Das blutige Hemd von P. Nies |
Die Nachwirkungen
In der Nacht der Ermordung hatte Pater Henles Vater in der
deutschen Heimat einen eigenartigen Traum. Er sah seinen Sohn im weißen Talar
mit rotem Zingulum, von dunklen Gestalten umgeben, und fragte ihn darauf
verwundert: „Aber, Richard, warum trägst du denn jetzt einen weißen Talar?“
worauf dieser antwortete: „Den trage ich von jetzt ab immer“. Auf diesen Traum,
dessen Symbolik auf ein Martyrium P. Henles hindeutete, erkundete sich
Herr Henle in Steyl über das Befinden seines einzigen Kindes. Am
4. November schließlich traf die Nachricht von der Ermordung der beiden
Missionare ein.
Die Erschütterung war nicht nur bei den Missionaren in
China, sondern auch in Steyl groß. Bischof Anzer, der Apostolische Vikar, hielt
sich zu dieser Zeit zum Generalkapitel im Mutterhaus auf. Er wandte sich nun an
Kaiser Wilhelm als den Protektor der Steyler Mission um Schutz für die Missionare,
worauf dieser die Besetzung der Bucht von Kiautschou an der Küste der Provinz
Schantung befahl. Anzer erlangte vom chinesischen Kaiser zudem den Bau dreier
großer Sühnekirchen, die unter besonderen kaiserlichen Schutz gestellt wurden. Die
Ermordung der beiden Patres hatte weitreichende weltpolitische Folgen, nicht zuletzt,
da nun auch andere europäische Staaten Schutzgebiete an Chinas Küste
beanspruchten. Der Fremdenhass wurde dadurch nicht verringert, sondern erreichte
seinen Höhepunkt im Boxeraufstand von 1900. Wie sich später herausstellte, war
es die „Sekte vom großen Messer“, wie die Boxer auch genannt wurden, gewesen, die
für die Ermordung der beiden Missionare verantwortlich zeichnete.
Womöglich ist es diese politische Last, die dazu führte,
dass die Seligsprechung der beiden ersten Märtyrer der S.V.D. nie betrieben wurde.
Rein theologisch sprach nichts dagegen, hatte die Mordtat nach dem Urteil der
Zeitzeugen die Zeichen eines wahren Martyriums. Mögen die beiden unabhängig von
der öffentlichen kirchlichen Verehrung Fürsprecher für die Kirche Chinas und
die Gesellschaft des göttlichen Wortes sein.
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