Die Zeitungen brachten bereits die kurze Nachricht von der
abscheulichen Niedermetzelung von 39 Aussätzigen durch die Behörde von Nanning
in China. Nunmehr liegen mehrere Briefe von Missionären über die grausige Tat
vor.
„Der Schreckenstag“, heißt es in einem Brief vom 10. Januar an die
„katholischen Missionen“, „war der 14. Dezember. Die Niedermetzelung geschah
auf Anstiften des Adels und auf Befehl des Präsidenten der Provinz Kuangsi. Bei
Anbruch des Tages umzingelten über 100 Soldaten den Ort außerhalb der Stadt
Nanning, wo die unglücklichen Aussätzigen zusammenwohnten. Niemand konnte
entweichen.
Wie eine Herde Tiere wurden sie hinausgetrieben auf das Manöverfeld
der Soldaten, wo sorgfältig eine Grube hergerichtet war. Auf dem Boden der
Grube lag eine dichte Schicht Holz; eine Leiter führte hinunter.
Ein
Unglücklicher nach dem anderen musste die Leiter hinabsteigen; die Frauen waren
sogar gezwungen, ihre Kinder mitzunehmen. Als alle in der Grube waren, erscholl
das Kommando: ‚Cha!‘ - ‚Töte!‘ Die
Gewehre knatterten, Schreckensrufe erfüllten die Luft.
Dann wurde Petroleum auf
die noch zuckenden Körper gegossen, und bald kündigte eine Feuergarbe an, dass
Adel und Gelehrte den Sieg davongetragen hatten.“
Diese grausame Tat erscheint umso entsetzlicher, als die katholische
Mission sich seit Jahren der verstoßenen Leute angenommen hatte.
„Seit etwa 8
Jahren“, schreibt Bischof Ducoeur, „unterstützten wir die Aussätzigen, die
einen Kilometer von den Vorstädten Nannings entfernt ein Leben der Verachtung
und des größten Elends führten. Im verflossenen Jahr kaufte ich ein Grundstück
und begann mit dem Bau eines Aussätzigenheimes. Die Handelsleute versprachen
mir ihre Hilfe, und ich hoffte, es sei eine Kleinigkeit, von der Verwaltung die
Erlaubnis zur Eröffnung dieser Stätte der Barmherzigkeit zu erlangen. Aber
eines Tages erhielt ich ein Schreiben, dessen kurzer Sinn war: ‚Die Europäer
sollen ihre Finger von den Aussätzigen lassen; wir werden selber eine
Aussätzigenanstalt bauen.‘
Und bald darauf war auf Plakaten an den Stadttoren zu lesen: ‚Die
Aussätzigen sind ein vom Himmel verworfenes Geschlecht. Es ist gottlos, sie zu
unterstützen. Warum unnütz Geld verschwenden? Der Präsident von Kuangsi weiß
nicht, woher das Geld zur Ernährung seiner Soldaten nehmen; die katholische
Mission täte besser daran, der Regierung zu Hilfe zu kommen.‘
Diese aufreizenden Worte beunruhigten uns. Wir machten dem Präsidenten
einen Besuch und legten Fürbitte für die Aussätzigen ein. Der hohe Herr lobte
unseren edlen Sinn, billigte unsere Pläne und versprach sogar seine Hilfe zur
Errichtung eines neuen Aussätzigenheimes in größerer Entfernung vor der Stadt.
Einige Tage später schickte er den Stadtpräfekten zu uns, und auch dieser
zeigte sich unserem Vorhaben äußerst gewogen.
Voll Vertrauen schauten wir in die Zukunft; da brachte man uns
plötzlich die kaum glaubliche Nachricht: ‚Alle Aussätzigen sind niedergemacht.‘
Die Beamten hatten nur ein frevelhaftes Spiel mit uns getrieben.
Und was jetzt? Die Menschenjagd ist noch nicht zu Ende. Eben erst
wieder wurde ein aussätziger junger Mann in seiner Familie ergriffen, auf das
Manöverfeld geschleppt, erschossen und verbrannt.
Die Regierung ist stolz auf ihre Tat. In einer Proklamation heißt es: ‚Die
Aussätzigen begehen abscheuliche Verbrechen und sind von allen gefürchtet. Sie
benutzten ihre Krankheit, um Geld zu erpressen.
Ich habe ihre Schandtaten dem
Präsidenten gemeldet, und dieser gab Befehl, alle Aussätzigen umzubringen. Ich
habe gehorcht, und nun sind wir für immer von ihnen befreit. Der allgemeinen
Zustimmung des Volkes bin ich sicher.‘
Die Regierung von Nanning befindet sich im Irrtum. Sie hat sich das
Zeugnis ausgestellt, dass sie noch tief in niederen Instinkten steckt und noch
weit von jeder wahren Zivilisation ist. Wie sticht diese Tat
doch ab von der barmherzigen Liebe der katholischen Missionäre und
Schwestern!“
(Aus: die katholischen Missionen, 1913)