Fortsetzung von hier
„Unser tägliches Brot gib uns heute“ so fahren
wir fort im Gebet.
Menschliche
Beschränktheit denkt hier nur an das leibliche Brot. Aber der göttliche
Heiland, der uns das „Vaterunser“ lehrte, hat in dieser Bitte sowohl um das
irdische wie um das überirdische Brot zu beten geheißen, denn der Evangelist
Lukas (11,3) gibt diese Bitte wieder mit den Worten: „Unser tägliches Brot gib
uns heute“, aber der Evangelist Matthäus (6,11) kleidet dieselbe Bitte in die Form
„unser überwesentliches Brot gib uns heute“. Beide Evangelisten zusammen geben
die Brotbitte in ihrem vollen Inhalt wieder.
Demnach bitten wir im „Vaterunser“
unseren himmlischen Vater für uns und alle Menschen, dass er uns das tägliche natürliche
Brot wie auch das übernatürliche Brot, die hl. Eucharistie, schenken möge. Von
Christus unserem Herrn belehrt und ermuntert senden wir also zu Gott das
Verlangen empor, dass alle Menschen – auch den Heidenvölkern – neben der täglichen
Speise auch das übernatürliche Himmelsbrot, Christi Leib und Blut in der hl.
Eucharistie, zu teil werde.
Und indem wir dieses Verlangen aussprechen, müssen
wir anerkennen, dass wir aus Liebe zu unserem Vater im Himmel zur Erfüllung
dieses Verlangens auch beitragen müssen: beitragen müssen zur Ausbreitung jener
Kirche, die allein auserwählt und bevollmächtigt ist, den Heiland im Sakrament
allen Völkern zu bringen.
„Vergib
uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“.
Wir beten
es in Wahrheit und Weitherzigkeit. Wir schließen demnach alle Menschen in diese
Bitte ein. Wir flehen in unserem Namen und im Namen der ganzen Menschheit zu
Gott um Vergebung unserer Schuld.
Wer aber kann diese Sündenvergebung uns
verleihen? Wer anders als Gott! Und wo gewährt uns Gott um der Verdienste
Christi willen diese Sündennachlassung? Im heiligen Bußsakrament und in den
übrigen Sakramenten der Sündentilgung. Und wem hat Christus diese
sündentilgenden Sakramente für die Menschheit übergeben?
Wem anders als seiner
Kirche, an deren Spitze gemäß seiner Anordnung Petrus und die Apostel und ihre
Nachfolger stehen! So steigt also in dieser Sündenbitte des „Vaterunser“ aus
Mund und Herz des Beters zu Gott der Wunsch empor, dass alle Menschen zur
sicheren und vollen Sündennachlassung in der hl. Kirche gelangen.
Giuseppe Molteni, La confessione |
Dieser Wunsch
wäre aber eine bloße Lippenbewegung oder gar eine unaufrichtige Schöntuerei,
wenn wir nicht auch zugleich den festen Willen hätten, auch in Wort und Tat uns
dafür einzusetzen, dass allen Menschen, auch der Heidenwelt, die
Sündennachlassung durch Christus in der Kirche ermöglicht werde.
„Führe uns
nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.“
In dieser
Bitte ist ausgesprochen die allen Menschen drohende Gefahr der Versuchung, des
Sündenfalls, des ewigen Verderbens. Wir stehen alle in der Gefahr, durch die
Versuchung aufs Neue in Sünde zu fallen. Die Strafe für das Unterliegen in der
Versuchung, für die Begehung der schweren Sünde, ist das Übel aller Übel, die
ewige Verdammnis. Furchtbare Wahrheit für uns alle!
Könnte es einen Beweggrund
geben, der uns klarer und blitzartiger, stärker und packender die
Missionspflicht vor Augen stellt? Wir alle, Bischöfe, Priester und Laien, sind
Kinder des einen Gottes. Wenn wir Gott lieb haben, dann müssen wir Sorge
tragen, dass einmal in der Ewigkeit Gottes Kinder bei Gott ihrem Vater sich
wiedersehen, dass, soweit es an uns liegt, keines von diesen Gotteskindern dem
Übel aller Übel anheim falle, der ewigen Trennung von Gott in der anderen Welt.
Priester
und Laien sollen nach Christi Willen das „Vaterunser“ beten, Priester und Laien
sollen nach Christi Anordnung aus Liebe zu Gott ihrem Vater das vollbringen,
was sie im „Vaterunser“ mit den Lippen beten; sie sollen helfen, dass alle
Menschen gelangen zur Einheit der Kindschaft Gottes (Anrede), zur Einheit
ewigen Glückes bei Gott (Anrede), zur Einheit der Verherrlichung Gottes (1. Bitte),
zur Einheit des Gottesreichs der Kirche und des Himmels (2. Bitte), zur Einheit
des göttlichen Gesetzes (3. Bitte), zur Einheit der hl. Eucharistie
(4. Bitte), zur Einheit der Sündennachlassung (5. Bitte), zur Einheit
der Gnadenhilfe gegen die Versuchung (6. Bitte), zur Einheit der Befreiung
von dem Übel aller Übel, von der ewigen Verwerfung (7. Bitte).
Das „Vaterunser“
ist somit eines der wirksamsten Gotteszeugnisse für die Wahrheit, dass auch die
Laien, die es beten, durch die Pflicht der Gottesliebe gehalten sind, an der
Missionierung der Menschheit mitzuarbeiten.