Im Aussätzigenheim von Biwasaki |
Der Bericht
der ehrwürdigen Oberin von Biwasaki, Schwester Colombina, hat die Herzen
mancher unserer Leser sichtlich sehr gerührt und unerwartet reiche Gaben
fließen lassen.
In einem
ausführlichen Schreiben an die Redaktion dankt die Oberin von ganzem Herzen.
„Alle Gaben unserer Wohltäter sind richtig in unsere Hände gelangt und bedeuten
für uns eine große Hilfe. Der Umstand, dass manche dieser Almosen zweifellos
die Frucht eigener Entsagung und Selbstverleugnung gewesen sind, macht sie uns
doppelt teuer.
Wir kennen
unsere Wohltäter im Einzelnen nicht; sie blühen wie Veilchen im Verborgenen,
aber sagen Sie ihnen, dass unser Gebet sie alle ohne Ausnahme umfasst, sie,
ihre Familie, und nicht zu vergessen ihre lieben Toten, für die wir täglich
zweimal ein besonderes De profundis beten.
Es wird
unsere Wohltäter gewiss freuen, wenn ich ihnen nun auch sage, welchen Segen
ihre Gaben hier gestiftet haben. Dank der reichen Unterstützung konnten wir im
verflossenen Jahr eine größere Zahl Aussätziger aufnehmen, wenn auch leider
nicht alle, die darum nachsuchten. Einige haben uns verlassen, um dieses
Tränental mit einem besseren Leben zu vertauschen. Ihre Plätze wurden sofort
durch andere ausgefüllt.
Ein jeder
dieser Unglücklichen hat seine eigene, oft ergreifende Geschichte. Gestatten
Sie mir, dass ich nur von einem Fall näher berichte. Es handelt sich um eine
Unglückliche, die zum alten Adel Japans gehört. Eines Tages klopfte es abends um zehn Uhr an unsere Pforte. Es war ein junger man von militärischem
Aussehen.
‚Bin ich hier
recht‘, lautete die Frage, ‚wohnt hier Schwester Colombina?‘ ‚Ja, treten Sie doch bitte ein.‘ Darauf hob der Unbekannte aus einem Wägelchen eine völlig verhüllte
Gestalt und zog das Tuch weg, das ihr Angesicht verbarg. Es war das vom Aussatz
entstellte Antlitz einer jungen Frau.
‚Das ist
meine ältere Schwester‘, fuhr der junge Mann fort. ‚Wir gehören zur Klasse der
Shizoku (Samurai) und kommen von Okayama. Ich war von frühester Jugend an eine
Waise. Meine Schwester hier hat sich meiner angenommen und ihr Vermögen und
ihre Aussichten geopfert, um mir eine gute Erziehung zu sichern. Vor drei
Jahren verließ ich die Militärschule als Leutnant und wurde in die Garnison
nach Formosa (Taiwan) versetzt. Ich ließ meine damals schon leidende Schwester
unter der Obhut einer Dienerin zurück und schickte monatlich meinen Sold zu
ihrem Unterhalt. Als aber der Aussatz sich zeigte, ließ die Dienerin meine
Schwester im Stich, und sie hatte niemand mehr, der sich ihrer annahm. Auf die
Kunde davon gab ich meine Karriere daran und eilte an ihr Krankenbett.
Aber in
wenigen Monaten waren alle unsere Ersparnisse aufgezehrt. Wir wohnten in einem
armseligen Raum und lebten ausschließlich von gekochtem Korn ohne weitere Zutat.
Ich erfuhr von Ihrem Heim und habe meine arme Schwester hergebracht. Haben Sie
Mitleid und nehmen Sie sie auf.‘
Der junge
Offizier sagte dies mit flehendem Ausdruck in seinen männlichen Zügen. Dies und
das Aussehen der Unglücklichen, die einer lebenden Leiche glich und ihre Tränen
mit den Bitten ihres Bruders vereinte, ergriff uns tief. Ich ließ sofort ein
Bett bereit machen und auch dem jungen Mann ein Nachtquartier bereiten. Ein
kleines Abendessen vereinte die beiden Geschwister. Tags darauf zog der junge
Mann von dannen, voll Freude, seine arme Schwester so gut geborgen zu sehen. ‚Ich
fühle mich wie im Himmel‘, sagte sie beim Abschied.
Schon bald
tat sich ihr der eigentliche Himmel auf. Sie starb fromm ergeben als Christin. ‚Bitte‘,
so lautete ihr letzter Wunsch, ‚Schreibet meinem Bruder, dass ich glücklich als
Christin sterbe und ihm dieselbe Gnade wünsche.‘
Dank der
reichen Unterstützung konnten wir verschiedenes zur Besserung der Lage unserer
Aussätzigen tun. Die Papierdecke in den Krankenräumen wurde durch eine aus
Brettern ersetzt, die Kleidung aufgebessert und das Lager durch einige warme
Decke bereichert usw.
Nachdem so für die Aussätzigen gesorgt war, konnten wir
wenigstens zum Teil einen längst gehegten Wunsch des P. Corre erfüllen und die
Zahl unserer Katechistinnen vermehren. Dieselben sind unserer Genossenschaft
aggregiert und leisten ausgezeichnete Dienste. Nachdem sie uns bei der Pflege
der Kranken an die Hand gegangen sind, ziehen sie zu zwei und zwei aus und
gehen auf die Suche nach armen und verlassenen Kranken und sterbenden Kindern.
Zuweilen bleiben sie ein bis zwei Tage fort und kehren kaum je zurück, ohne
einige getauft oder einige ganz verlassene Aussätzige ausfindig gemacht zu
haben. (…)
(Aus: die
katholischen Missionen, 1910)