Zu mir kam ein schon etwas unter der
Last der Jahre gebeugter Greis, den ich nie zuvor gesehen hatte, und sagte: „Hier
bin ich, Mann Gottes, der ich mit allem, was mich an diese Welt band, ein für
allemal gebrochen habe. Ich gehe nicht mehr von der Stelle; du musst meinen
Leib wieder in Erde verwandeln!“ (Ein Telugu-Ausdruck für „Beerdigung“ oder „zu
Grabe tragen“) Diese energischen Worte kamen aus seinem Munde, indem er sich
vor mich hinpflanzte, den fünf Fuß langen, oben und unten mit Eisen fest
beschlagenen Bambusstock vor sich zur Stütze vorschob und mit der Brust darauf
lehnte, während er unter seinem ungeheuren dicken Turban heraus zu mir
hinaufblickte. — „Nun wohl, Großväterchen“, erwiderte ich, amüsiert durch sein
Benehmen und sicheres Auftreten, „was wünschest du denn? Wer bist du? Woher
kommst du?“ — „Ich gehöre zur Reddi-Kaste“, entgegnete er; „mein Name ist Arelavala
Laxmireddi; ich habe ein Bauerngut im Dorfe Baderi und bin nicht gekommen, um
zeitliche Güter von dir zu erbitten, denn die wünsche ich nicht. Ich habe aber
gehört, dass du den wahren Gott kennst und mit ihm vertraut bist, und dass du
lehrst, was recht und unrecht ist. Ich habe Siwa, Wischnu, Polerama verehrt,
bin auch Ramas Lehren gefolgt, habe Almosen und Opfer nicht gescheut und sie
dargebracht, wie die Brahmanen es vorgeschrieben, ohne aber in all dem Befriedigung
zu finden. Gar manches in diesem Kulte fand ich abstoßend, und nie konnte ich
mich dazu verstehen, die unzüchtigen Taten der Götter und „Heiligen“
nachzuahmen. Jetzt aber bin ich fest überzeugt, dass wirklich alles nur Lug und
Trug ist. Was man heute als gutes Werk anpries, war morgen eine Sünde und
umgekehrt. Nun möchte ich ein für allemal die Wahrheit wissen und tun, was recht
ist, und unterlassen, was böse ist. Um das zu lernen, bin ich gekommen. Dass
deine Religion die richtige ist, weiß ich schon.“
Auf meine Frage, wie er zu dieser
Überzeugung gelangt sei, erzählte er folgendes: „Als ich vor ungefähr einem
Jahre einige Fuder Korn nach Guntur zu Markte bringen wollte, hielten wir zur
Nachtruhe in Phirangipuram an. Früh am nächsten Morgen hörten wir einen so
schönen Gesang, wie ich noch nie zuvor vernommen hatte, auch sahen wir eine
Menge Leute alle nach derselben Stelle hinlaufen. Ich folgte neugierig und sah
dann etwas so Wunderbares, dass ich gleich dachte: das muss der Himmel selbst
sein. Als ich die Leute fragte, was das alles zu bedeuten habe, erhielt ich die
Antwort, dass der Mann Gottes dem wahren, lebendigen Gott Himmels und der Erde
ein Opfer darbringe. Zuerst war ich gebannt; dann musst e ich weinen und tat
wie die anderen Leute, warf mich auf die Knie und hob die Hände zum Himmel
empor. Du standest hoch oben und von Lichtern umgeben. Anfangs wollte ich nicht
glauben, dass du ein Mensch seiest. Zuletzt hast du dich umgedreht und fingst
an so viel Buddi (das ist Verstand und Wahrheit) zu reden, dass jedermann es
fassen und begreifen konnte, nicht wie bei den Brahmanen, die so reden, dass
unsereins den Sinn nicht verstehen kann. Ich war gleich überzeugt, dass dieses
die wahre Religion sein müsse, und erfuhr dann auch zum ersten Male, dass viele
Leute meiner Kaste zu ihr sich bekennen.
