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Montag, 25. November 2013

Ein Missionsbischof redet den Kolonialmächten ins Gewissen

Erzbischof Alexandre Le Roy C.SS.P.


Auf dem internationalen Antisklaverei-Kongress in Paris hielt Msgr. Le Roy, Generaloberer der Väter vom Heiligen Geist, einen bemerkenswerten Vortrag, in welchem er den Kolonialmächten eindringlich ins Gewissen redete und Vorschläge zur Besserung der afrikanischen Kolonialgesetzgebung machte. Wir möchten in freier Anlehnung an die Rede des erfahrenen Missionsbischofs wenigstens kurz die Hauptgedanken hervorheben.

Sämtliche Mächte, die in Afrika kolonisierend auftreten, sprechen große Worte über ihre zivilisatorische Aufgabe unter den Schwarzen. Allein die Tatsachen stimmen oft wenig mit den Worten [überein], und die koloniale Gesetzgebung ist dringend der Reformen bedürftig. Auf der einen Seite geht man vielfach mit unvernünftiger Strenge vor. Die zahlreichen Beispiele von unmenschlicher Grausamkeit und von gewissenlosen Missbrauch der Gewalt, wie sie in den letzten Jahren sich häufen, sind nicht dazu angetan, die Zivilisation der Weißen zu empfehlen. 
Auf der anderen Seite wird durch übergroße Schonung gewisser einheimischer Unsitten und barbarischer Zustände gefehlt, welche der Zivilisation der betreffenden Völker direkt im Weg stehen. Hierher gehören:


1. Menschenfresserei und Menschenopfer. 

Ohne Zweifel ist man dieser kannibalischen Unsitte vielerorts (wie z.B. im britischen Nigergebiet) energisch zu Leibe gegangen. Die schlimmsten Vorkommnisse dieser Art, jene grausamen Massenabschlachtungen, wie sie z.B. in Dahomey üblich waren, sind ja beseitigt worden. 
Es wäre aber ein Irrtum, zu glauben, dass der Kannibalismus in den afrikanischen Kolonien aufgehört habe.
Noch immer kommen zahlreichen Menschenschlächtereien vor, nicht bloß im Dunkel der Wälder, sondern auch in den Stationen und Posten der Kolonie. Werden doch unter den Augen der Beamten Menschenviertel vorübergetragen und verteilt. 
Auch die Menschenopfer beim Tode von Häuptlingen, als Sühn- und Bittopfer zur Abwendung von Seuchen, Krieg u.dgl. sind noch viel häufiger als man denkt. Wenn irgendwo, dann wäre diesem grauenhaften Unfuge gegenüber unerbittliche Strenge am Platz.


2. Kindsmord. 

Derselbe ist unter den afrikanischen Stämmen sehr verbreitet und ein wahrer Krebsschaden. „Man berechnet, dass (vielerorts) von zehn Kindern, die zur Welt kommen, acht verschwinden. Fällt ihre Geburt auf einen Unglückstag, fängt das Kind früh zu zahnen an, kommen Zwillinge zur Welt oder tritt sonst ein ungünstiges Vorzeichen ein usw., so genügt dies, um den Kleinen das Todesurteil zu sprechen. 
Die Werkzeuge dieser unmenschlichen Sitte sind in der Regel alte Zauberinnen. Es würde genügen, an der einen oder andren dieser Hexen ein ordentliches Exempel zu statuieren, um der ganzen Sippe ein für alle Mal das saubere Handwerk zu legen. Es geschieht aber nicht.

3. Die Giftprobe 

ist fast über ganz Afrika verbreitet und fordert Tausende von Menschenleben. Tritt ein ungewöhnlich rascher Todesfall ein, wird ein Diebstahl oder sonst eine Untat begangen, so greift man, oft selbst bei lächerlichen Kleinigkeiten, zur Giftprobe, um den Täter zu ermitteln. Wer nicht giftfest ist, und das sind die wenigsten, muss, schuldig oder unschuldig, unter schrecklichen Qualen sterben.
Diese Giftprobe wird als furchtbares Werkzeug namentlich von den zahlreichen afrikanischen Geheimbünden gehandhabt, deren Femgerichte Tausende zum Opfer fallen. 

