Wie der Wallfahrstort Sheshan ist auch Verehrung
Unserer Lieben Frau von China in Donglü (auch Tonglu in deutschen Quellen) in
der Provinz Hebei auf Zeiten der Drangsal für die katholische Kirche im Reich
der Mitte zurückzuführen.
Das Dorf Donglü in der heutigen Präfektur Baoding,
ca. 180 km südwestlich von Peking gelegen, hatte zur Zeit des Boxeraufstands im
Jahr 1900 eine katholische Gemeinde von ca. 1000 Seelen, die von französischen
Lazaristen an der Kirche Unserer Lieben Frau seelsorglich betreut wurden. Als
die Gemeinde von einer großen Armee aus Mitgliedern des Geheimbundes der Boxer
belagert wurde, soll die allerseligste Jungfrau in weißen Kleidern über der
Kirche erschienen sein. Nach einiger Zeit zogen die Boxer wieder ab, ohne die
Kirche zu zerstören. Aus Dankbarkeit gegenüber der allerseligsten Jungfrau, der
die Kirche von Donglü geweiht war, wurde 1901 eine neue größere Kirche gebaut
und die Lazaristen ließen ein Marienbild anfertigen, das fortan auf dem
Hauptaltar verehrt wurde. Im Jahr 1908 gab der neue Pfarrer, P. René Flament,
eine neue Darstellung der allerseligsten Jungfrau und des Jesuskindes in
traditioneller chinesischer Kaisertracht bei dem chinesischen Jesuitenbruder Liu
Bizhen in Auftrag. Bruder Liu vereinte im ursprünglichen Bild europäische und
chinesische Elemente. Nach dem ersten chinesischen Nationalkonzil im Jahr 1924
förderte der Apostolische Delegat Celso Costantini, der sich sehr für eine
verchristlichte chinesische Kunst stark machte, die Verbreitung des Bildes, das
bald in leicht abweichenden Versionen in ganz China zu finden war. Über dem Originalbild
in der Kirche in Donglü steht die Anrufung „Heilige Mutter Gottes, Königin von
Donglü, bitte für uns“.[1]
Inneres der alten Kirche von Donglü |
Im Jahr 1928 bat Erzbischof Costantini den
damaligen Pfarrer von Donglü, P. Trémorin, Donglü zu einem offiziellen
Wallfahrtsort zu machen.[2]
Die erste organisierte Wallfahrt nach Donglü fand am 7. Mai 1929 unter
Teilnahme von 10.000 Christen und 30 Priestern. Die Zahlen wuchsen deutlich an:
bereits 1931 waren es 25.000 Pilger, im Jahr 1936 waren es 35.000, die in den Ort
mit etwa 4000 Einwohnern strömten, deren Großteil Katholiken waren. In
Anerkennung dieser Beliebtheit erhob Pius XI. Donglü 1932 offiziell zum
Marienwallfahrtsort. Durch den Krieg mit Japan fanden die Wallfahrten 1938 ein
Ende; im Jahr 1941 wurden alle Kirchengebäude durch japanische Artillerie zerstört.
In der Folge machte Kardinal Thomas Tien, Erzbischof von Peking, die Kirche St. Marien
vor den Toren Pekings, die bereits 1650 gebaut worden war, zum Wallfahrtsort. Auch
dorthin zogen vieltausendköpfige Pilgerströme.[3]
Bischof Melchior Sun C.M. mit dem Allerheiligsten bei der ersten Wallfahrt nach Donglü |
Ordensbrüder aus der Gemeinschaft der „kleinen Brüder des hl. Johannes“ bei der Wallfahrt |
In den Jahren 1989–1992 wurde die neugotische Kirche in Donglü wieder aufgebaut. Es wird berichtet, dass sich am 23. Mai 1995 eine außergewöhnliche Marienerscheinung vor den Augen von etwa 30.000 Gläubigen, 4 Bischöfen und 100 Priestern ereignet hat. Ähnlich wie beim Sonnenwunder in Fatima bewegte sich die Sonne hin und her und gab bunte Strahlen ab, während Unsere Liebe Frau von China mit dem Jesuskind erschien. Die Dauer dieser Erscheinung betrug 20 Minuten. Am Folgetag, dem eigentlichen Fest von Unserer Lieben Frau von China, versuchten die Behörden, den Pilgern den Zugang zum Wallfahrtsort vollständig zu verwehren.[4] Im Jahr 1996 wurde Donglü durch 5000 Soldaten und 30 Panzerfahrzeuge von der Außenwelt abgeschnitten und die Wallfahrtskirche zerstört und das Bild konfisziert.[5] Seitdem unternimmt die Regierung große Anstrengungen, um Wallfahrten nach Donglü zu verhindern. So werden in der Region Straßensperren mit bewaffneten Wachposten errichtet[6], und Privatpersonen, die mit ihrem Auto nach Donglü fahren, wird der Führerschein entzogen.[7]
Inneres der Kirche im Jahr 2004 (Quelle) |
In Meishan in Taiwan wird in einem
Nationalheiligtum Unserer Lieben Frau von China eine Statue verehrt, die auf
dem Bild von Unserer Lieben Frau in Donglü basiert. Die Statue wurde am am 14.
August 2022 kanonisch gekrönt.
Wie Sheshan ist Donglü Symbol der Marienliebe und
des Glaubensgeistes der Katholiken Chinas, besonders in Zeiten der Verfolgung,
die im Reich der Mitte seit jeher so häufig sind.
[1] Clarke, Jeremy: The Virgin Mary and
Catholic Identities in Chinese History. Hong Kong University Press 2013
[2] Chabonnier, Jean-Pierre: Christians
in China: A.D. 600 to 2000. Ignatius Press, San Francisco 2007
[3] Fleckner, Johannes: Thomas
Kardinal Tien. Steyler Verlag, St. Augustin 1975
[4]
http://www.therealpresence.org/eucharst/misc/BVM/103_DONG_LU_96x96.pdf
[5]
Dies war wohl keine vollständige Zerstörung der Kirche, da diese immer noch
existiert und das Gnadenbild heute wieder dort zu sehen ist. Es handelt sich hierbei
vermutlich – genauso wie bei dem konfiszierten Bild – um eine Kopie.
[6]
https://www.asianews.it/news-en/Chinese-authorities-block-pilgrimage-to-Marian-Shrine-in-Donglu-28031.html
[7]
http://www.cardinalkungfoundation.org/ar/AMiracle.php
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