Afrika, das
sonst so opferreiche, ist diesmal auf unserer Totenliste nicht vertreten.
Dagegen hat der Orient zwei seiner Kirchenfürsten zu betrauern. Am Tag vor
Weihnachten schlummerte der 82-jährige Patriarch der Maroniten, Se. Seligkeit
Youhanna Boutros el Hajj, in seiner Winterresidenz zu Bekerkey im Libanon
friedlich zum besseren Leben hinüber. Sein von hohem Alter und Mühsalen
gebrochener Leib hatte einem starken Fieberanfall keinen Widerstand mehr bieten
können. Um die entseelte Hülle sammelten sich nicht bloß seine eigenen
Suffragane, sondern die Vertreter aller Klassen und Nationen des Libanon. Msgr.
Duval O.P., Apostol. Delegat für Syrien, Graf von Curcey, der französische
Generalkonsul in Beirut, Erzbischöfe, Bischöfe, Priester und Mönche der
verschiedensten Riten, die Prinzen und Scheichs der Berge, die lateinischen
Missionäre: Franziskaner, Kapuziner, Jesuiten, Lazaristen, alle kamen, um dem
allgemein geliebten Patriarchen die letzte Ehre zu erweisen.
Nach Landessitte
auf einem Thron sitzend, mit den Gewändern und Insignien des Patriarchen
angetan, assistierte der ehrwürdige Priestergreis gleichsam im Tod noch den
feierlichen Totenämtern, die in lateinischem, syrischem und griechisch-melchitischem
Ritus gehalten wurden. Msgr. Debs, maronitischer Erzbischof von Beirut, hielt
in arabischer Sprache die Leichenrede.
Msgr. Youhanna Boutros el Hajj begann am 1. November 1817
zu Delipta im Distrikt Kesruan seine irdische Laufbahn. Nach Vollendung seiner
klerikalen Ausbildung studierte der talentvolle junge Priester türkisches
Recht, wurde 1844 von Msgr. Johann Habil für seine Glaubensgenossen zum Richter
des Libanon ernannt und bewies in dieser Stellung in schwierigen Zeiten große
Klugheit und Festigkeit.
1861 bestieg er
den erzbischöflichen Stuhl von Balbeek. „Alles“, so erzählte Damien Ramia in
den Echos d’Orient „war hier erst zu schaffen; denn die früheren Bischöfe des
Libanon lebten gemeinsam mit ihrem Patriarchen zusammen. Der neue Erzbischof
hatte bloß einen Titel, aber weder eine Residenz noch irgendwelches Einkommen.
Trotzdem gab er sich mutig ans Werk, und mit Gottes Segen war seine Diözese
bald eine der bestbestellten seines Ritus.“ Seine Diözesanen hingen aber auch
mit unbegrenzter Liebe an ihrem Vater, und als nach dem Tod des Patriarchen
Massad die maronitischen Bischöfe am 28. April 1890 Msgr. Hajj einstimmig zum
Nachfolger wählten, sprachen sie aus dem Herzen des ganzen Volkes, das die
Neuwahl mit Jubel begrüßte. Drei Tage und drei Nächte trugen Glockengeläute und
Gewehrsalven die frohe Kunde durch die Berge.
Am 23. Juni 1890 bestätigte Leo
XIII. die Wahl und lobte bei dieser Gelegenheit seine lieben Maroniten wegen
ihrer Treue, mit der sie in allen Stürmen zur Mutterkirche gehalten. In seiner
neuen Würde bewährte Msgr. Hajj die schönsten Eigenschaften des Geistes und
Herzens: große Klugheit, hingebende Selbstverleugnung, unwandelbare Treue und
Liebe zur heiligen Kirche und seinem Volk.
Seine erste Sorge war, die Bildung seines
einheimischen Klerus zu heben. Auf seine Anregung hin stellte Leo XIII. das
1584 von Gregor XIII. gegründete maronitische Seminar in Rom wieder her. „200
Jahre lang“, schreibt Ramia, „hatte dieses Kolleg unter der Leitung der
Jesuiten Europa eine Reihe Gelehrter, wie die beiden Assemani, dem Orient aber
eine Phalanx durch Frömmigkeit und Tugend ausgezeichneter Männer geschenkt.“
Napoleon hatte es 1813 verschleudert. Nun sollte es, 1894 wiederhergestellt,
abermals eine fruchtbare Schule apostolischer Arbeiter für den Libanon werden. Dank der Bemühungen der Patriarchen stiftete die französische Regierung auch in
dem berühmten Seminar St. Suplice in Paris acht Freiplätze für junge Maroniten
und räumte den zahlreich in der Seine-Stadt weilenden Maroniten die Kapelle von
Petit Luxembourg ein.
Durch
Altersschwäche gehindert, musste Msgr. el Hajj 1893 beim Eucharistischen
Kongress in Jerusalem und bei der von Leo XIII. nach Rom berufenen Versammlung
der orientalischen Patriarchen zur Beratung der Unionsfrage durch seinen
Koadjutor, Msgr. Hoyek, Erzbischof von Arka, sich vertreten lassen, nahm aber
aus der Ferne den regsten Anteil und erklärte in einem wunderschönen Brief an
den Heiligen Vater seine vollste Übereinstimmung mit allen Weisungen und
Beschlüssen.
Mit den lateinischen Missionären, denen ja der Libanon so viel
verdankt, stand der Patriarch in den besten Beziehungen. „Wir müssen“, so
pflegte er zu sagen, „alle brüderlich zusammenhalten und miteinander Hand in
Hand gehen, um die Seelen zu retten. Das ist der Geist Jesu Christi, der seine
Apostel nicht bloß zu den Juden, sondern auch zu den Heiden gesandt. In seiner
Kirche gibt es keine Lateiner, Griechen, Armenier, sondern Katholiken,
d. h. Kinder einer Mutter, die alle dem gemeinsamen Oberhirten, dem
Stellvertreter Christi auf Erden, unterstehen.“ Eine Reihe schöner Neubauten,
Kirchen und Anstalten, wie die von Aramun, Diman, Bekerkey, die
Patriarchenwohnung und die Kirche des hl. Maron in Jerusalem sind Schöpfungen
des Patriarchen.
Seine hohen Verdienste brachten ihm auch die höchste Anerkennung
von außen. So erhielt er das Kreuz vom heiligen Grabe, den Medschidieh-Orden I.
Klasse und den osmanischen Großkordon, sowie das Kommandantenkreuz der
französischen Ehrenlegion. „Der Name Msgr. Hajjs“, schließt Ramia, „wird im
Libanon stets mit Liebe und Ehrfurcht genannt werden.“
(Aus: die
katholischen Missionen, 1899)