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Sonntag, 6. Juli 2014

Die vielleicht weiteste Visitationsreise der Welt

Der Diener Gottes Jan (im Text Johannes) Cieplak, späterer Erzbischof von Vilnius, der die Visitationsreise vollzog

„Zu den wenigen wirklich erfreulichen kirchlichen Ereignissen in Russland“, so wird uns von dort geschrieben, „gehört die kanonische Visitationsreise des hochwürdigsten Herrn Suffraganbischofs von Mohilew, Dr. Johannes Cieplak, nach Sibirien. War es doch zum ersten Mal seit Erschaffung der Welt, dass ein katholischer Bischof den Boden jenes Landes betreten durfte. Sofort nach Ostern 1909 trat der hochwürdigste Oberhirt von St. Petersburg aus über Wologda, Wjatka und Perm die Riesenreise an. 

Um den 80.000 Katholiken des ungeheuren nordischen Landes möglichst ausgiebige geistliche Hilfe zu bringen, schlossen sich dem hochwürdigsten Herrn Bischof fünf Geistliche an, von welchen alle der russischen und polnischen und wenigstens je einer der litauischen, lettischen und deutschen Sprache mächtig waren. Für die ganze Hin- und Rückfahrt hatte die russische Regierung einen besonderen Waggon erster Klasse zur Verfügung des Bischofs und seiner Begleiter gestellt. Diese Vergünstigung war umso wertvoller, weil viele zerstreut wohnende Katholiken aus Zeitmangel den Bischof nur im Waggon sehen konnten. So kam es mehr als einmal vor, dass im Waggon selbst die heilige Messe gelesen, gepredigt, Beicht gehört, die heilige Kommunion gespendet und gefirmt wurde.

Das Endziel der Reise war das öde Sachalin. Auf dessen russischem Teil leben etwa 500 Katholiken, welche wohl ein Kirchlein, aber keinen Priester haben. Höchstens kommt in zwei Jahren einmal vom benachbarten Festland ein Priester zu den armen Verlassenen. Ihre Not hat selbst die russischen Beamten so gerührt, dass ein höherer Regierungsbeamter den Bischof bat, auf der Insel einen Pfarrer bleibend aufzustellen.

In Wladiwostok legte der Bischof den Grundstein zu einer zweiten katholischen Kirche, Nikolsk und Werhne-Udinsk konsekrierte er neue Kirchen, in Studnianki bei Irkutsk eine Kapelle; in Irkutsk, Nischnie-Udinsk, Bagatol und Taiga wurde gleichfalls der Grundstein zu neuen Kirchen gelegt, in Ilinsk eine neue Kirche feierlich eingeweiht. Von Taiga reiste der Bischof über Klana nach der 50 Werst (etwas über 50 km) entlegenen katholischen Gemeinde Spaskoje, von dort nach der 80 Werst entlegenen katholischen lettischen Kolonie Timofejewka. 

Die beiden letzten Besuche mussten in der Tarantasse, dem Sibirien eigentümlichen Fuhrwerk, unternommen werden, in welchem der Reisende oft mehr liegt als sitzt. Bei der bewunderungswürdigen Ausdauer der sibirischen Pferde geht freilich auch solch eine Reise bedeutend schneller vor sich als im westlichen Europa. Die Pferde setzen von Anfang an sofort im Galopp ein und halten in demselben Tempo mehrere Stunden aus. Mit fröhlichem Gesang macht ihnen der Fuhrmann Mut.

Bei Omsk stellten sich dem hochwürdigsten Oberhirten Abgesandte von zwei katholischen deutschen Kolonien vor und baten flehentlich unter Tränen um einen Geistlichen. Kirchlein und Pfarrhaus stehen fertig da, Gehalt und Pfarrland sind bereit; aber der schreckliche Priestermangel hemmt alles.
Ebenso liegen die Verhältnisse noch immer im Turgaigebiet, wo gleichfalls wenigstens zwei Priester dringend vonnöten sind. Es wäre nicht so schwer, eifrige Priester aus Deutschland zu erhalten; aber trotz aller ‚Gewissensfreiheit‘ macht der Kultusminister Charussin alle nur erdenklichen Schwierigkeiten dagegen.

Die kleinliche Reglementierungssucht der Beamten verursachte dem hochwürdigsten Herrn Bischof auch in Sibirien wiederholt große Unannehmlichkeiten. In Irkutsk verbot man das Verlesen der zuvor behördlich zensurierten Adresse der Katholiken auf dem Bahnsteig; an einem anderen Ort verlangte man von den Katholiken das Versprechen, dass während der bischöflichen Visitationsreise keine revolutionären Lieder gesungen und nur Gebetbücher verteilt würden (man dachte wohl von den Katholiken wie von den eigenen orthodoxen Geistlichen, die sich damals schon für Revolten und revolutionäre Ideen begeistern ließen).

Nach einem Abstecher zu Wasser nach dem seitwärts gelegenen Tobolsk ging die Heimreise über Samara, Simbirsk, Rjäsan nach Moskau, woselbst dem Oberhirten Sonntag 26. September abends ein großartiger Empfang bereitet wurde. Mehrere Tausend Katholiken waren auf dem Bahnhof erschienen. Fast eine Stunde dauerte es, bis der Bischof sich durch die Scharen zu dem ihn erwartenden Galawagen hindurchdrängen konnte. War doch die letzte Visitation der Moskauer katholischen Pfarrei 1892 gewesen.
Zahlreiche Gläubige folgten dem bischöflichen Wagen den ganzen langen Weg bis zur Kirche trotz der bereits empfindlichen Abendkühle barhäuptig; von den vorüberfahrenden elektrischen Wagen ertönten ununterbrochen freudige Zurufe. Acht Tage lang weilte der hochwürdigste Herr Bischof in der alten Zarenstadt und spendete fast täglich zweimal das Sakrament der heiligen Firmung.

Der Abschied am 4. Oktober war ein sehr herzlicher, die Kirche trotz des Werktages gedrängt voll; alle hatten den leutseligen Kirchenfürsten ins Herz geschlossen. Nichtkatholische Russen waren erstaunt, wie der Bischof für alle zugänglich war. ‚Seht‘, riefen sie erstaunt aus, ‚man kann sich ihm nähern!‘ – Leider benehmen sich oft die Würdenträger der russischen Staatskirche als höhere, unnahbare Wesen, welche stark an die Rolle des Dalai-Lama erinnern. 

Die deutschen Katholiken Moskaus haben besonderen Grund, sich über das Ergebnis der bischöflichen Visitation zu freuen. Anstatt der einmaligen deutschen Predigt im Monat sind nunmehr monatlich zwei deutsche Predigten festgesetzt worden. Auch russische Predigten sind bereits in Moskau wie in St. Petersburg von der hochwürdigsten erzbischöflichen Behörde gestattet worden. Doch darüber und anderes nächstens mehr.“


(Aus: die katholischen Missionen, 1910)