Der Diener Gottes Jan (im Text Johannes) Cieplak, späterer Erzbischof von Vilnius, der die Visitationsreise vollzog |
„Zu den
wenigen wirklich erfreulichen kirchlichen Ereignissen in Russland“, so wird uns
von dort geschrieben, „gehört die kanonische Visitationsreise des
hochwürdigsten Herrn Suffraganbischofs von Mohilew, Dr. Johannes Cieplak, nach
Sibirien. War es doch zum ersten Mal seit Erschaffung der Welt, dass ein
katholischer Bischof den Boden jenes Landes betreten durfte. Sofort nach Ostern
1909 trat der hochwürdigste Oberhirt von St. Petersburg aus über Wologda,
Wjatka und Perm die Riesenreise an.
Um den 80.000 Katholiken des ungeheuren
nordischen Landes möglichst ausgiebige geistliche Hilfe zu bringen, schlossen
sich dem hochwürdigsten Herrn Bischof fünf Geistliche an, von welchen alle der
russischen und polnischen und wenigstens je einer der litauischen, lettischen
und deutschen Sprache mächtig waren. Für die ganze Hin- und Rückfahrt hatte die
russische Regierung einen besonderen Waggon erster Klasse zur Verfügung des
Bischofs und seiner Begleiter gestellt. Diese Vergünstigung war umso
wertvoller, weil viele zerstreut wohnende Katholiken aus Zeitmangel den Bischof
nur im Waggon sehen konnten. So kam es mehr als einmal vor, dass im Waggon
selbst die heilige Messe gelesen, gepredigt, Beicht gehört, die heilige
Kommunion gespendet und gefirmt wurde.
Das Endziel
der Reise war das öde Sachalin. Auf dessen russischem Teil leben etwa 500
Katholiken, welche wohl ein Kirchlein, aber keinen Priester haben. Höchstens
kommt in zwei Jahren einmal vom benachbarten Festland ein Priester zu den armen
Verlassenen. Ihre Not hat selbst die russischen Beamten so gerührt, dass ein
höherer Regierungsbeamter den Bischof bat, auf der Insel einen Pfarrer bleibend
aufzustellen.
In
Wladiwostok legte der Bischof den Grundstein zu einer zweiten katholischen
Kirche, Nikolsk und Werhne-Udinsk konsekrierte er neue Kirchen, in Studnianki
bei Irkutsk eine Kapelle; in Irkutsk, Nischnie-Udinsk, Bagatol und Taiga wurde
gleichfalls der Grundstein zu neuen Kirchen gelegt, in Ilinsk eine neue Kirche
feierlich eingeweiht. Von Taiga reiste der Bischof über Klana nach der 50 Werst
(etwas über 50 km) entlegenen katholischen Gemeinde Spaskoje, von dort nach der
80 Werst entlegenen katholischen lettischen Kolonie Timofejewka.
Die beiden
letzten Besuche mussten in der Tarantasse, dem Sibirien eigentümlichen
Fuhrwerk, unternommen werden, in welchem der Reisende oft mehr liegt als sitzt.
Bei der bewunderungswürdigen Ausdauer der sibirischen Pferde geht freilich auch
solch eine Reise bedeutend schneller vor sich als im westlichen Europa. Die
Pferde setzen von Anfang an sofort im Galopp ein und halten in demselben Tempo
mehrere Stunden aus. Mit fröhlichem Gesang macht ihnen der Fuhrmann Mut.
Bei Omsk
stellten sich dem hochwürdigsten Oberhirten Abgesandte von zwei katholischen
deutschen Kolonien vor und baten flehentlich unter Tränen um einen Geistlichen.
Kirchlein und Pfarrhaus stehen fertig da, Gehalt und Pfarrland sind bereit;
aber der schreckliche Priestermangel hemmt alles.
Ebenso liegen
die Verhältnisse noch immer im Turgaigebiet, wo gleichfalls wenigstens zwei
Priester dringend vonnöten sind. Es wäre nicht so schwer, eifrige Priester aus
Deutschland zu erhalten; aber trotz aller ‚Gewissensfreiheit‘ macht der
Kultusminister Charussin alle nur erdenklichen Schwierigkeiten dagegen.
Die
kleinliche Reglementierungssucht der Beamten verursachte dem hochwürdigsten
Herrn Bischof auch in Sibirien wiederholt große Unannehmlichkeiten. In Irkutsk
verbot man das Verlesen der zuvor behördlich zensurierten Adresse der
Katholiken auf dem Bahnsteig; an einem anderen Ort verlangte man von den
Katholiken das Versprechen, dass während der bischöflichen Visitationsreise
keine revolutionären Lieder gesungen und nur Gebetbücher verteilt würden (man
dachte wohl von den Katholiken wie von den eigenen orthodoxen Geistlichen, die
sich damals schon für Revolten und revolutionäre Ideen begeistern ließen).
Nach einem
Abstecher zu Wasser nach dem seitwärts gelegenen Tobolsk ging die Heimreise
über Samara, Simbirsk, Rjäsan nach Moskau, woselbst dem Oberhirten Sonntag 26.
September abends ein großartiger Empfang bereitet wurde. Mehrere Tausend
Katholiken waren auf dem Bahnhof erschienen. Fast eine Stunde dauerte es, bis
der Bischof sich durch die Scharen zu dem ihn erwartenden Galawagen
hindurchdrängen konnte. War doch die letzte Visitation der Moskauer
katholischen Pfarrei 1892 gewesen.
Zahlreiche
Gläubige folgten dem bischöflichen Wagen den ganzen langen Weg bis zur Kirche
trotz der bereits empfindlichen Abendkühle barhäuptig; von den vorüberfahrenden
elektrischen Wagen ertönten ununterbrochen freudige Zurufe. Acht Tage lang
weilte der hochwürdigste Herr Bischof in der alten Zarenstadt und spendete fast
täglich zweimal das Sakrament der heiligen Firmung.
Der Abschied
am 4. Oktober war ein sehr herzlicher, die Kirche trotz des Werktages gedrängt
voll; alle hatten den leutseligen Kirchenfürsten ins Herz geschlossen.
Nichtkatholische Russen waren erstaunt, wie der Bischof für alle zugänglich
war. ‚Seht‘, riefen sie erstaunt aus, ‚man kann sich ihm nähern!‘ – Leider
benehmen sich oft die Würdenträger der russischen Staatskirche als höhere,
unnahbare Wesen, welche stark an die Rolle des Dalai-Lama erinnern.
Die
deutschen Katholiken Moskaus haben besonderen Grund, sich über das Ergebnis der
bischöflichen Visitation zu freuen. Anstatt der einmaligen deutschen Predigt im
Monat sind nunmehr monatlich zwei deutsche Predigten festgesetzt worden. Auch
russische Predigten sind bereits in Moskau wie in St. Petersburg von der
hochwürdigsten erzbischöflichen Behörde gestattet worden. Doch darüber
und anderes nächstens mehr.“
(Aus: die
katholischen Missionen, 1910)