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Paul Tzi |
Er heißt Paul Tzi und stammt aus einem kleinen Dorf in Ost-Schantung.
Frühzeitig verwaist und sich selbst überlassen, stand er hilflos da. Ein Erbe
fiel ihm nicht zu, und keiner der Verwandten und Nachbarn kümmerte sich um den
armen Jungen.
Erst arbeitete er bei Bauern, und als er sich einige Groschen
erspart hatte und die arbeitslose Winterzeit herankam, begann er einen kleinen
Handel. Mit zwei an einer Bambusstange herabhängenden Körben zog er von Dorf zu
Dorf, seine Waren: Früchte, Streichhölzer, Zwirnfaden, Pfeifenköpfe u. dgl.
feilbietend, um sich seinen kargen Unterhalt zu verdienen. Mehr wollte er
nicht, als sein Leben ehrlich fristen. Im Gegensatz zu den meisten seiner
Kollegen war er stets gewissenhaft in seinem Handel und Wandel und beachtete
das in seinem Herzen eingegrabene Sittengesetz genau.
Vor etwa 25 Jahren kamen presbyterianische Sendlinge in jene Gegend.
Auf dem Marktplatz der Stadt Tschangi pflegten sie Aufstellung zu nehmen, und
nachdem sie mit einer Ziehharmonika viele Neugierige angelockt hatten,
predigten sie ihre Lehre und teilten massenhaft Bibeln unter die Menge aus.
Bei einer solchen Gelegenheit hörte unser Tzi zum ersten Mal vom Gott der
Christen reden. Die neue Lehre gefiel ihm, und von dem aufrichtigen Wunsche
beseelt, seinem Schöpfer zu dienen, ließ er sich in die Gemeinde aufnehmen. Er
studierte eifrig die Bibel und wurde einer der treuesten Beobachter der fremden
Religion.
Als im Jahr 1900 die Boxerverfolgung über das nördliche China hinfegte,
wurde auch die Presbyterianergemeinde von Tschangi heimgesucht. Die meisten
fielen ab oder verbargen sich. Tzi jedoch blieb standhaft in seinem Glauben und
suchte auch seine Religionsgenossen zur Ausdauer anzufeuern.
Als der Sturm vorüber war, zog er hinaus, sammelte die zerstreuten und
verscheuchten Schäflein und brachte durch Wort und Beispiel die
Christengemeinde von Tschangi und Umgebung zu großer Blüte.
Der amerikanische Missionsobere war auf den seeleneifrigen Jünger
aufmerksam geworden und beschloss, ihn zur Ausbreitung seiner Lehre zu
benutzen.
Mittlerweile war er 70 Jahre alt geworden, und um ihn für seine
apostolischen Arbeiten zu belohnen und seine Kräfte noch länger und nützlicher
für seine Kirche verwerten zu können, ernannte ihn der in der Stadt Weihsien
residierende Superintendent zu seinem Stellvertreter für Stadt und Kreis Tschangi.
Er hatte als Vikar den Gottesdienst zu leiten und die dortigen
Gemeinden zu regieren.
Jeden Sonntag predigte er vor seinem Volke, und treu der Weisung seines
Vorbildes und Patrons St. Paulus rügte er freimütig die Vergehen, ohne
Rücksicht auf Stand oder Person, und forderte von allen treue Befolgung des
göttlichen Gesetzes.
Nun waren unter seiner Herde manche Vornehme, die das Christentum nur aus
weltlichen Beweggründen angenommen hatten und mit den bequemen heidnischen
Sitten nicht brechen wollten. Sie waren aber einflussreich, und die Mahnungen
des ungestümen Propheten waren ihnen zu lästig.
Um sich seiner zu entledigen,
nahmen sie zu niedrigen Ränken und Verleumdungen ihre Zuflucht.
Angeekelt durch diese Treibereien und die in der Sekte um sich greifende
Unordnung, welcher die höheren Vorsteher aus Menschenfurcht nicht zu steuern
wagten, schüttelte Tzi den Staub von den Füßen und zog sich zurück. Seine Seele
war tief verwundet und seufzte zu Gott um Licht und Kraft.
Eines Tages trat er in einen Laden, um Einkäufe zu machen. Der Krämer, ein
Katholik, fragte ihn teilnahmsvoll nach der Ursache seiner
Niedergeschlagenheit. Und als unser Tzi ihm seinen Seelenschmerz mitteilte,
sagte er ihm, das sei gar nicht zu verwundern; er sei eben in die falsche
Kirche eingetreten. Nur die von Christus gegründete und regierte katholische
Kirche sei die Grundfeste der Ordnung und spende ihren Kindern den wahren
Frieden des Herzens.
Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf Tzi; denn zum ersten Mal hörte er
von der katholischen Religion reden.
Nach einer Weile tiefen Nachsinnens fragte er: „Und wenn ich katholisch werden
wollte, würden eure Priester mich zulassen?“
„Ganz gewiss“, war die Antwort, „sofern du die Gebote Gottes und seiner Kirche
befolgen willst!“
„Meinem Gott aus allen Kräften zu dienen, war und ist mein einziges Bestreben!“
rief er aus. „Möge er mir nur gnädig seinen heiligen Willen kundtun!“
Auf seinen Wunsch wurde er hierauf zum katholischen Missionär des Bezirks
geführt, dem schon bei der ersten Unterhaltung klar wurde, dass er es mit einer
außergewöhnlich begnadeten Seele zu tun habe.
Der Unterricht eines Konvertiten von so guter Gesinnung war eine leichte Sache.
Er zeigte gründliche Kenntnis der Bibel, insbesondere des Neuen Testaments und
des ihm so lieben hl. Paulus.
