P. Evangelist OFM Cap. mit einigen Somalis, darunter seinem Sprachlehrer |
Vor einigen
Monaten brachten diese Blätter die kurze Nachricht von der Zertrümmerung der
Somali-Mission. Nunmehr liegen genauere Mitteilungen über die rätselhafte Tat der
britischen Schutzherrschaft im Somali-Land vor.
Am 13. März
1910 erhielt der Obere der Somali-Mission den Befehl des englischen
Statthalters, Sir William Manning, innerhalb einer Woche die Station
Schimbiraleh aufzulösen und das ganze Missionspersonal nach Berbera an die
Küste zu befördern. Als Grund dieses unerwarteten Beschlusses gab er wichtige
politische Interessen an. Sofort tat P. Etienne O.F.M. Cap. Schritte, um den
Abzugstermin wenigstens einige Tage hinauszuschieben; aber der Statthalter bestand
auf eiliger Räumung des Postens. So mussten denn die Patres ihre schönen Schaf-
und Ziegenherden, aus deren Ertrag sie die Waisenanstalt unterhalten hatten, um
einen Spottpreis losschlagen und die unter großen Mühen errichteten
Gebäulichkeiten und angelegten Pflanzungen der Wildnis und dem Verfall
preisgeben. Auf 60 Kamele packten sie im Verein mit den Schwestern auf, was in
der Eile zusammengerafft werden konnte, und am festgesetzten Tag langten die
Kapuziner mit ihren Kindern, etwa 120 an der Zahl, in Berbera an.
Hier hofften
sie ein ruhiges Heim, wo sie die Rückkehr ins Innere des Somalilandes in Geduld
abwarten könnten, zu finden; aber gerade in Berbera stand ihnen der Hauptschlag
bevor. Am Abend des Palmsonntags hörten die Patres plötzlich schwere Schritte.
Sie traten vor das Haus und sahen, wie eine Abteilung indischer Truppen sich
vor das Klösterchen postierte.
Drohte Gefahr? Oder was bezweckte der
Statthalter? Des anderen Morgens beschied Sir William Manning den P. Etienne zu
sich und eröffnete ihm, alle Missionäre hätten jede Tätigkeit einzustellen und
Berbera zu verlassen. Es seien Unruhen im Land ausgebrochen, und er habe den
Patres am verflossenen Abend eine Schutzmannschaft schicken müssen. Seine
Regierung verlange energisch den Abzug der Kapuziner.
P. Etienne
vermochte sein Erstaunen über diese Eröffnung nicht zu unterdrücken. Von
Unruhen war ihm nichts bekannt, und seit 18 Jahren, d. h. seit Eröffnung
der Mission, hatten die Patres nie unter ernsten Feindseligkeiten der Somalis
zu leiden gehabt. Vergebens erhob er Einspruch gegen diese gewalttätige Art des
Vorgehens, vergebens erschien Bischof Clark O.F.M. Cap., Apostolischer Vikar von
Arabien und Somaliland, um Berbera zu retten.
Der Statthalter griff zu
Drohungen, und so blieb den Patres nichts anderes übrig, als sich nach einem
Zufluchtsort umzusehen.
Anfangs dachte Msgr. Clark daran, seine Leute mit nach
Aden zu nehmen. Aber die Stadtobrigkeit widersetzte sich energisch der Einfuhr
von Somalis. So reiste denn einer der Missionäre, P. Irenäus, nach Harar, ins
Reich des Kaisers Menelik (Äthiopien), um vom Apostol. Vikar Jarosseau O.F.M. Cap.
Aufnahme in dessen Sprengel zu erwirken.
Unterdessen
bemühten sich die Patres, von der englischen Schutzherrschaft Entschädigung für
die großen Verluste, die sie durch die plötzliche Vertreibung erlitten hatten,
zu erhalten. Nach langen und oft peinlichen (d. h. anstrengenden bzw. schwierigen) Unterhandlungen wurde schließlich
eine Summe für die verlassenen Gebäulichkeiten in Schimbiraleh ausbezahlt, da
die Regierung sich bei Gründung der Anstalt vertragsmäßig zur Herausgabe der
Baukosten verpflichtet hatte, falls die Patres auf höheren Befehl das Haus
räumen müssten.
In einer anderen Angelegenheit zeigten sich die Beamten
rücksichtsvoller und geneigter. Es stand nämlich zu befürchten, dass die
Verwandten der Waisenkinder Schwierigkeiten gegen die Abreise ihrer
Stammesgenossen erheben und die Kinder zur Rückkehr in die Heimat zwingen
könnten. Aber die Beamten stellten derartige Forderungen an die klagenden
Somalis, dass kein einziges Kind der Mission entzogen wurde.
Voll Spannung
warteten nun die Missionäre auf die Antwort aus Abessinien. Endlich lief die
telegraphische Meldung ein: „herzlich willkommen“. In Eile wurde ein Schiff gemietet,
und am 3. Mai stießen die vertriebenen Kapuziner vom Strand ab, um sich über
Dschibuti ins Innere des Landes Ourso zu begeben. Überall fanden sie
freundliche Aufnahme, sowohl von den englischen und abessinischen Beamten als
von ihren Mitbrüdern, und ein Franzose schenkte ihnen ein weites Grundstück,
groß genug, um von dessen Ertrag die ganze Mission zu ernähren. Die Mission im
Somaliland war zerstört; aber das Somalivolk war nicht verlassen. Der
Somalistamm im Gallaland hatte durch den Sturm Glaubensboten erhalten.
Die wahre
Ursache der Vertreibung der Kapuziner aus dem englischen Somali-Schutzgebiet
bleibt bis heute unaufgeklärt. Von Anfang an zeigte sich die britische Regierung
ungemein nachgiebig gegen die muselmännische Bevölkerung, und in Streitigkeiten
zwischen Christen und Mohammedanern ergriffen die Beamten regelmäßig Partei für
letztere. Die vorgeschützten „wichtigen politischen Interessen“ werden wohl mit
dieser Begünstigungspolitik den Mohammedanern gegenüber im engsten Zusammenhang
stehen.
(Aus: die
katholischen Missionen, 1911)