Mit der französischen Eroberung des Küstengebiets von
Algerien um die Mitte des 19. Jahrhunderts fand auch die katholische
Kirche wieder Eingang in diese kirchengeschichtlich so bedeutsame Region, die
unter anderem die Heimat des heiligen Augustinus von Hippo ist. Zunächst hatte
sich die Kirche auf die Seelsorge der französischen Kolonisten konzentriert,
entfaltete aber nach einiger Zeit eine Missionstätigkeit, die besonders unter
dem Berberstamm der Kabylen einige Erfolge erzielte.
Bald nach Beginn der französischen Herrschaft zog
es zahlreiche Europäer, vor allem aus Frankreich und dem Mittelmeerraum, nach
Algerien. Zu ihnen gehörten auch die beiden eifrigen Lyoner Katholikinnen
Margarita Bergesio, eine italienische Einwanderin, besser bekannt als Agarithe
Berger, und Anne Cinquin, die dem Bischof von Algier, dem ebenfalls aus Lyon
stammenden Louis-Antoine-Augustin Pavy, ihre Dienste als Haushälterinnen
anboten.
Sie kümmerten sich um die Wäsche für die Krankenstation des Seminars von Algier.
In einem Baum am bewaldeten Hang in der Nähe der bischöflichen Residenz stellten
die beiden eine Marienstatue auf, um dort ihren Andachtsübungen nachzugehen. Bald
kamen Christen aus der umliegenden Gegend als Pilger an den Ort, der wegen des
Abhangs bald Notre Dame du Ravin genannt wurde. Die beiden frommen Damen
baten in der Folge Msgr. Pavy, dort eine Kapelle zu bauen, doch dieser zögerte
zunächst, bevor er sich am 8. Dezember 1854, dem Tag der Verkündigung des
Dogmas der Unbefleckten Empfängnis, dafür entschied, ein Bauprojekt unter dem
Namen Notre Dame d’Afrique zu beginnen.
Im Jahr 1857 entstand zunächst eine provisorische
kleine Kapelle, die heute noch besteht und den Namen Saint Joseph trägt.
Die Statue, die der Bischof auswählte, war eine Bronzekopie der Virgo
fidelis von Bouchardon. Diese hatte der erste Bischof von Algier, Msgr.
Dupuch, im Jahr 1840 für seine Kathedrale von Gläubigen in Lyon als Geschenk
erhalten; da die Kathedrale noch nicht fertig war, fand die Statue den Weg ins
Trappistenkloster in Staouëli in der Nähe der Hauptstadt und wurde von Msgr.
Pavy schließlich zurückgeholt. Am 2. Februar 1858 wurde der Grundstein der
heutigen Basilika auf einer Anhöhe im Viertel Saint-Eugène
gelegt. Architekt war Jean-Eugène Fromageau, der auch für andere Kirchenbauten
in der Diözese Algier verantwortlich zeichnete.
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Msgr. Pavy, Bischof von Algier und Bauherr der Wallfahrtskirche |
Zur Förderung des Bauprojekts
scheute sich der Bischof nicht, selbst den Wanderstab in die Hand zu nehmen und
in Frankreich für das neue Marienheiligtum in Nordafrika zu werben und Spenden
zu sammeln. Zu einem Missionar sagte Bischof Pavy im Jahr 1858: „Was man der
Mutter darbringt, wird der Sohn hundertfach vergelten.“
Er veröffentlichte auch ein umfangreiches Rundschreiben an die gesamte
katholische Welt zur Unterstützung dieses Werkes, in dem er die wechselreiche
Geschichte des Christentums in Nordafrika und die Verehrung Marias in diesen
Gegenden beleuchtete. Besonders rief er zum beharrlichen Gebet für die
Bekehrung der Muslime auf. Er versprach eine Zukunft, in der die Anhänger des
Islams Maria nicht nur als Mutter eines großen Propheten anerkennen würden,
sondern diese ihnen die Augen über die Gottheit ihres Sohnes öffnen würde. Dies
sei die einzige Rache, die sich der Bischof für die jahrhundertelange
Versklavung und Verfolgung wünsche, die durch den Hass gegen das Christentum von
der nordafrikanischen Küste ausgegangen seien. Msgr. Pavy starb im Jahr 1866, sodass sein Nachfolger, Msgr. Charles Martial
Lavigerie, der spätere Erzbischof, Kardinal und Gründer der Missionäre von
Afrika (besser bekannt als „Weiße Väter“) das Werk fertigstellen musste.
