Am
19. November schied in Paris ein 83-jähriger Greis aus diesem Leben, zu dem
einst Kardinal Richard gesagt hatte: „Ihnen fehlt die Bischofsweihe, aber Sie
sind mehr als Bischof; Sie sind der Vater aller oder doch beinahe aller Bischöfe
der Gesellschaft der auswärtigen Missionen.“ Dieser Mann war Prosper Bernard
Delpech, der langjährige Vorsteher des Pariser Seminars.
Prosper
Bernard war geboren am 9. April 1827 zu St. Antonin in der Diözese
Montauban. Er entstammte einer ziemlich begüterten, aber nicht sonderlich
religiösen Familie, und der Jüngling hatte einen harten Kampf durchzufechten,
bis er am 21. Juli 1850 die Priesterweihe empfangen und am 25. September
desselben Jahres ins Pariser Missionsseminar eintreten durfte. Der
Grundgedanke, der ihn von Jugend an beherrschte, war, sich opfern für Christus
und die Seelen; aber er sollte seine Kräfte auf einem ganz anderen Lebenspfad
als denen eines Missionärs in den Heidenländern für die Mehrung des
Gottesreiches aufbrauchen. Nur drei Jahre wirkte er außerhalb Frankreichs im
großen Generalkolleg von Pulo-Pinang in Hinterindien. Dann wurde er nach Paris
zurückberufen, um sich als einer der Direktoren an der Leitung des Missionsseminars
zu beteiligen.
Zuerst
wurde Delpech, der glänzende Studien gemacht hatte, der Lehrstuhl der Moral
anvertraut. Bald gesellte sich zu dieser Arbeit die Leitung der Aspiranten des
Seminars, und am 18. Oktober 1865 erfolgte seine Ernennung zum Assistenten. Drei Jahre später stand er an
der Spitze des ganzen Seminars.
Die
Stellung des Vorstehers einer solchen Vereinigung von Weltpriestern, die, ohne
durch das feste Band der Gelübde und Ordensregeln verknüpft zu sein, an einem
gemeinsamen großen Werk zusammenwirken, bedarf ungewöhnlicher Umsicht und
Mäßigung, eines feinen Taktes und tiefer Selbstverleugnung, um bei aller Initiative
keine Übergriffe in die Freiheiten anderer zu begehen. In welchem Maße Delpech
diese Eigenschaft besaß, beweist die Tatsache, dass die Wahlstimmen nach Ablauf
der ersten dreijährigen Amtsperiode noch zehnmal sich auf seine Person
vereinigten und er also über 33 Jahre die Geschicke des Seminars leitete.
Es
ist unmöglich, seine Verdienste während dieser langen Amtsdauer auf kurzem Raum
auch nur annähernd zu würdigen; wir können nur die Hauptleistung andeuten. Von
Anfang an richtete der hochw. Herr Delpech sein Augenmerk auf endgültige
Festlegung des Reglements der Gesellschaft. Diese Arbeit bedurfte langer
Studien und setzte die Geduld auf manche harte Probe. Umso größer war daher die
Freude, als im Jahr 1890 von Rom die Genehmigung der verbesserten Regel
einlief.
Zur
Hebung der Missionstätigkeit rief er höchst glückliche Werke ins Leben. Im Jahr
1869 führte er eine neue Klasse von Laien-Gehilfen ein, die den Missionären die
materiellen Sorgen erleichtern sollten. Zur Schonung und Aufbesserung der
Gesundheit seiner Missionäre errichtete er drei Sanatorien, eines 1874 in
Hongkong, das zweite Ende der achtziger Jahre in Montbeton in Frankreich und
das dritte 1899 zu Wellington in der Diözese Coimbatur (Indien). Für die
geistlichen Bedürfnisse sollte das 1883 in Hongkong eröffnete Exerzitienhaus
dienen, während zur Gewinnung reichlicherer Unterstützungen der Geschäftsgang
in geregelte Bahnen gelenkt und 1901 in Saigon eine neue Prokur geschaffen wurde (…)
Was
Delpech den einzelnen Missionären und Seminaristen war, entzieht sich der
näheren Kenntnis. Wie aber sein Bild in den Herzen der 2.500 Missionäre und 85
Bischöfe, die durch seine Hand gingen, lebte, drückte das kurze Wort aus, das
Bischof Biet, Apostol. Präfekt von Tibet, 1900 gelegentlich des fünfzigjährigen
Priesterjubiläums des Vorstehers sprach. „Alfons Rodriguez“, sagte er, „hat die
christliche Vollkommenheit in vier Bänden geschrieben; wir besitzen den fünften
Band, die christliche und apostolische Vollkommenheit.“
Der
Lebensabend des ehrwürdigen Greises war schmerzensreich; aber nie kam eine
Klage über seine Lippen. Fast ohne Todeskampf schlummerte er in der Frühe des
19. November hinüber, gerade als die Glocke die Hausgenossen zum Gebet
rief.
(Aus:
die katholischen Missionen, 1910)