Die unbefleckt Empfangene, die Frankreich ein Lourdes, Belgien ein Oostacker und fast jedem katholischen Land ein kleines oder größeres „Lourdes“ geschenkt hat, hat auch die Heidenländer nicht vergessen. In Ts’ing-Yan in der chinesischen Jesuitenmission Kiangnan wollte sie sich in unseren Tagen ein neues Lourdes erwecken.
Ein Pater, der vor 20 Jahren in Lourdes selbst wunderbar geheilt wurde und seine Krücken dort aufgehängt hat, P. Stephan Chevestier S.J., teilt uns einiges über die Entstehung dieses Wallfahrtsortes mit.
Ts’ing-Yan ist eine nicht unbedeutende Handelsstadt, in der Mitte zwischen Usi am Kaiserkanal und Kiang-Yng am Jankstekiang gelegen. Im Jahre 1902 erbaute die Mission dort eine kleine Kapelle zu Ehren U.L. von Lourdes.
Die Obern hatten durchaus nicht die Absicht, einen Wallfahrtsort zu schaffen. Besaß man doch schon drei Wallfahrtsorte in der Mission, darunter den berühmten von der Immerwährenden Hilfe zu Zo-se. Man wollte nur für die bescheidenen Gemeinde von 67 Katholiken, die in der Umgebung zerstreut wohnten, eine Seelsorgestation errichten. In der Stadt Ts’ing-Yan selbst gab es kaum einen Christen.
Es sollte anders kommen. Im gleichen Jahre 1902 wurde die ganze Provinz von einer pestartigen Seuche schwer heimgesucht. In dieser Not nahmen die Christen in der Umgebung von Ts’ing-Yan ihre Zuflucht zu U.L. Frau von Lourdes. Wer immer konnte, wallfahrtete nach Ts’ing-Yan zu der neuerbauten Kapelle. Wer zu schwach dazu war, schickte wenigstens seine Angehörigen dorthin und hielt zu Hause eine neuntägige Andacht zur Mutter Gottes von Lourdes.
Und merkwürdig! Während auf den Missionen ringsum Hunderte von Christen der Pest zum Opfer fielen, blieb die Gegend von Ts’ing-Yan völlig verschont. Kein einziger von den Katholiken starb an der Pest.
Von den vielen wunderbaren Heilungen aus dieser Zeit nur ein Beispiel. Ein angesehener Kaufmann in Ts’ing-Yan, noch Katechumene, wurde von der Pest befallen. Die Ärzte hatten ihn schon aufgegeben; in zwei oder drei Tagen werde er tot sein. Da begann er auf den Rat einer Schwester eine neuntägige Andacht zur Mutter Gottes von Ts’ing-Yan.
Sein heidnischer Sohn betete sie ihm vor. Gleich am ersten Abend der neuntägigen Andacht war er ganz geheilt, am dritten Tage konnte er schon wieder zum Erstaunen seiner Nachbarn in seinem Laden tätig sein. Dieses Ereignis erregte großes Aufsehen bei Heiden und Christen.
Am meisten trug eine brave alte Bauersfrau, Sih Zen-ze mit Namen, zur Verbreitung der Andacht bei. Die Mutter Gottes hatte sie 1902 ganz plötzlich von einer schweren Krankheit geheilt. So auffällig war die Heilung, dass selbst die Heiden sagten: „Die gute Mutter der Christen hat ein Wunder gewirkt.“
Aus Dankbarkeit suchte sie überall die Verehrung der Mutter Gottes von Ts’ing-Yan zu verbreiten. So oft Pilgerscharen ankamen, sah man Sih Zen-ze im Hof vor der Kapelle von Gruppe zu Gruppe gehen und durch ihre begeisterten Erzählungen das Vertrauen auf Mariens Hilfe stärken. Im April dieses Jahres ist die „Geheilte von Ts’ing-Yan“, wie sie in der ganzen Provinz genannt wurde, im Alter von über 70 Jahren in ein besseres Jenseits abberufen worden, betrauert von den Christen der ganzen Mission.
Inzwischen nahm der Zudrang zum Wallfahrtsort immer mehr zu. Vier große Pilgerzüge kommen jedes Jahr nach Ts’ing-Yan. An diesen Tagen empfangen über 1000 Pilger in der Wallfahrtskapelle die heilige Kommunion. Allerdings unter Schwierigkeiten! Die kleine Kapelle fast knapp 200 Andächtige, die übrigen müssen draußen im Hof bis zur zweiten, dritten, fünften Messe warten. Gleich nach der heiligen Messe muss der Priester die Pilger drängen, die Kapelle zu verlassen, um den folgenden Platz zu machen.
So können sich die guten Leute, die weit her gewandert sind, nicht einmal ruhig ausbeten und der Mutter der Gnaden ihr Herz ausschütten. Immer dringender wurde das Bedürfnis eines Neubaus. Schon seit langem bestürmten die Christen die Missionäre mit der Bitte, eine schöne große Wallfahrtskirche zu bauen.
Aber es fehlten die Mittel. Auch wollten die Missionäre abwarten, ob die Begeisterung nicht bald wieder schwinden werde. Aber die Prozessionen nahmen von Jahr zu Jahr zu. Die armen Christen sammelten unablässig für einen Neubau. Rührend ist es, zu sehen, wie diese armen Leute ihren Schnüre von Sapeken freudig in den Opferstock werfen.
Dank dem Edelmut dieser Armen haben die Missionäre ein Grundstück für den Neubau erwerben können und in diesem Sommer im Vertrauen auf die Hilfe aus Europa den Bau begonnen. Die neue Kirche soll ungefähr 2000 Menschen fassen. Den Turm wird ein Standbild U.L. Frau krönen, „damit Maria ihr neues Königreich besser überschauen und segnen könne.“
Welche Bedeutung der Bau für die Festigung und Ausbreitung des Christentums hat, leuchtet ein. Bei Heiden und Christen zeigen sich die segensreichen Früchte dieser Wallfahrten. Die Christen führt Maria so zur öfteren heiligen Kommunion und vertieft dadurch ihr Christentum.
Auch die Heiden lernen die „gute Mutter der Christen“ lieben, wenden sich mit ihren Anliegen an sie, und manche finden so den Weg zur Kirche. Jetzt in den letzten Monaten hat sich ein angesehener Bürger von Ts’ing-Yan mit seiner ganzen Familie in die Kirche aufnehmen lassen. Seine Bekehrung wird gewiss nicht ohne Einfluss auf seine Mitbürger bleiben.
Manche von unseren Lesern und Leserinnen, die von der Mutter Gottes von Lourdes einen Hulderweis empfangen haben, suchen nach einer Gelegenheit, sich ihr erkenntlich zu erzeigen. Welche Votivtafel wäre Maria angenehmer als ein Baustein zu ihrem Gnadenthron im Heidenland!
(aus: die katholischen Missionen, 1914)