Als alle seine Zweifel behoben und seine Einwendungen widerlegt waren, siedelte
er auf einige Wochen zu dem Missionär nach Hwangbu, einer alten
Christengemeinde, über, um dort katholisches und kirchliches Leben aus eigener
Anschauung kennenzulernen. Oft hob er den Gegensatz hervor zwischen den
Protestanten, die sich mit einem leeren Glauben begnügten, und der katholischen
Kirche, die das ganze Leben ihrer Kinder durch heilsame Vorschriften regelt.
Er wohnte allen Andachten und kirchlichen Feierlichkeiten mit größter Andacht
bei. Eines Tages sah er, wie der Priester einem Kind die heilige Taufe
spendete, was einen tiefen Eindruck auf ihn machte. Von da an war er überzeugt,
dass seine von den Presbyterianern gespendete Taufe nicht echt gewesen, und
bat, man möge ihn nach katholischem Ritus taufen.
Endlich kam der langersehnte Tag, an dem er ein Kind der heiligen Kirche werden
sollte. Alle die schönen Gebete und tiefsinnigen Gebräuche waren ihm vorher
erläutert worden, und er folgte der heiligen Handlung mit sichtlicher
Ergriffenheit.
Nun kam der Augenblick, wo er die presbyterianische Irrlehre abschwören sollte.
Als ihm der Priester die entsprechende Frage stellte, brach er plötzlich in
Schluchzen und Tränen aus.
Die Umstehenden meinten, es sei aus Anhänglichkeit an seine früheren Freunde.
Aber der alte Mann rief aus: „Mein Herz möchte zerspringen vor Leid und Reue
bei dem Gedanken, dass ich über 20 Jahre den Irrtum geglaubt und verbreitet
habe. Möge der liebe Gott mir verzeihen und mir die Gnade verleihen, ihm den
Rest meines Lebens zu weihen im Dienste der einen, wahren Kirche!“
Und er fuhr fort zu weinen wie ein Kind, und die ganze Gemeinde weinte mit ihm.
Er wurde nun bedingungsweise wiedergetauft unter dem Namen Petrus. Der
Missionär, auf seinen Namen anspielend, sagte zu ihm: „Da du nun bekehrt und
befestigt bist im wahren Glauben, so gehe hin und lehre auch deine Brüder.
Mögest du sein wie Petrus, ein Fels, und auf diesen Felsen möge Gott seine
Kirche in Tschangi bauen!“
Der Neubekehrte machte sich sofort mit apostolischem Eifer ans Werk. Er kehrte
nach Tschangi zurück und predigte seinen früheren Religionsgenossen die
katholische Wahrheit, in der er sein Glück und seine Seligkeit gefunden. Seine
überzeugungsvollen Worte und sein heiligmäßiger Wandel bewogen bereits viele,
ihm zu folgen.
Vergebens suchten die presbyterianischen Geistlichen ihn
zurückzugewinnen. Man bot ihm Ehrenstellen und reichen Lohn an, mehr als ihm der
arme katholische Missionär bieten konnte. Aber das in China allmächtige Geld
blieb ohne Einfluss auf seine gerade Seele.
„Um alles Gold Amerikas“, erwiderte
er, „gebe ich keine Jota von der Wahrheit preis. Ich war immer arm und will
auch in meinem Alter nicht reich werden. Mein Reichtum ist in Gott und im
Dienste seiner Kirche. Derjenige, der die Raben speist, wird auch mir meinen
täglichen Topf Hirsebrei nicht versagen!“
So prallte die Versuchung ab. Die Presbyterianer sahen ihren Anhang täglich
zusammenschrumpfen und verlegten den Mittelpunkt nach einem andren entfernten
Flecken, Imma.
Allein auch dort machte sich der Einfluss des seeleneifrigen Konvertiten
fühlbar.
Er gewann seinen ehemaligen Kollegen, der jene Gemeinde leitete, für
den wahren Glauben, und letzterer zog viele seiner Schäflein nach sich. So
entstand auch hier auf den Trümmern des Presbyterianismus eine schöne Christenheit.
Leider sollte die Wirksamkeit unseres Apostels nicht lange dauern. Nicht ganz
zwei Jahre hatte er, wie ein anderer Paulus, für die Kirche gearbeitet.
Er
redete gerne von der großen Gnade seiner Bekehrung, und Tränen entströmten
seinen Augen, wenn er erwähnte, wie er früher die katholische Wahrheit, die er
nicht kannte, bekämpft hatte. „Ich war ein Saulus“, pflegte er zu sagen; „aber
Gott erbarmte sich meiner. O könnte ich, wie der hl. Paulus, meine Verfehlungen
wieder gutmachen!“
Im Laufe des Winters wurde er krank. Er war während der ganzen Zeit ein Muster
der Geduld und beweinte fortwährend seine Sünden.
Mit größter Andacht empfing er die heiligen Sterbesakramente und wohnte am Fest
Pauli Bekehrung (25. Januar) der heiligen Messe bei, die der Missionär neben
seinem Krankenlager feierte.
Er war ganz in das Geheimnis des Festes versunken und machte rührende
Vergleiche zwischen dem großen hl. Paulus und dem kleinen bekehrten Saulus.
„Wenn
mein großer Schutzheiliger sich meiner annimmt“, sagte er, „So fürchte ich den
Tod nicht. Er weiß, dass ich aus Unwissenheit gegen die katholische Kirche
eiferte. Ich möchte mich so gründlich bekehren wie er und unter seinem Schutz
sterben.“
Diese Gnade wurde ihm zuteil. Am selben Abend starb er eines heiligmäßigen
Todes.
Tschisu (Schantung), China, Morand
Gaeng O.F.M.
(Aus: die katholischen Missionen, 1920)