Am Ostertag, den 29. März, verschied in einer einfachen
Kapuzinerzelle des Klosters von Crest in Frankreich der älteste der lebenden
Missionsbischöfe, der 89-jährige Msgr. Armand François-Marie de Charbonnel
O.F.M. Cap, ehemaliger Erzbischof [sic, eigentlich nur Bischof] von Toronto und Titularbischof von
Sozopolis. De Charbonnel gehörte einer altadeligen Familie Frankreichs an und
wurde auf Schloss Flachat bei Monistrol-sur-Loire am 1. Dezember 1802 geboren.
Er machte glänzende Studien, wandte dann aber, einem höheren Zug folgend, der
Welt den Rücken und trat ins Seminar von St. Sulpice. Ehe er noch als Subdiakon
durch eine höhere Weihe sich gebunden, machte sein Vater ihm den verlockenden
Antrag, als Stammhalter der Familie seinen erlauchten Namen weiterzuführen. Der
junge Charbonnel lehnte ab. Kaum war er 1825 zum Priester geweiht, als dem
Dreiundzwanzigjährigen die Würde eines Almoseniers der Herzogin von Berry und
damit die sichere Aussicht auf hohe kirchliche Würden angeboten wurde. Wieder
lehnte Charbonnel ab. Als er seine Weigerung schriftlich dem Kultusminister
Herrn v. Frayssinous einreichte, umarmte ihn dieser und sagte: „Mein lieber
Charbonnel, ich habe Sie bislang herzlich geliebt, jetzt aber verehre ich Sie
und liebe Sie noch mehr.“ – „Dass ich mit Gottes Hilfe diesen Antrag damals
zurückgewiesen“, so hörte man Msgr. Charbonnel später öfter sagen, „betrachte
ich nach den heiligen Weihen als die größte Gnade meines Lebens.“
Bald darauf
trat der junge, talentvolle Priester in die Genossenschafter der Sulpizianer
und war seit 1826 im Seminar vom hl. Irenäus in Lyon als Professor der
Dogmatik, Exegese und Kirchengeschichte tätig. Für seine Verdienste, die er
sich zur Zeit des Aufstands in Lyon 1834 erworben, sollte ihm das Ehrenkreuz zu
teil werden. Er schlug es aus. Nachdem er einige weitere Jahre in den Seminaren
von Versailles und Bordeaux als Professor gewirkt und während dieser Zeit
nacheinander die Ernennung zum Generalvikar und zum Bischof von sich
abgewiesen, schiffte er sich 1839 nach Nordamerika ein, wo für sein
apostolisches Herz ein weites Wirkungsfeld sich eröffnete. Innerhalb von fünf
Wochen hatte er in Baltimore das Englische so weit gemeistert, dass er sich auf
der Kanzel verständlich machen konnte. Dann ging er nach Kanada. Kurze Zeit
nach seiner Ankunft ließ der englische Gouverneur Lord Sydnam bei ihm anfragen,
ob er einen Bischofssitz in der englischen Kolonie anzunehmen geneigt wäre.
Lebhaft erwiderte Charbonnel: „Wollte ich Bischof werden, so hätte ich
Frankreich nicht verlassen brauchen.“ Später gelang es dem seeleneifrigen
Missionär noch, der Würde eines Koadjutors des Erzbischofs von New Orleans sich
zu entziehen, dann aber musste er sich endlich 1849 im Gehorsam dem Heiligen
Stuhle fügen, und 1850 weihte ihn Pius IX. in der Sixtinischen Kapelle
persönlich zum Bischof von Toronto und Oberkanada und schenkte ihm als Zeichen
seiner Liebe eine mit Gold gefüllte Börse, ein kostbares Messgewand und einen
herrlich gearbeiteten Kelch.
Das Wirken des neuen Bischofs von Toronto auch nur
einigermaßen zu schildern, würde ein großes Kapitel füllen. Die in Quebec
versammelten Bischöfe Kanadas gaben ihm den Titel eines „Vaters und Gründers
der Kirchenprovinz von Toronto“ und schrieben an Pius IX., „die Arbeiten des
Bischofs grenzten ans Wunderbare und erfüllten jedermann mit Staunen.“ Dies
eine Zeugnis spricht beredter als viele Worte. Ein besonders schöner Zug an
Msgr. Charbonnel war seine große Liebe nicht bloß zu den Armen Christi, für die
er eine ganze Reihe Anstalten der christlichen Liebe ins Leben rief, sondern
zur heiligen Armut selber. Von seinem eigenen Munde sparte er sich nicht zum
geringsten Teil die Mittel ab, die seine großartigen Unternehmungen
ermöglichten und ihn in den Stand setzten, die schwere Schuldenlast von 350.000
Francs, welche auf seiner Diözese lag, abzuzahlen.
Es war dieser Zug zur Armut und zur Strenge mit sich selbst,
der den fast 60-jährigen Kirchenfürsten vom Heiligen Stuhl die Erlaubnis
erbitten ließ, den erzbischöflichen Hirtenstab niederzulegen und seinen Palast
mit einer Kapuzinerzelle in seiner Heimat zu vertauschen. Sein Hauptinteresse
galt fortan dem Verein der Glaubensverbreitung. Auf die Bitte des Zentralkomitees
des Vereins ernannte der Präfekt der Propaganda, Kardinal Barnabo, den Bischof
in der Kapuzinerkutte zum Kreuzzugsprediger des großen Werks: ein Auftrag, dem
er mit wahrem Feuereifer entsprach. Zur Anerkennung seiner Verdienste erhob ihn
der Heilige Stuhl 1880 zum Titular-Erzbischof von Sozopolis. Empfahl man ihm
mit Rücksicht auf sein hohes Alter und seine Gesundheit Schonung, so war seine
Antwort immer: „Im Himmel ist Zeit genug zur Ruhe; hienieden müssen wir uns für
den göttlichen Meister etwas plagen.“ Erst 1882 zog er sich ganz in die
Einsamkeit des Klosters zurück, um sich auf die Ewigkeit vorzubereiten.
„Charbonnel, Charbonnel,“ so hörte man ihn da oft sagen, „denk an die
Ewigkeit!“ Bei der Nachricht von seinem Hinscheiden erließ Msgr. Cotton, der
Bischof von Valence, ein eigenes Rundschreiben an seinen Klerus, worin er das
Andenken des Verstorbenen feierte und es als besondere Gnade für die Diözese
hinstellte [wohl nicht im negativen Sinn], dass die letzten Strahlen dieses
schönen Lebens sie verklärt hatten.
(Aus: die katholischen Missionen, 1892)