„Gott ruft, wen er will“, schreibt P. Lacombe, der Vater der kleinen Brahmanenkolonie zu Trichinopoly in Vorderindien, „das haben wir wieder zu Beginn des Jahres 1914 erfahren. Eines Tages wurde mir mitgeteilt, dass ein kranker Brahmane einen Pater zu sprechen wünsche. Ich begab mich sofort auf den Weg.
Sobald der Kranke mich bemerkte, rief er laut: ‚Pater, Pater, ich habe Sie
rufen lassen. Kennen Sie mich nicht mehr? Ich bin K. Vaidianaden, ein alter
Schüler des St. Josephs-Kollegs, das ich von 1895 bis 1901 besucht habe. Ich
war in der Klasse von G. Vaidhianatra Ayer, dem berühmten Konvertiten aus der
Brahmanenkaste.‘
Die Züge kamen mir bekannt vor, und ich erinnerte mich noch, dass der
Schüler einen schlechten Eindruck auf mich gemacht hatte. Das war alles, was
ich mir ins Gedächtnis zurückrufen konnte. ‚Gut‘, erwiderte ich, ‚was wollen
Sie denn?‘ – ‚Pater‘, sagte er, ‚seit zwei Jahren leide ich an der Milz, und
eine Besserung scheint ausgeschlossen. Ich möchte aber nicht im Unfrieden mit
Gott sterben.
Viele Sünden bedrücken mein Gewissen; bitte, spenden Sie mir die
Taufe vor dem Tode, damit ich Verzeihung erlange.‘ Und dann begann er, mir sein
Leben zu erzählen.
‚Im Jahre 1895‘, sagte er, ‚als die ersten
Brahmanenbekehrungen sich ereigneten, geriet ich in Wut und schwor, kein Mittel
unversucht zu lassen, um der Bewegung Einhalt zu tun. Ich trat in die
‚Religiöse Vereinigung der Hindus“ ein, eine Gesellschaft, die eigens gegründet
war, um die Bekehrungen zu verhindern und die Schüler des St. Josephs-Kollegs
auszuspüren, die irgendwie Hinneigung zur katholischen Religion verrieten.
Viel
Lästerliches habe ich gegen die Missionäre vorgebracht und mehr als einen Schüler
abgehalten, mit den Patres in nähere Berührung zu kommen.
Als im Jahre 1900
mein Kamerad C.B. Sankaran vor der Taufe stand, war ich es, der dessen Familie
davon benachrichtigte und seine Gefangennahme bewerkstelligte: Sobald er in
unserer Gewalt war, gab ich den Rat, ihm Fesseln an die Füße zu legen; auch war
ich unter denjenigen, die ihn nach dem Süden abführten. Seitdem nun die
katholische Religion mir die einzig wahre zu sein scheint, empfinde ich die
heftigsten Gewissensbisse über diese Tat.‘
„Zum Glück konnte ich den Kranken trösten mit der Nachricht, dass Sankaran und seine Frau längst getauft seien und las gute Katholiken in Topu Mariä lebten.
Dann forschte ich, wie er denn zu dem Entschluss gekommen sei, die so gehasste
katholische Lehre anzunehmen.
‚Das will ich Ihnen kurz erzählen, Pater‘,
antwortete er. ‚Nach Beendigung meiner Studien erhielt ich eine Anstellung an
der Eisenbahn. Ich kam durch ganz Indien, selbst nach Kaschmir, und musste
sechs neue Sprachen lernen. Wiederholt erhielt ich einen Posten in
fieberverseuchten Gegenden, und da bekam ich das Milzleiden. Während dieser 13
bis 14 Jahre musste ich unwillkürlich mich mit religiösen Gedanken
beschäftigen. Die Eindrücke, die ich im St. Josephs-Kolleg durch die
Brahmanenbekehrungen empfangen hatte, saßen zu tief. Besonders war mir der
Übertritt meines Professors G Vaidhianatra nahe gegangen.
Ich wollte mir
Klarheit verschaffen, die Wahrheit des Hinduismus beweisen und den Unsinn der
katholischen Lehre klarlegen. So kaufte ich mir eine Unmenge heidnischer Bücher
und studierte und grübelte. Aber anstatt den Frieden zu finden, wurde mein
Geist immer verwirrter.
Die philosophischen Systeme der Hindus standen sich
vielfach schroff gegenüber, und schließlich wusste ich nicht mehr wo aus und wo
ein. Ich legte Priestern (wohl Hindupriestern) und Gelehrten meine Zweifel vor, fand aber hier die
gleiche Verwirrung.
Eines Tages nun, es war zu Hubli, fragte mich einer der
Bahnangestellten, ein Katholik aus Goa, weshalb ich immer so traurig sei. Ich
sagte ihm offen den Grund. Voll Liebe und Zuvorkommenheit verschaffte mir mein
Kamerad mehrere katholische Broschüren, und da war es mir, als ginge ein Licht
in meiner Seele auf. Ich begriff, dass ich die Wahrheit gefunden hatte, und
wollte gleich katholisch werden. Da kam die Krankheit dazwischen. Nun danke ich
dem Himmel, dass ich hier in einem Spital bei Schwestern bin und Sie getroffen
habe.‘
„Diese schlichte Erzählung hatte mich tief gerührt, und ich versprach
dem Kranken, ihm ein treuer Freund sein zu wollen. Bei meiner Rückkehr ins
Kolleg war die Freude groß, und die beiden Brahmanen, G Vaidhianatra und Sankaran,
machten dem Kranken sofort einen Besuch.
Das Wiedersehen war sehr rührend.
Sobald dieser seinen ehemaligen Schulkameraden, den er so schwer verfolgt
hatte, erblickte, fiel er ihm zu Füßen, küsste sie und sagte: ‚Erlaube, dass
ich jene Füße küsse, die ich in Fesseln legen ließ. Verzeihe mir und bete für
mich.‘
„Die Ruhe und das Glück, die der Kranke gefunden hatte, übten auf
seinen Körper den besten Einfluss aus, und bald konnte er das Spital verlassen.
Er zog mit seinem ansehnlichen Mobiliar in das Haus von Sankaran und erhielt
bald darauf die heilige Taufe.
Der Konvertit, der 33 Jahre zählt, hat nur noch
einen Wunsch, es möchten seine zwei Kinder – seine Frau und zwei Kinder sind
gestorben – ebenfalls den Frieden in der katholischen Kirche finden.“
(aus: die katholischen Missionen, 1915)