Die Basilika wurde schließlich am Fest Mariä Lichtmess 1872 von Msgr. Lavigerie
eingeweiht; am 4. Mai 1873 erfolgte im Rahmen des ersten
Provinzialkonzils, das in über einem Jahrtausend in Nordafrika abgehalten
wurde, die Übertragung der Statue aus der provisorischen Kapelle in die
Basilika. Teilnehmer an den Feierlichkeiten waren alle Bischöfe Algeriens sowie
die Äbte der Trappistenklöster Aiguebelle und Staouëli und zahlreiche Vertreter
des Welt- und Ordensklerus von Algier.
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(Quelle: Rabanus Flavus) |
Die Kirche ist äußerlich im neobyzantinischen Stil
gehalten und erinnert mit ihrer Kuppel- und Turmform an die Kirche Sacré-Cœur
de Montmartre in Paris. Auch das Innere ist orientalisch geprägt, wobei sich
blaue Ornamente von der weißen Grundfarbe abheben. Die dunkle Mutter-Gottes-Statue
in ihrem blauen Mantel befand sich früher unter einem eigenen Baldachin auf dem
Hochaltar direkt über dem Tabernakel. Heute steht nur noch eine Art Podest, auf
dem sich die Statue befindet und in dem auch der Tabernakel untergebracht ist.
Der Baldachin wurde entfernt. In der Apsis hinter der Statue befindet sich die
Inschrift „Notre-Dame-d’Afrique, priez pour nous et pour les musulmans“ (unsere
Liebe Frau von Afrika, bitte für uns und für die Moslems). Im Jahr 1876
erfolgte die kanonische Krönung der Marienstatue Unserer Lieben Frau von Afrika
und die Erhebung der Kirche zur Basilica minor. Damit wollte Papst Pius IX.
nicht nur die neue Wallfahrtskirche ehren, sondern auch der glorreichen Geschichte
der nordafrikanischen Kirche mit ihren zahlreichen Heiligen, Kirchenvätern und
Märtyrern seinen Tribut zollen. Heute zeugen die zahlreichen ex-Voto-Tafeln,
die die Wände der Kirche übersäen, von der großen Verehrung, die neben der
Bevölkerung Algiers besonders die Missionäre des afrikanischen Kontinents
Unserer Lieben Frau von Afrika entgegenbrachten. Neben den steinernen
Dankesgaben der Weißen Väter und Weißen Schwestern finden sich auch acht
Tafeln, die der heilige Charles de Foucauld im Zeitraum von 1901 bis 1910 mit
der Inschrift „Iesus Caritas“ und einem Herz-Jesu-Symbol dort hinterließ.
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Ex Votos des heiligen Charles de Foucauld (Quelle: https://notre-dame-afrique.org/nos-jours/)
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Mit der weltlichen Herrschaft Frankreichs hielten
bedauerlicherweise auch die Irrtümer der französischen Revolution Einzug in
Algerien; Priestern und Bischöfen wurde es unter Androhung von Strafen
verboten, sich der Bekehrung der Moslems und Juden in der neuen Kolonie zu
widmen. Der Jesuitenpater Ducat, der in Ben Aknoun bei Algier ein
Waisenhaus betrieb, empfand den Umstand, dass so wenig zur Bekehrung der
muslimischen Bevölkerung getan wurde, als sehr schmerzhaft. Es wurde zwar hier
und da für die Bekehrung der Anhänger Mohammeds gebetet, dies geschah nach
seinem Urteil aber längst nicht überall und nicht beharrlich genug. Er gründete
eine Gebetsgemeinschaft, deren Zweck es war, „durch das Gebet den reichsten
Segen vom Himmel auf die Eingeborenen herabzuziehen“ und berichtete bei einem
Rombesuch dem Heiligen Vater Pius IX. von seinem Vorhaben. Der Papst war ebenfalls
der Meinung, dass gegen den Islam ein „Kreuzzug des Gebets“ nötig sein würde.
