen nicht leicht dazu her, da eine solche Kapelle gleich
zu Mittelpunkt einer starken Bewegung wird, eine zahlreiche Menge anzieht und
daher für die übrigen Hausbewohner oder die Nachbarn recht unbequem werden
kann. Man muss sich also mit der Wohnung schlichter Leute zufrieden geben. Was
aber den Missionär bei solchen Gelegenheiten drückt, ist weniger die Armut und
Unbequemlichkeit, als vielmehr der Gedanke, wie wenig solche Lokale dem Zweck
einer Kapelle entsprechen und wie wenig würdig sie die Erhabenheit der
christlichen Religion vor Augen stellen, zumal im Vergleich mit den oft
prächtigen Pagoden daneben, in denen die zahllosen Götzenfratzen höhnisch zu
lachen scheinen.
Um die Christen
zu trösten, erzählt man ihnen immer wieder von Betlehem und von der Liebe des
Weltheilands zur Armut und zu den Armen. Aber es bleibt doch der Wunsch nach
etwas Besserem, und er steigert sich in schmerzlicher Weise da, wo bereits die
Protestanten vorgedrungen und einen ihrer Tempel hingesetzt haben. Immerhin,
die Hauptsache ist, dass die Leute trotz allem kommen und zahlreich von allen
Seiten kommen, so dass der Raum meist lange nicht genügt.
Tatsächlich
sind die Bekehrungen seit den letzten Wirren zahlreicher denn je zuvor. In dem
einen Distrikt Weng-tschu zählt man über 500 Neugetaufte, während früher die
Jahreszahl für die ganze Mission höchsten auf 300 kam. Freilich macht diese
Zunahme der Bekehrung den Mangel an ordentlichen Kapellen erst recht fühlbar.
Die reiche Ernte fordert Scheunen, um die Garben unterzubringen. Eine wirkliche
Kapelle ist eine greifbare, dem wahren Gott und der wahren Religion gebrachte
Huldigung, ein Leuchtturm, ein Haus des Heils; sie ist das „Herz einer
Christengemeinde, von dem der warme Pulsschlag ausgeht.“ Man will ja keine
stattlichen Kirchen, wie z. B. die St. Paulskirche in Weng-tschu, welche die
ganze Stadt beherrscht; es genügt ein einfach schlichter Bau, der aber gut 200–300
Christen fassen kann. Eine ordentliche Kapelle zieht die Heiden an und erleichtert
den Frauen den Besuch, die in jene engen Betsäle mit ihrem Gedränge schon der
Schicklichkeit halber sich kaum hineinwagen.
Wenn diese
Armut seiner Mission dem Bischof auf seiner Rundreise auch manchmal recht
drückend auf die Seele fiel, so fehlten doch auch die Tröstungen und
Lichtblicke nicht. Die Bekehrungen sind zahlreich, die Bevölkerung zeigt sich
fast überall friedlich und wohlgesinnt, die Mission hat in vielen Orten Eingang
gefunden, die ehedem eine sehr feindliche Haltung einnahmen. Wiederholt wurde
dem Bischof gegen seinen Willen ein militärisches Geleit gegeben, und auch
seitens der Mandarine fand er fast ausnahmslos freundliche Aufnahme. „Aber“, so
schließt der Bischof, „auf allen Erlebnissen der langen Reise machte sich immer
und immer wieder ein Wunsch mächtig geltend: Kapellen, Kapellen! Kapellen, um
Gott würdiger zu verehren, um die Heiden anzuziehen; Kapellen, um die Neubekehrten
unter Dach zu bringen.“ Das ist die Kirchennot in der großen Diaspora der
Heidenwelt.
(Aus: die
katholischen Missionen, 1904)