Besonders häufig richten sich diese Todesurteile gegen die im Dienst von Weißen stehenden Neger, die durch ihren Wohlstand, ihre Bildung, ihren Fortschritt die Eifersucht der Häuptlinge erregen. So sind auch eine Reihe von schwarzen Katechisten und Lehrern aus der Welt geschafft worden, ohne dass die bei den Behörden eingebrachten Klagen berücksichtigt worden sind.

4. Die Sklaverei

ist jene Unsitte, welche am meisten die öffentliche Meinung in Europa erregt und die Mächte zum entschiedenen Einschreiten veranlasst hat. Vieles ist zur Abschaffung derselben geschehen, aber lange nicht genug. 
Noch wuchert das Übel unter allen möglichen Formen und Vorwänden fort und weiß sich zu halten. (Leider behandeln so viele Weiße ihre Diener schlimmer als Sklaven und wird auch von europäischen Gesellschaften selbst oft ein wahrer Sklavenhandel getrieben).

5. Der Alkohol. 

Wie die rote Rasse durch das „Feuerwasser“, so wird seit einem halben Jahrhundert nun auch die schwarze Rasse durch Schnaps und Fusel vergiftet und zu Grunde gerichtet. 
Ungeheure Massen dieses schmachvollen „Kulturmittels“ werden jährlich nach Afrika verschifft und seit Jahren auch an Ort und Stelle fabriziert. Hier wären nicht bloß strenge Maßregeln, sondern vor allem eine scharfe Kontrolle über die Ausführung am Platze.

6. Duldung unsittlicher Gebräuche. 

Gewiss ist den einheimischen Sitten und Überlieferung gegenüber eine vernünftige Schonung am Platze. Das gilt sicher aber nicht von Aufführungen, Tänzen, Orgien, Zusammenkünften, Zeremonien, die aller Sittlichkeit hohnsprechen. Manche, auch europäische, Posten sind berüchtigt als wahre Lasterhöhlen und Ansteckungsherde sittlicher Verderbnis.

7. Die schmachvolle Behandlung und Lage der afrikanischen Frau. 

Die Enthüllungen, die ein Mitbruder Msgr. Le Roys hierüber gemacht, haben wir im letzten Jahrgang gebracht. Das Weib wird von ihrer Kindheit her einfach als Sache behandelt und in der willkürlichsten Weise verschachert und preisgegeben. 
Diese Zustände haben die schlimmsten Folgen für die sittlichen und bürgerlichen Verhältnisse, machen ein geordnetes Familienleben unmöglich, verschulden den teilweisen Rückgang der Bevölkerungszahl und hindern das segensreiche Wirken der Mission.
Was hilft es, die Mädchen in den Anstalten der Schwestern gut zu erziehen, wenn die Willkür und Habgier der Eltern und Verwandten die armen Kinder gegen ihren Willen vor der Zeit gewaltsam entführt und einem schmachvollen Los überantwortet? Die vorhandenen Missstände schreien förmlich nach einer strengen Gesetzgebung zur Regelung der afrikanischen Frauenfrage. Msgr. Le Roy schlägt diesbezüglich besonders drei Punkte vor.

Erstens darf kein Mädchen vor den Jahren der Reife und ohne ihre Einwilligung verheiratet werden.
Zweitens darf, nachdem die übliche Mitgift einmal bezahlt ist, das Mädchen bzw. die Frau unter keinem Vorwand mehr zurückgenommen werden.
Drittens muss in den Kolonien ein genaues Trauregister geführt werden, um es den Behörden zu ermöglichen, das Gesetz wirksam aufrecht zu erhalten und die Übertreter zur Rechenschaft ziehen.


Die Einführung solcher und ähnlicher Gesetze würden nach Msgr. Le Roys Überzeugung bei den Schwarzen selbst nicht auf wesentliche Schwierigkeiten stoßen, da deren heilsamer Einfluss sich bald fühlbar machte. 
Freilich mit Zirkularen und Dekreten der Kolonialämter ist es nicht getan. Ihre Ausführung muss entschieden urgiert und überwacht werden. 
Sie würden dann eine wichtige Stütze auch für die Mission sein und die schönen Worte von der „zivilisatorischen Aufgabe“ Europas in Afrika der Wahrheit näher bringen.

(Aus: die katholischen Missionen, 1901)