Auch Msgr. Pavy stimmte den Zielen der Gebetsgemeinschaft zu und errichtete sie
im Jahr 1858 als Erzkonfraternität, die auch Mitglieder aus anderen Diözesen
aufnahm. Zentrum der Konfraternität war nach den Konstitutionen zunächst die
provisorische Kapelle. Alle Mitglieder sollten täglich ein Pater noster, ein
Ave und ein Gloria patri mit der Anrufung „Unbeflecktes Herz Mariens, bitte für
uns für die armen Ungläubigen!“ beten. Jeden Samstag wurde das Messopfer auf
dem Altar Unserer Lieben Frau von Afrika für die Intention der
Erzkonfraternität gefeiert; das Hauptfest war der 22. August, das Fest des
Unbefleckten Herzens Mariens. Für die Mitglieder in den einzelnen Diözesen
sollte jeweils ein Priester die Korrespondenz mit der Leitung der
Erzkonfraternität übernehmen und die Mitgliedernamen an diese übermitteln. Die
Konfraternität hatte bald mehrere zehntausend Mitglieder in ganz Frankreich.
Später kamen Mitglieder aus Deutschland, der Schweiz und selbst aus den
Missionen in Thailand hinzu. Besondere Förderung erhielt die Konfraternität
auch durch die Weißen Väter, die 1868 von Msgr. Lavigerie in Algier gegründet
worden waren und sich unter den besonderen Schutz Unserer Lieben Frau von
Afrika gestellt hatten.
Im frühen
20. Jahrhundert geriet die Konfraternität zusehends in Verfall, da die Priester
Frankreichs durch die kirchenfeindlichen Gesetze von 1905 in ihrer Tätigkeit
behindert wurden. Zudem überließen die Weißen Väter die Seelsorge in Algier dem
Weltklerus und konzentrierten sich vor allem auf ihre Missionen an den Afrikanischen
Großen Seen. Am 6. Januar 1923 errichtete Msgr. Augustin-Fernand Leynaud,
Erzbischof von Algier, die Gebetsgemeinschaft neu und machte in dem dazugehörigen
Hirtenbrief darauf aufmerksam, wie stark der Zug der muslimischen Bevölkerung
zu Unserer Lieben Frau von Afrika war. Viele Moslems kamen und kommen noch
heute in die Basilika, um zu Meriem zu beten. Er wies noch einmal darauf
hin, dass die Bekehrung der muslimischen Welt mit eifrigerem und beharrlichem Gebet
beschleunigt werden kann. Die Konstitutionen wurden geringfügig verändert: die
Anrufung lautete nun „Unsere Liebe Frau von Afrika, bitte für uns und für die
Moslems und die anderen Ungläubigen in Afrika“, während das Hauptfest auf
Epiphanie gelegt wurde.
Wie viele andere Wallfahrtsorte auch haben
zahlreiche Gläubige bei Unserer Lieben Frau von Afrika die Erhörung ihrer
Gebete und sogar wunderbare Heilungen erfahren. So trägt sie auch den Beinamen
der „Trösterin der Betrübten“ Ebenso verehrten die Seefahrer Algiers sie in
einer eigenen Bruderschaft.
Eine besondere Pilgergruppe brachte im Jahr 1914
Unserer Lieben Frau ihre Verehrung dar. Eine Gesandtschaft der katholischen
Häupter Ugandas unter Führung ihrer Missionare, der Weißen Väter, dankte Maria für
die Gnaden, die ihr Volk besonders in den vorangegangenen Jahren erhalten
hatte:
„Am 19. Februar 1914 sah
die Kirche U.L. Frau von Afrika bei Algier eine seltene Feier: vier der
vornehmsten Baganda weihten im Namen ihrer 200.000 katholischen Landesbrüder
ihr Vaterland der Mutter Gottes.
Diese Wallfahrtskirche ist mit der Geschichte der
Weißen Väter und der Ugandamission innig verknüpft: hier wurde der erste
Priester der jungen Gesellschaft geweiht, von hier aus sandte Kardinal
Lavigerie 1878 die erste Karawane seiner Missionäre ins Herz des schwarzen
Erdteils, nach Uganda.
Der Sturm einer blutigen Christenverfolgung ist
seitdem über die junge Saat dahingebraust und hat Uganda und der ganzen
Kirche 22
Negermärtyrer geschenkt. Und das Blut dieser Märtyrer ist der
Same neuer Christen geworden: aus den 4000 Katholiken Ugandas zu Beginn der
Verfolgung (1886) sind über 220.000 geworden.
