Pfriemenherzen-(Coeur d'Alene-)Indianer, bei De Smet, Idaho |
(…) Was aber ungleich mehr in Erstaunen
setzte, sei die Wahrnehmung, in welchem Grad hier die Religion das ganze
öffentliche und private Leben beherrsche. Zum Beweis greift P. Ganß einen Zug
aus dem religiös-kirchlichen Leben der Pfriemenherzen heraus: die monatliche
Feier des Herz Jesu-Freitags.
Der (ganz katholische) Stamm zählt 600 Seelen.
Es ist nun altes Herkommen, dass am ersten Freitag jedes Monats der ganze Stamm
gemeinsam zum Tische des Herrn geht. Da nun die Indianer in einem Umkreis von
40 bis 70 englischen Meilen von der Mission entfernt wohnen, so haben sie sich
um die Kirche herum 150 hübsche Bretterhäuschen gebaut und nett eingerichtet.
Sie bieten ihnen während der Tage ihres Aufenthaltes ein gemütliches Heim.
Ihre Wohnstätten und Farmen stehen während
dieser der Andacht geweihten Zeit vereinsamt. An den betreffenden
Donnerstag-Nachmittagen sieht man rings von Hügeln und Tälern ihre Wagen
langsam zur Mission heranrollen. Auf denselben führen sie den nötigen Hausrat
mit; auch die Hunde werden nicht vergessen. Neben den schwerfälligeren Karren
erblickt man leichte Buggies (hohe zweiräderige Jagdwägelchen) und andere
moderne Fuhrwerke. Die kühneren und kräftigeren Vertreter beider Geschlechter
jedoch kommen hoch zu Ross herangeritten. In der Mission angelangt, spannt man
die Pferde aus und lässt sie angeseilt im Freien grasen. Bald wirbelt aus allen
Schornsteinen der kleinen Häuschen Rauch auf; überall herrscht reges Leben,
jedoch ohne lärmende Aufregung. Inzwischen werden P. Caruana S.J., der bereits
40 Jahre lang unter diesem Stamm wirkt und dem nach Gott diese idealen Zustände
vor allem zu danken sind, und P. Hermann Schuler (ein Pfälzer), sein treuer
Mitarbeiter, in ihren Beichtstühlen von Andächtigen belagert. Einer nach dem
anderen tritt mit weichem Mokassinschritt von seinem Platz vor und verschwindet
im Beichtstuhl. Tiefe Sammlung und Andacht malt sich in jedem Zug der
dunkelroten narbigen Gesichter. Wer genauer aufmerkt, sieht auch nasse Augen
und hört halbunterdrückte Seufzer. Da knien die einen auf dem Boden
hingestreckt, die Augen wie gebannt auf den Altar gerichtet, während andere
tiefgebeugt an ihre Brust schlagen.
Oft genug zieht sich die Arbeit im Beichtstuhl
bis gegen Mitternacht hin, zumal wenn einige der Beichtkinder, aufgehalten
durch angeschwollene Flüsse, weggerissene Brücken oder sonst ein Reiseabenteuer
erst spät eingetroffen sind.
Am nächsten Morgen beginnt die heilige Messe
um 6.30 Uhr. Aber längst ehe die Glocke die Stunde meldet, ist die Kirche
gefüllt. Auf der einen Seite knien die Männer, auf der anderen die Frauen.
Viele von diesen, wenn nicht die meisten, bringen ihre Säuglinge und kleineren
Kinder mit in die Kirche. Der Häuptling Weilschólegu betet die Morgengebete
vor, die zehn Gebote, die Akte der Reue usw., alles im Pfriemenherzen-Dialekt,
mit seinen zischenden und gurgelnden Lauten, in langsamen, gemessenen Silben,
mit gedämpfter Stimme. Die Vorbereitungsgebete für die heilige Kommunion werden
gleichfalls gemeinsam von der Gemeinde verrichtet. Vor der Wandlung und nach
derselben wird die Strophe eines Liedes gesungen.
Überaus andächtig, ja dramatisch und
ergreifend war zumal der Augenblick der Kommunion. Zuerst kamen der Häuptling
und seine Ratsmänner geschmückt mit den Abzeichen ihrer Würde, gefolgt von den
alten und jungen Männern, alle mit dem Herz Jesu-Skapulier auf der Brust. Den
Männern schließen sich die Frauen an, viele ihre Kleinen teils tragend teils
mit sich führend, da dieselben keinen Augenblick von ihren Müttern getrennt
sein wollen. Nun kam eine Szene, die mir das Wasser in die Augen trieb. Ein
altes, ganz verkrüppeltes Mütterchen, an einem Auge blind und von der Gicht
ganz zusammengekrümmt, führte mit der Frau eigenen sanften Sorgfalt ein
prächtiges Spezimen echt indianischer Männlichkeit zum Altar. Der Mann war
blind und ging tastend vorwärts. Noch niemals war uns die evangelische Szene
vom Blinden, der am Weg saß und zum Heiland rief: Jesus, Sohn Davids, erbarme
dich meiner! So lebendig vor die Seele getreten. Derselbe Liebesdienst wurde
einer Reihe von Blinden, hoch bejahrten Mütterchen, einem armen Fallsüchtigen
und mehreren Invaliden erwiesen, die von anderen gestützt oder fast getragen,
zum Brot des Lebens hintraten.
Die ganze Szene war, abgesehen von ihrem
heiligen Charakter, so dramatisch als nur irgendeine, die man in Oberammergau
sehen kann. Da waren sie, die Blinden, Lahmen, Gichtbrüchigen, die Presthaften
und die kleinen Kinderchen des Evangeliums, sich hindrängend zum Altar, um sich
zu vereinigen und in nächste Berührung zu kommen mit ihrem Herrn und Gott. Es
war die Wiedererneuerung der Szenen, die einst in Judäa und Galiläa sich
abgespielt, so packend und lebenswahr, wie keine Feder, kein Pinsel sie
schildern könnte.
(Aus: die katholischen Missionen, 1904)
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