Fortsetzung von hier
Nach Verlauf von sechs Monaten oder einem Jahre darf sich der junge
Seminarist bereits sehen lassen. Der Wildling zählt seinen sechzehnten
Frühling. Er spricht schon geläufig Englisch und bleibt nur hin und wieder noch
hängen; das Latein geht noch ein bisschen schwerfällig, aber der Professor
braucht sich nicht mehr zu scheuen, in der Klasse lateinisch zu sprechen. Wenn
er nicht gar zu klassisch spricht, wird er verstanden.
Die Zweitjährigen dürfen
in der Erholung sich noch auf Englisch unterhalten; dann tritt als offizielle
Umgangssprache das Latein an die Stelle. Was seine Manieren angeht, so kennt
man den kleinen Seminaristen gar nicht wieder. Die jungen Leute, früher meist
recht vernachlässigt, kommen hierher mit dem festen Entschluss, nützliche
Priester und gute Missionäre zu werden. Sie haben sich gesagt: ‚Es ist der
Wille Gottes; ich will es, es muss gehen.‘ Von Zeit zu Zeit gibt man einen
leisen Wink, wie z.B.: ‚Ei, was tust tu da? Du bist kein Schuljunge mehr; sieh
deinen Rock an; du bist ein Clergyman, ein Kleriker; sei verständig.‘ Das
genügt.
Ich wollte, Sie könnten sie bei ihrem gemeinsamen Gebet sehen, während
ihrer halbstündigen Privatbetrachtung oder während der stillen Studienstunde
ohne eine andere Aufsicht als das Auge Gottes. Vor etwa zwei Wochen fragte ich
einen unserer jüngeren Alumnen, wie es ihm beim Studium gehe. ‚Ich würde es
gerne besser machen,‘ lautete die Antwort, ‚denn ich denke immer, Gott sieht
mich, und er liebt mich, und ich möchte gern ihm Freude machen und mich später
seinem Dienst weihen.‘
Und nun sehen Sie sich unsere Philosophen an, die seit drei Jahren im Seminar sind. Sie kommunizieren häufig, und ihr Betragen könnte manchen in Europa zum Muster dienen. Man sollte es gar nicht glauben, dass diese jungen Männer von zwanzig Jahren früher die einheimische Tuchhülle, Haarschopf und Ohrenringe getragen. Sie sind am Spielen mit einem seltenen Feuer, mit leuchtenden Augen, Füße, Hände, der ganze Körper, die Zunge nicht ausgenommen, in lebhafter Bewegung. Da plötzlich tönt die Schelle, und alles ist mäuschenstill, wie ausgestorben. Folgen wir ihnen. Jeder ist vor seinem Arbeitstischchen auf den Knien und betet einige Augenblicke, bevor er das Studium beginnt.
Von Zeit zu Zeit ist noch eine kleine Warnung nötig, ein Fehltritt zu
tadeln, ein Rückfall zu alter Natur festzustellen. Der Inder scheint von
unseren Anschauungen und Begriffen aus ein geborener Lügner. Ohne besondere
Absicht, ohne Bosheit, ohne Skrupel sagt er das Gegenteil von dem, was wahr
ist, oder verschweigt etwas, einzig und allein, weil der Satz so besser klingt,
oder des Euphemismus wegen, oder weil er meint, Ihnen so etwas Angenehmes zu
sagen…
Und nun unsere ältesten von 21, 22, 24 Jahren, die Theologen. Ich bin
überzeugt, sie haben mit keinem europäischen Seminar den Vergleich zu fürchten,
sowohl was den ernsten Eifer beim Studium, bei den Zirkeln und monatlichen
Disputationen, als was den Anstand bei Tisch, in der Erholung und bei der
Unterhaltung und selbst was die Zartheit des Gewissens angeht. Es ist rührend,
mit welcher Gewissenhaftigkeit sie sich selbst über geringe Fehler öffentlich
im Speisesaal anklagen.
Vor zwei Monaten kam einer, ein trefflicher
Fußballspieler, und bekannte, dass er nicht unempfindlich dagegen sei, wenn man
nach einem guten Schlag ihm lauten Beifall zolle. Ob es da nicht gut wäre, wenn
er hie und da einmal absichtlich einen Luftschlag tue? …Freilich würde dann
seine Partei verlieren, was dieser unangenehm sein könnte. Was er da am besten
tun solle. Diese Einzelheiten mögen manchem kleinlich erscheinen; ich dachte
aber, sie dienten dazu, einen anschauliche Idee von unseren jungen
Priesterkandidaten zu geben.“
(Aus: die katholischen Missionen, 1899)