Die frohen Ereignisse der letzten Jahre, die Einleitung
des Seligsprechungsprozesses der Bagandamärtyrer und die Weihe der ersten
Bagandapriester haben den Katholiken die Größe ihrer
Dankesschuld gegen Maria wieder klar vor Augen gestellt und sie gedrängt, aus
den Edelsten ihres Volkes vier Gesandte zu wählen, die der Königin Afrikas in
ihrem Heiligtum den Dank des ganzen Volkes abstatten sollten.
Zugleich sollten sie das Mutterhaus der Weißen
Väter, Maison Carée, aufsuchen, von dem so viel Segen über Uganda
ausgegangen, ihren erkrankten Oberhirten, Bischof Streicher, dort begrüßen und
dann als Vertreter des Volkes zum Grabe des Erlösers nach Jerusalem, zum
Heiligen Vater in Rom und nach Lourdes wallfahren.
Die Erwählten waren Stanislaus
Mugwanja, der bekannte Justizminister des Königreichs Uganda, Alexis
Pokino, Statthalter der Provinz Buddu, und der Prinz Joseph Mosonge Wulugembe,
Enkel des Königs Mtesa und Vetter des jetzigen Königs. Außerdem hatte
Stanislaus aus der Schar seiner 17 Kinder seinen Sohn Benedikt an der Reise
teilnehmen lassen.
Am Morgen des 19. Februar wurden die vier Baganda
in feierlichem Zuge in die Basilika geleitet, wo sich die Weißen Väter und
Schwestern aus dem Mutterhause und dem Noviziat, der Ordens- und Weltklerus und
die Katholiken von Algier und Umgebung zur Feier versammelt hatten. Nach dem
Pontifikalamt, das Bischof Streicher von Uganda unter Assistenz des Bischofs
Livinhac, des Generaloberen der Weißen Väter, zelebrierte, las Stanislaus
Mugwanja mit fester Stimme die feierliche Weihe vor:
‚O heiligste Jungfrau Maria, unsere Mutter, schaue
auf uns Kinder Ugandas, die wir hier vor dir knien.
Wir sind gekommen, um dir in unserem Namen und in
dem aller katholischen Baganda Dank zu sagen für die wunderbare Ausbreitung,
welche unsere heilige Religion in unserem Land genommen hat.
Wir danken dir auch für die große Anzahl
seeleneifriger Priester, die du zu uns gesandt hast, damit sie uns in den
Wahrheiten des Glaubens unterrichten. Wir weihen dir unser Land und
unterstellen es deiner Obhut.
Nimm unsere Weihe huldvoll an und erwirke allen
jenen, die unseren heiligen Glauben bereits angenommen haben, die Gnade, ihm
treu zu bleiben, jenen unserer Landsleute aber, die dich noch nicht kennen,
sowie die Völker rings umher, das unschätzbare Glück, katholisch zu werden und
so dahin gelangen, in Wahrheit Jesus, unseren Herrn und Seligmacher, kennen und
lieben zu lernen.
Stanislaus Mugwanja,
Alexis Pokino, Josefu Wulugembe.‘
‚Wiewohl
wir die Worte nicht verstanden‘, schreibt ein Augenzeuge, ‚hörten wir doch aus
seinem Vortrag die tiefe Ergriffenheit heraus.‘
Die schönste Freude bot dieser Tag dem greisen
Generalobern der Weißen Väter,
der als einer der ersten die frohe Botschaft in Uganda verkündet und als
Oberhirte der Kirche Ugandas die blutige Verfolgung in ihrer ganzen Bitterkeit
verkostet hatte.“
Wie bereits in den frühesten Tagen des
Wallfahrtsortes, als sich Muslime den Prozessionen zu Notre-Dame du Ravin anschlossen,
so ist die Basilika Unserer Lieben Frau von Afrika auch heute, über 60 Jahre
nach Ende der französischen Herrschaft über Algerien und dem fast vollständigen
Exodus der christlichen Bevölkerung, eine Stätte, an dem viele Anhänger des
Islams sich den Segen von „Meriem“ erbitten. Möge Msgr. Pavys Wunsch in
Erfüllung gehen und die Mutter Gottes ihnen die Erkenntnis von der Göttlichkeit
ihres Sohnes Jesus Christus vermitteln.