Ich wollte gleich hier bleiben und
dich aufsuchen und Karren und Korn meinem Sohn überlassen. Allein man zwang
mich, zuerst das Geschäft abzumachen und noch zu Hause verschiedene Anordnungen
zu treffen. Als wir wieder nach Hause zurückgekehrt waren, wollte man von der
Ausführung meines Planes nichts hören; alle suchten es mir auszureden. Man
hielt mich hin, zog alles in die Länge und machte mir allerhand Vorstellungen,
sobald ich von Phirangipuram redete. Endlich war des Wartens und besonders des
Verdrusses müde. Ich verteilte mein Hab und Gut unter meine Kinder und behielt
nur so viel zurück, als ich für meinen und meines Weibes Unterhalt für
notwendig erachtete. So bin ich nun hier und will von jetzt ab nur dem wahren
Gott dienen; und ich sage dir im Voraus, dass nichts mich wieder von hier
fortbringen wird.“
Nachdem ich noch mehrere Fragen an
ihn gestellt hatte, glaubte ich annehmen zu dürfen, dass dieser Mann einer von
den wenigen unter Millionen Heiden sei, die nach bestem Wissen und Gewissen
stets bestrebt gewesen, das Naturgesetz zu beobachten. Der hl. Thomas von Aquin
sagt bekanntlich von solchen Heiden, die vom wahren Gott nicht gehört haben und
doch das Naturgesetz beobachten, dass Gott in seiner Güte und Barmherzigkeit
ihnen die Taufgnade vermitteln würde, selbst wenn ein Wunder dazu erforderlich
wäre.
Ich möchte noch erwähnen, dass ich in
meinem langen Missionsleben wohl gut ein halbes Dutzend ähnlicher Fälle
anführen könnte, die mir selbst vorgekommen sind. Bemerkenswert war mir dabei
immer der Umstand, dass alle diese Leute von Jugend auf ein hartes, arbeitsames
Leben geführt hatten oder in Not, Elend und Krankheit aufgewachsen waren. Nach
ihrem eigenen Bekenntnis hieß es immer: Wir hatte weder Kraft noch Neigung,
eine Sünde zu begehen. NB. Hier versteht der Heide unter Sünde stets eine große
Ungerechtigkeit und Betrug den Nebenmenschen gegenüber, besonders wenn solche
ihm nie etwas zuleid getan, oder wenn sie hilflos waren und niemand sie
verteidigen konnte, wie auch recht grobe Vergehen gegen das sechste Gebot.
Um wieder auf Laxmireddi
zurückzukommen, muss ich sagen, dass es dem alten Manne im Anfang recht schwer
fiel, die Gebete seinem schon abgenützten Gedächtnis einzuprägen. Nichts wollte
mehr haften bleiben. Nur seinem unermüdlichen, mit wahrhaft heroischer
Überwindung verbundenen Fleiß hatte er es zu verdanken, dass er endlich nach
drei Monaten das Kreuzzeichen, Vaterunser, Gegrüßet seist du, Maria, und das
Glaubensbekenntnis wusste. Die Heilswahrheiten hingegen verstand und begriff er
spielend leicht. — Unter dem Namen Peter wurde er endlich in den Schoß der
heiligen Kirche aufgenommen. Von da ab lebte er sozusagen in der Kirche.
Stundenlang lag er auf seinem Angesicht vor dem Allerheiligsten oder betete
einen Rosenkranz nach dem anderen, hingestreckt auf seinen Knien oder
abwechselnd die Hände zum Himmel erhoben. Im Anfang der letzten heißen
Jahreszeit kam er eines Morgens zu mir und sagte, er beabsichtige, wenn ich es
für gut finde, noch einmal seine Heimat auf drei oder vier Tage zu besuchen, um
Geld oder Lebensmittel zu holen und um sein Weib und seine Kinder für den
alleinseligmachenden Glauben zu gewinnen. Seine Söhne waren nämlich mehrmals
hier gewesen nämlich mehrmals hier gewesen, um ihren alten Vater zu sehen und
zu überreden, mit ihnen in die Heimat zurückzukehren; sie würden ihm keinerlei
Hindernisse in den Weg legen, seinem Glauben nach zu leben. Der alte Bauer aber
schlug ihnen die Bitte immer entschieden ab, indem er beteuerte, er könne nicht
mehr ohne Kirche und Gottesdienst leben. Vielmehr sollten sie alles verkaufen
und hier in Phirangipuram sich niederlassen. Da ich sein Vorhaben lobte und
genehmigte, nahm er gleich Abschied, um mit dem nächsten Zug abzufahren.
Ungefähr fünfzig Schritte vom
Stationsgebäude sank der alte, dem Anschein nach noch ganz gesunde Mann
plötzlich in die Knie und gab, ohne ein Wort zu sagen, den Geist auf. Ich wurde
sogleich gerufen, fand ihn aber schon als Leiche. Seine Seele war in ein
besseres Jenseits abgereist. Noch am selben Morgen hatte er die heilige
Kommunion empfangen. Sein Grabhügel auf dem Gottesacker von Phirangipuram, der
am Fuß des Berges von einer Muttergotteskapelle überschatte wird, legt Zeugnis
ab von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes zu den Menschenkindern, die eines
guten Willens sind. Alter Peter, mögen deine Überreste dort sanft schlummern
bis zum großen Gerichtstag, um dann, mit deiner edlen Seele wieder vereinigt,
vor aller Welt den Gott zu preisen, der Großes an dir getan!
(Aus: die katholischen Missionen,
1912)