Als ich nach einer Audienz beim Heiligen Vater Papst Pius X., so
erzählte vor einiger Zeit ein französischer Bischof, den Petersplatz
überschritt, begegnete mir eine Gruppe von Knaben, die eine Pilgerfahrt nach
Rom machten. Während ich mit dem Präses einige Worte wechselte, bemerkte ich,
wie ein kleiner Knabe sichtlich Anstrengung machte, sich mir zu nähern, aber
von seinem Präfekten zurückgehalten wurden.
„Lassen Sie den Kleinen doch zu
mir!“ rief ich dem Präfekten zu. Der Kleine, etwa 10 Jahre alt, kam zutraulich
heran. „Nun, was wünschst du von mir?“ fragte ich und legte die Hand auf seinen
Lockenkopf. In seinen Augen las ich, dass er mir sein Geheimnis nur ins Ohr
flüstern wolle. So beugte ich mich zu ihm nieder.
„Hochwürdigster Herr, ist es
wahr, können Sie den Heiligen Vater besuchen und sprechen“ – „Gewiss“ – „Ach,
ich möchte dem Papst gern eine Bitte vortragen.“ – „Und die wäre?“ – „Er möge
den lieben Gott bitten, dass ich Missionär werde, wenn ich einmal groß bin.“
Ich glaubte nicht recht verstanden zu haben und ließ ihn deshalb seine Bitte
wiederholen. Doch nein, ich hatte recht gehört.
Am anderen Tage erzählte ich dem Papst dieses Erlebnis.
Er blieb einige
Augenblicke in sich versunken; dann sagte er mir mit der ihm eigenen Güte:
„Dieses Kind muss ich sehen. Bringen Sie es morgen nach meiner heiligen Messe
zu mir. Erkundigen Sie sich, bitte, auch über seine Familie und Verhältnisse.“
Ich hatte diese Frage vorausgesehen und konnte daher gleich antworten: „Es ist
ein Waisenkind, eine entfernte Verwandte sorgt für den Knaben...:“ – „ich werde
mich seiner annehmen. Sagen Sie meinem Sekretär, er solle mich daran erinnern.“
Am anderen Morgen erschien ich mit dem Kleinen im Vatikan. Der Papst empfing uns gleich nach seiner heiligen Messe in seinem Oratorium. Der Heilige Vater nahm den Knaben bei der Hand.
„Also ist es dir wirklich ernst?“ fragte er mit
mildem Tone, „du willst später Missionär werden?“ – „Ja, Heiliger Vater!“ –
„Aber, lieber Kleiner, hast du dir das auch gut überlegt, was ich da für dich
von Gott erbitten soll? Das bedeutet der Welt absterben.“ –„Ich will Missionär
werden!“ klang es fest und bestimmt zurück. – „Aber hast du auch daran gedacht,
wie schön das Leben ist, und das, worum du bittest, heißt mehr als sterben, das
bedeutet vielleicht den Martertod.“ – „Ich will Missionär werden.“
Der Heilige Vater warf mir einen schmerzlich-freudigen Blick zu. „Komm“,
sagte er dann und führte ihn zu seinem Betschemel. Sie knieten beide nieder, und
während er auf die Stirn des Knaben das Zeichen des Kreuzes machte, betete Christi
Stellvertreter über ihn:
„So sei denn Gottes Segen mit dir für jetzt und in jener Zukunft, die du dir erbittest, auf dass in der Stunde der Gefahr Gott mit dir sei und deine Leiden abkürze.“
„So sei denn Gottes Segen mit dir für jetzt und in jener Zukunft, die du dir erbittest, auf dass in der Stunde der Gefahr Gott mit dir sei und deine Leiden abkürze.“
Dann wurde es stille in der Kapelle. Nichts war zu hören als das leise, schmerzbewegte Gebet des Heiligen Vaters. Auch ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. – Nur der junge Missionär weinte nicht.
(Aus: die katholischen Missionen, 1915)